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Politik

Betroffenheit und Sorge bei Russen in Wien

Von Wien aus verfolgen auch die die rund 20.000 hier lebenden Russinnen und Russen den Krieg in der Ukraine. Viele haben Angst, öffentlich darüber zu sprechen. Auch von wachsender Feindseligkeit gegenüber Russischsprachigen wird berichtet.

„Es ist einfach unendlich traurig, was gerade passiert. (…, Anm.). Jegliche Form der Diktatur jegliche Form der Gewalt ist natürlich inakzeptabel“, sagt Yulia Potasheva, Fitnesstrainerin und gebürtige Moskauerin, am Montag im „Wien heute“-Interview. Wie viele aus ihrem Heimatland hat auch sie Verwandte und Freunde in der Ukraine.

„Wut und Hass gegenüber Russen steigt“

Auch in der Ballettschule „Dance World“ ist der Krieg in der Ukraine Dauerthema. Der gebürtige Russe Kirill Kourlaev war erster Solotänzer an der Staatsoper. Die Lage jetzt beschreibt er als „besorgniserregend, kompliziert und schwierig“ – immer mehr auch im Alltag in Wien: „Ich sehe auch, dass die Wut oder der Hass gegenüber den russischsprachigen Menschen steigt, es ist immer mehr spürbar.“

Betroffenheit bei Russen in Wien

Tief betroffen zeigen sich auch viele Russinnen und Russen in Wien: Sie erzählen von Freunden und Verwandten in der Ukraine und auch von Angst vor Verhaftungen in Russland.

Etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler an der Ballettschule haben russische Wurzeln. „Es hat zum Beispiel letzte Woche eine Familie angerufen und gesagt, sie hat Sorgen, ihr Kind ins Ballett zu schicken. Und man hat mich gefragt, wie unsere Lehrer zu dieser Situation stehen oder was die darüber denken. Und ich habe gesagt, wissen Sie, dass die Lehrerin, welche ihre Tochter unterrichtet, aus der Ukraine kommt.“

Angst, dass Telefonate abgehört werden

Viele gebürtige Russinnen und Russen in Wien wagen es derzeit nicht, sich offen in den Medien zu äußern – aus Angst um ihre Familien zuhause, wie sie erzählen. Auch zwei jungen Studentinnen wagten sich im „Wien heute“-Interview nicht aus der Anonymität. Bei Telefonaten mit der Familie in Russland müsse nun auf jedes Wort geachtet werden, sagen sie.

„Es gibt die Gefahr, dass das Telefon abgehört wird. Das kann dann Jahre im Gefängnis bedeuten. (…, Anm.) Ich checke regelmäßig im Internet die Listen mit den Inhaftierten in meiner Heimatstadt. Ich habe Angst, dass ich darauf eines Tages auch meine Verwandten oder Freunde finde.“ In den vergangenen Tagen organisierten die beiden Forscherinnen mit Freunden gemeinsam mehrere Hilfstransporte in die Ukraine.

„Als ob ein Teil meiner Familie den anderen Teil tötet“

„Ich bin in Russland geboren, aber ein großer Teil meiner Familie lebt in der Ukraine. Ich fühle mich auseinandergerissen. Es fühlt sich an, als ob ein Teil meiner Familie den anderen Teil töten möchte“, so eine Studentin, die seit zwei Jahren in Russland lebt. „Meine persönliche Bitte an alle Russen, nicht zu schweigen, seid laut, sprecht, steht auf“, sagt Yulia Potasheva.