Elisabeth Vogel und Judith Kohlenberger
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Ukraine-Krieg

Ukraine-Krieg: Hälfte der Geflüchteten Kinder

Aufgrund des Ukraine-Kriegs befinden sich derzeit hunderttausende Menschen auf der Flucht. Im „Wien heute“-Interview fordert Migrationsforscherin Judith Kohlenberger, das Bildungssystem massiv aufzustocken. Denn die Hälfte der Geflüchteten sind Kinder.

Wie viele Menschen derzeit bereits die Ukraine verlassen haben, ist aufgrund der unübersichtlichen Lage schwer zu sagen, erklärte Kohlenberger im „Wien heute“-Interview. „Wir wissen, dass etwa die Hälfte der Geflüchteten Kinder sind, darunter auch sehr viele kleine Kinder. Manche von ihnen werden sogar von den Eltern direkt an die Grenze gebracht und dort an Helfende übergeben“, so Kohlenberger. Die Eltern würden dann wieder zurück an den Heimatort zurückkehren – eine unglaubliche Herausforderung für die vielen Freiwilligen vor Ort.

Bildungssystem „massiv aufstocken“

„Was jetzt ganz konkret aktuell ist, ist, dass es eben sehr viele Kinder und Jugendliche unter den Geflüchteten gibt. Da wird man im Bildungssystem massiv aufstocken müssen. Die Kinder müssen unmittelbar Schulzugang erhalten. Und ganz wesentlich wird nicht nur rasche, sondern nachhaltige Arbeitsmarktintegration sein – sodass die Menschen, die Qualifikationen, die sie mitbringen, auch wirklich passgenau einsetzen können“, so die Expertin. An erster Stelle stehe aber natürlich die Versorgung und die psychische Gesundheit der Geflüchteten.

Zu den Forschungsfragen Kohlenbergers gehört auch der sozio-ökonomische Hintergrund von Flüchtenden – bei der Fluchtbewegung aufgrund des Ukraine-Kriegs wird das erst nachträglich beforscht werden. „Was wir aus anderen Kontexten ableiten können, ist, dass Menschen mit mehr Ressourcen und damit meistens auch einer höheren Bildung erstens rascher fliehen und auch weitere Distanzen zurücklegen können“, so die Expertin.

Größte Fluchtbewegung in Europa seit 1945

Eine Hypothese sei also, dass Geflüchtete, die über die unmittelbaren Nachbarländer hinaus fliehen – also etwa nach Deutschland oder Österreich – „tendenziell einen höheren Bildungsgrad aufweisen könnten“. Im Vergleich zu 2015 habe man es hier wirklich mit einer Fluchtbewegung „historischen Ausmaßes“ zu tun. Es handle sich um die größte Fluchtbewegung in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Judith Kohlenberger
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Für Expertin Judith Kohlenberger gilt es jetzt, das Bildungssystem massiv aufzustocken

„Ein Aspekt im Vergleich mit 2015, der bisher etwas unterbelichtet ist, aber sehr wesentlich scheint, ist, dass jetzige ukrainische Geflüchtete sämtliche Grenzen, bis sie nach Österreich gelangen, ja legal und ohne Probleme passieren können, weil sie Visafreiheit genießen“, so Kohlenberger.

Beispielsweise syrische Flüchtlinge waren 2015 hingegen auf die Hilfe von Schleppern angewiesen und mussten teils sehr gefährliche Routen über Wasser oder Land auf sich nehmen. Das habe unter anderem damals dazu geführt, dass vor allem viele junge Männer unter den Geflüchteten waren, meinte Kohlenberger: „Die Frauen wurden dann über sichere Wege, etwa über die Familienzusammenführung, nachgeholt.“

Im Studio: Flucht-Forscherin Kohlenberger

Judith Kohlenberger ist Flucht- und Migrationsforscherin. Angesichts der Fluchtbewegung aus der Ukraine ist sie zu Gast im Wien heute Studio.

Integration inzwischen „besser aufgestellt“

Viele Geflüchtete wollen in andere Länder weiterreisen oder in die Ukraine zurückkehren, sobald die Kampfhandlungen beendet sind. Einige Menschen werden aber auch hier bleiben: „Also ich denke, wir sind zur Zeit wesentlich besser aufgestellt als 2015, weil in der Zwischenzeit sehr viele Strukturen geschaffen wurde – bessere Rahmenbedingungen.“ Inzwischen gebe es ein Integrationsgesetz sowie ein Integrationsjahr, das man sehr rasch aktivieren könne. Damit Menschen Zugang zu Sprachkursen erhalten und zum Beispiel auch Arbeitstrainings absolvieren können.