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Wiener Büchereien im Wandel

Die Büchereien Wien haben in den letzten beiden Jahren aufgrund der Pandemie mit Besucherschwund zu kämpfen gehabt. Um wieder mehr Publikum zu erreichen, soll eine neue Richtung eingeschlagen werden. Dabei heißt es auch: weg von den Büchern.

Ein frischer Wind weht durch die Wiener Büchereien. Das hat nicht nur mit dem neuen Leiter Bernhard Pöckl zu tun. Seit Februar ist der 40-Jährige für alle 39 Standorte verantwortlich, davor war er Leiter der Hauptbücherei am Gürtel. „Früher waren Büchereien Stellen, wo man sich Bücher, Medien ausleihen konnte und das sind wir immer noch. Aber wir verstehen uns seit Jahren immer mehr als Treffpunkt, konsumfreier Ort, als öffentlicher Ort, wo auch ein demokratischer Diskurs stattfinden kann und soll“, beschreibt Pöckl den Paradigmenwechsel, der derzeit stattfindet.

Aufenthaltsräume in der Hauptbücherei
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Die Hauptbücherei bietet zwar noch viele Bücherregale, aber auch Aufenthaltsräume

Weg von den Bücherregalen

Das zeigt sich auch in der Hauptbücherei. Im 2003 eröffneten Gebäude dominieren noch die Bücherregale. Doch dazwischen gibt es Aufenthaltsorte: Tische etwa, die schon kurz nach dem Aufsperren um 11.00 Uhr voll mit Lernenden sind. Dazu sind in den letzten Jahren besondere Bereiche gekommen, etwa Vinyl-Corner, wo dem schwarzen Gold gehuldigt wird.

Wie stark der Kontrast zu den früheren Büchereien ist, sieht man im Vergleich zum Standort in der Leystraße in der Brigittenau. Dort fühlt man sich eher wie in einer Buchhandlung. Bei einem Lokalaugenschein fällt auf, dass die meisten kurz hineinkommen und bereits reservierte Bücher abholen oder eine Runde drehen und interessante Romane mitnehmen. Es gibt zwar Hocker, um kurz in Büchern zu schmökern, doch die wenigsten nutzen das.

Bücherei Leystraße
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In der Bücherei Leystraße in der Brigittenau hat man eher das Gefühl, in einer Buchhandlung zu sein

Aufenthaltsbereiche und „Dinge“

Die Aufenthaltsqualität an den neueren Standorten ist höher. Die Bücherei in der Seestadt ist am frühen Nachmittag gut besucht, Kinder mit ihren Eltern rennen durch das Gebäude. Ihnen wird auch ein großer Aufenthaltsbereich geboten, der mindestens ein Drittel der Fläche einnimmt. Zusätzliche Beleuchtung ist hier kaum notwendig, weil durch die großen Glasflächen ohnedies genug Licht fällt.

„Ich finde das nett für die Kinder, weil sie ein bisschen stöbern können in den Büchern, weil sie ein bisschen abgelenkt sind und auch wir schauen können“, beschreibt es eine Besucherin. Ein Mädchen im Volksschulalter erzählt, dass sie viel Zeit hier verbringt. „Ich finde das Coole daran ist, dass man nicht hin- und herlaufen muss“, sagt sie. Der Ort, wo Bücher verliehen und der Ort, wo sie gelesen werden, sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt.

Bücherei Seestadt
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Die neue Bücherei in der Seestadt hat große Flächen zum Sitzen und Lesen

Auch das Personal nimmt hier eine andere Aufgabe ein, fällt auf. Sie begleiten die Kundinnen und Kunden durch die Reihen. Das Ausleihen selbst geht mit einem Automaten. Benötigt werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nur, wenn jemand die Bücherei der Dinge in Anspruch nimmt: Direkt im Eingangsbereich steht ein großer Spind, in ihm sind verschiedene Alltagsgegenstände zum Ausleihen, die man nicht unbedingt daheim hat: von Bongos, über eine Schlagbohrmaschine bis zu Playstation-Controllern.

Gefühl des Daheimseins

Selbst Angebote, die man eher negativ in Verbindung mit Büchern sieht, finden verstärkt statt, erzählt Büchereileiter Pöckl. „Wir haben Büchereien, wie zum Beispiel die Bücherei am Schöpfwerk, wo wir auf dieses Gefühl des Daheimseins setzen und wo es auch Kaffee gibt, der kostenfrei konsumiert werden kann. Das schließt sich nicht aus.“ Der Zeit, als man Angst vor Kaffeeflecken auf Büchern hatte, ist man offenbar entschwunden.

Bernhard Pöckl
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Der neue Leiter der Büchereien, Bernhard Pöckl, will den Transformationsprozess weiterführen

Entschwinden will man auch den Pandemiejahren, zumindest was den physischen Kontakt angeht. Die Zahl der digitalen Leihen ist zwar enorm gestiegen, doch in die Büchereien sind viel weniger Personen gekommen. „Ich glaube, dass da eine Trendumkehr stattfindet. Wir merken das auch bei Veranstaltungen, die ja einige Zeit gar nicht stattfinden konnte. Da waren die Leute verständlicherweise sehr vorsichtig. Das ändert sich aber peu a peu.“

Um langfristig Erfolg zu haben, ist für Pöckl wichtig, Spezialangebote zu bedienen – sei es die Bücherei der Dinge oder der Vinyl-Corner. Auch das vielfältige Angebot sei wichtig: „Wir haben um 32 Euro (im Jahr) ein Angebot, das in der Breite keine anderen Marktteilnehmer, keine Streamingdienste bieten können.“