Das Interesse an den Demonstrationen gegen die Coronavirus-Maßnahmen sei seit der entspannteren Infektionslage geringer, beobachtet die Beratungsstelle Extremismus, die sich in einer Fallanalyse mit CoV-Verschwörungstheorien auseinandergesetzt hat. Jetzt würden vor allem Demo-Organisatoren versuchen, die Community aufrecht zu erhalten.
Ukraine-Krieg als neues Thema
„Wir kriegen schon mit, dass versucht wird über die aktuelle Ukraine-Krise da Themensetzungen zu machen, aber da beobachten wir auch gleichzeitig, dass das nicht so gelingt. Beziehungsweise, dass das Interesse gar nicht so groß ist. Zum Beispiel, wenn gesagt wird, dass der Ukraine-Krieg inszeniert ist. Da gehen die Leute nicht mehr mit, das scheint dann schon zu weit hergeholt zu sein“, sagte Dieter Gremel von der Beratungsstelle Extremismus gegenüber „Wien heute“.

Der Krieg in der Ukraine sei weniger emotional für die meisten CoV-Demonstrierenden, die persönliche Verbindung würde fehlen. Es sei „nur eine Minderheit“ der Bewegung, die jetzt auch zu Putin-Verstehern mutiert.
Fallanalyse von 144 Fällen
Die Beratungsstelle untersuchte bundesweit 144 Fälle von Männern (48 Prozent) und Frauen (52 Prozent), die sich in der Pandemie durch Verschwörungsmythen radikalisiert haben. Bei einem Großteil förderten Lebenskrisen wie Jobverlust (27 Prozent) oder biografische Brüche (28) die Radikalisierung, Entfremdung und Isolierung gegenüber Angehörigen.
Die Pandemie hätte vor allem einen Veränderung der betroffenen Gruppen mit sich gebracht. Vor der CoV-Krise wandten sich froßteils Angehörige von radikalisierten Jugendlichen an die Beratungsstelle. Jetzt würden junge Erwachsene Hilfe suchen, deren Eltern sich in Verschwörungstheorien verlaufen hätten. Zurückzuführen sei das eventuell darauf, dass sich ältere Personen schlechter im Internet zurechtfinden und somit eher für Fake News zugänglich seien. Bis zu 30 Prozent der gesamten Fälle der Beratungsstelle kämen aus der Szene der CoV-Maßnahmen-Gegner, so Gremel.
Covid-Maßnahmen Kritiker: Was wird aus ihnen?
Im Winter noch gab es regelmäßig Großdemos von Corona-Maßnahmenkritikern, unterstützt von Rechtsextremen. Inzwischen ist diesbezüglich ruhiger geworden. Was ist nun mit diesen Menschen und wer kümmert sich politisch um sie?
Politikberater fürchtet verlorene Wahlstimmen
In der heimischen Politik könnten die großen Demonstrationen, mit zum Teil mehr als 40.000 Teilnehmenden, auch im Nachhinein Einbußen bedeuten, nämlich beim Gang zur Wahl. Die Präsidentschaftswahl steht dieses Jahr bereits an, die nächste Nationalratswahl 2024 und die nächste Wien-Wahl 2025. Der Politikberater Thomas Hofer geht davon aus, „dass wir durch die CoV-Demonstrationen in ein Problem schlittern oder zum Teil schon mitten drinnen sind, weil wir einen Teil der Bevölkerung, sei er auch klein, für den politischen Prozess verlieren könnten.“

Vor allem die FPÖ – angeführt von Herbert Kickl – die einige der Demonstrationen auch organisierte, würde jetzt mit neuen Themenschwerpunkten versuchen, die CoV-Bewegung zu halten. Aber auch andere große Parteien würden versuchen, die Stimmen der Demo-Teilnehmenden wieder für sich zu gewinnen. Die SPÖ etwa mit altbewährten Themen: „Es wird versucht, dieses Protestpotential, dass sich durch Covid gezeigt hat, auf anderen Wegen anzusprechen. Zum Beispiel über das Thema Teuerungen oder Wohnen. Das sind typische sozialdemokratische Themen“, so Hofer.
„Guter Zeitpunkt, um sich wieder anzunähern“
„Themen abseits der Pandemie ansprechen“, so lautet auch der Tipp des Experten der Beratungsstelle Extremismus, um Angehörigen, die an Verschwörungsmythen glauben, wieder näher zu kommen. Das könnte jetzt gelingen, da das Thema der Pandemie momentan, auch medial, weniger präsent sei.
„Es ist ein guter Zeitpunkt, so viel Zeit wie möglich mit den Personen zu verbringen, wo es nicht um diese Inhalte geht, wo der Stress jetzt nicht so groß ist und wo man medial auch nicht so damit konfrontiert ist. Und gar nicht so den Anspruch zu haben: und jetzt werden wir in Ruhe darüber zu reden“, so Gremel. Er rät dazu, das Thema auch einmal ganz zur Seite zu legen. Denn unentspannter könnte es wieder im Herbst werden, wenn eventuelle Coronavirus-Maßnahmen wieder für Aufregung sorgen.