Giuseppe Canella d. J., Chioggia vor Sonnenaufgang, 1838
Belvedere Wien, Foto: Johannes Stoll
Belvedere Wien, Foto: Johannes Stoll
Kultur

Wie Venedig zum Mythos wurde

Ab Donnerstag heißt es im Unteren Belvedere „Viva Venezia!“: Die gleichnamige Ausstellung ergründet anhand von rund 80 Gemälden den Mythos der Lagunenstadt. Ein Mythos, der sich bei genauerem Hinsehen als Bild des Niedergangs entpuppt.

Generaldirektorin Stella Rollig sprach im Rahmen einer Pressekonferenz von einem „schönen, attraktiven Thema“, bei dem das Belvedere weitgehend aus seinen eigenen Beständen schöpfen könne.

Die These der Schau: Das bis in die Gegenwart hineinwirkende Bild Venedigs ist ein Konstrukt aus Vorstellungen und Topoi, das sich vor allem aus Projektionen von Künstlerinnen und Künstlern speist, die sich im vorvorigen Jahrhundert in der vom Niedergang gezeichneten Stadt aufgehalten, die Schattenseiten verklärt und so zum „dunklen Mythos der romantischen, sterbenden Stadt“ beigetragen haben, wie die Hausherrin formulierte. „Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert“ heißt die im eben fertig renovierten Unteren Belvedere angesiedelte Ausstellung denn auch im Untertitel.

Machtverlust, Plünderungen, Armut

Sie ist in mehrere Kapitel gegliedert. Ein historischer Teil soll gewissermaßen nachvollziehbar machen, wie sich die Stadt Anfang des 19. Jahrhunderts präsentierte. Eine animierte Karte macht den sukzessiven Gebietsverlust der über Jahrhunderte währenden Großmacht, der etwa Zypern oder weite Teile Griechenlands zugehörig waren, sichtbar. Mit dem Einfall der napoleonischen Truppen 1797 endete diese Ära endgültig. „Der Mythos Venedig basiert also auf einem Paradigmenwechsel“, erklärte Kurator Franz Smola. Plünderungen und Armut waren die Folge.

Hans Makart, Venedig huldigt Caterina Cornaro, 1872–1873
Belvedere Wien, Foto: Johannes Stoll
Hans Makart, Venedig huldigt Caterina Cornaro, 1872–1873

Einen überdimensionierten Blick auf die opulenten Zeiten bietet Makarts Riesengemälde „Venedig huldigt Caterina“, das Caterina Cornaro zeigt, die der damals bedeutendsten venezianischen Dogendynastien entstammte und 1468 mit dem König von Zypern vermählt wurde. Laut Smola ist das Werk, das bei der Weltausstellung 1873 in Wien für Furore sorgte, eines der größten in der Sammlung des Belvedere. „Alle heiligen Zeiten leisten wir uns den Luxus, es aufzuspannen.“

Zur Schau

„Viva Venezia! Die Erfindung Venedigs im 19. Jahrhundert“: Unteres Belvedere, Rennweg 6, von 17.2. bis 4.9.2022; begleitendes Filmprogramm ab 20.3. im Blickle Kino des Belvedere 21

Kontrastiert wird dieser „historische Schinken“ (Smola) von im Vergleich geradezu winzig erscheinenden Gemälden, die das Straßenleben dokumentieren: Kürbisverkäufer, einen Straßenkampf, spielende Kinder vor verfallenden Fassaden. Einige stammen von österreichischen Künstlern wie August von Pettenhofer, Ludwig Johann Passini oder Heinrich Stohl. Denn immerhin war Venedig zwischen 1815 und 1866 Teil der Habsburgermonarchie. Das auf dem Markusplatz spielende Finale des Kitschklassikers „Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin“ versteht sich wohl als ironischer Ausstellungsakzent auf diese Epoche.

Faszinosum im Nebel

Unverzichtbar sind in einer Venedig-Ausstellung freilich auch atmosphärische Darstellungen der Stadt bei Nebel oder Dämmerung wie bei Pietro Fragiacomo oder Eindrücke von der Lagune mit den sich im Wasser spiegelnden Kirchen San Giorgo Maggiore oder Il Redentore – auch wenn bei Josef Carl Püttner eigentlich das Interesse an der Marine und damit der möglichst exakten Darstellung der Schiffe im Vordergrund stand.

Josef Carl Berthold Püttner, Nachtfahrt in der Lagune, 1857
Belvedere Wien, Foto: Johannes Stoll

Und auch vor William Turner machte die Venedig-Faszination nicht halt. Er schuf rund zwei Dutzend Ölgemälde mit venezianischen Motiven, wobei immer wieder neue Werke aus dieser Serie auftauchen. Um ein solches soll es sich auch bei jener um 1840 entstandenen, lichtdurchfluteten Ansicht mit der Kirche Santa Maria della Salute handeln, wobei noch nicht endgültig geklärt sei, ob es sich um eine eigenhändige Arbeit des englischen Meisters handelt, wie es im Erklärungstext heißt.

Inspiration für Literatur und Film

Neben der bildenden Kunst, reißt die Ausstellung auch die Rezeption Venedigs in Literatur und Film mit Blick auf das 19. Jahrhundert an. Zitate von Lord Byron, Dickens, Poe oder Goethe sind ebenfalls präsent wie Filmausschnitte – darunter eine 1896 gedrehte, einminütige Fahrt über den Canal Grande, ein Ausschnitt des unter der Regie von Max Reinhardt entstandenen Films „Eine venezianische Nacht“ aus 1913 oder Luchino Viscontis „Senso“ (1954).

Die Rechte, Episoden aus Viscontis Klassiker „Tod in Venedig“ im Rahmen der Schau zu zeigen, habe man leider nicht bekommen, räumte Smola ein. Sehen kann man ihn allerdings in voller Länge am 24. März im Rahmen der begleitenden Filmreihe, die im Blickle Kino des Belvedere 21 über die Bühne geht.