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Politik

Warnung vor Überwachung für Sima „absurd“

Wegen einer möglichen Überwachung der Einfahrtsstraßen zur Wiener Innenstadt mit Kameras warnen Umwelt-, Datenschutz- bzw. Menschenrechtsorganisationen nun vor Konsequenzen. Für Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) sind die Vorwürfe „absurd“.

Sima sagte zu der erhobenen Kritik an dem Verkehrskonzept: „All denen, die dagegen mobil machen, muss klar sein, dass sie ein riesiges Verkehrsprojekt zunichtemachen“, sagte sie Interview mit der Tageszeitung „Presse“ (online und Freitag-Ausgabe). Datenschutzbedenken könne sie nicht nachvollziehen. Schon jetzt gebe es eine elektronische ASFINAG-Überwachung der Autobahn-Maut, Kennzeichen-Feststellung in Bereichen einer Section-Control oder in Parkgaragen.

Die Ressortchefin betonte, es sei geplant, die Kennzeichen von Autos zu erfassen, die in das Herz der Stadt einfahren. Sie habe mit den Garagenbetreibern bereits Gespräche geführt, wie mit ihnen der Datenabgleich erfolgen könnte. Keinesfalls werde es, wie von Datenschützern behauptet, eine Videoüberwachung auch von Fußgängern, Radfahrern, Demonstranten geben.

NGOs: „Kein geeignetes Instrument“

Die NGOs – darunter die Grundrechtsplattform epicenter.works, Amnesty International und System Change not Climate Change – sehen die Pläne indes kritisch. In einem offenen Brief richteten sie ihre Einwände an Sima und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne). Sie sprechen sich darin gegen die von der Stadt gewünschte Videoüberwachung zur Verkehrsberuhigung aus – die vom Bundesgesetzgeber ermöglicht werden müsste.

„Wir bezweifeln, dass dies ein geeignetes Instrument zur Reduktion von Autoverkehr darstellt und warnen vor den negativen Konsequenzen für unsere Grund- und Menschenrechte“, hieß es dazu auch in einer Aussendung am Donnerstag.

„Fast so viele Löcher wie ein Schweizer Käse“

„Unseren Informationen zufolge plant die Stadt Wien an fast allen der 38 Zufahrten vom Ring in den ersten Bezirk Videokameras zu installieren und damit automatisch die Kennzeichen aller zu- und abfahrenden Autos zu erfassen.“ Gestraft werden solle, wer nicht im ersten Bezirk wohnt, kein Taxi oder Lkw ist, kein Gewerbe im Bezirk betreibt oder von einem solchen Gewerbe nicht als Zulieferer oder Hotelgast akkreditiert ist, sein Auto in keinem Parkhaus abstellt oder wer nicht innerhalb von 30 Minuten den Bezirk wieder verlässt.

„Das Modell hat fast so viele Löcher wie ein Schweizer Käse“, wird konstatiert. Es wäre verkehrspolitisch „zielführender und weitaus billiger“, einen Teil der Parkplätze in der City umzuwidmen, anstatt den Großteil der Straßen mit vernetzten Kameras zu überwachen, befinden die Initiatoren. „Wir bezweifeln zudem, dass die technische und verwaltungsrechtliche Umsetzung dieses Vorhabens überhaupt so ausgestaltet werden könnte, dass ausschließlich Kennzeichen und nicht zusätzlich auch Bilder des Fahrzeugs oder der Lenkerinnen bzw. Lenker erfasst werden würden.“

„Stadt schafft Datenberg“

Auch die Straße kreuzende Passanten oder Radfahrerinnen könnten von der Videoüberwachung betroffen sein, heißt es weiter. Außerdem müsste ein solches System zentral vernetzt sein, da eben Autos von Nichtberechtigten, die den Bezirk binnen 30 Minuten wieder verlassen oder in ein Parkhaus fahren, nicht gestraft werden sollen.

„Damit schafft die Stadt Wien einen Datenberg, von dem wir befürchten, dass er Begehrlichkeiten wecken wird und die Daten künftig auch für andere Zwecke verwendet werden.“ Überdies finde in der Innenstadt ein großer Teil der Versammlungen in Wien statt, betonen die NGOs.

Das Innenministerium hat zudem durch Paragraf 52 Absatz 5 Sicherheitspolizeigesetz direkten Zugriff auf die Aufnahmen. „Laut dem ist es möglich, dass das Innenministerium sich die Daten von Videoüberwachungen von anderen öffentlichen Stellen, oder privaten, die einen Versorgungsauftrag haben, in Echtzeit holen kann, dafür braucht es keinen konkreten Verdacht. Da reichen eben schon Vorfelddelikte wie die Bewertung einer Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Angriffes“, sagte Thomas Lohninger von epicenter.works.

„Gelindere Mittel“

„Eine Videoüberwachung dieses Ausmaßes lässt uns befürchten, dass sie eine abschreckende Wirkung auf die Bevölkerung haben könnte, in Zukunft nicht mehr an Versammlungen in der Wiener Innenstadt teilzunehmen.“ Aufgerufen wird nun, „gelindere Mittel“ anzuwenden. Wobei betont wird, dass das Ziel einer Verkehrsberuhigung als „grundsätzlich unterstützenswert“ erachtet werde.

Machbarkeitsstudie beauftragt

Die Stadt Wien und der erste Gemeindebezirk gaben eine Machbarkeits- und Umsetzungsstudie für eine Verkehrsberuhigung der Inneren Stadt in Auftrag, wurde Anfang des Jahres bekanntgegeben. Das Projekt autofreie City gibt es schon länger. 2020 sorgte ein erstes – letztlich nicht realisiertes – Konzept für Diskussionen.

In der Studie sollen unter anderem die technischen Voraussetzungen und ein möglicher Zeitplan erörtert werden, hieß es in einer Aussendung des SPÖ-Klubs. Vorausgesetzt wird, dass die Zufahrt für Bewohnerinnen und Bewohner des Bezirks, Nutzer der öffentlichen Garagen sowie Lieferverkehr, Einsatzfahrzeuge und städtische Dienste wie die Müllabfuhr weiterhin gewährleistet bleibt.

Stadt verweist auf andere europäische Städte

Zur Verteidigung des Konzepts rückte am Donnerstag auch Erich Valentin, SPÖ-Gemeinderatsmandatar und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, aus. Er versicherte in einer Aussendung, dass die kamerabasierte Zufahrtskontrolle der EU-Datenschutzgrundverordnung entspreche. Eine derartige Maßnahme werde bereits in vielen anderen Städten Europas – beispielsweise Bologna, Turin und Dubrovnik – erfolgreich eingesetzt. „Der Schutz persönlicher Daten ist ein hohes Gut, und es ist der Stadt Wien ein primäres Anliegen, dass dieser Schutz streng eingehalten wird“, versicherte er.

Bei der kamerabasierten Zufahrt gehe es rein um die Kennzeichenerfassung, um eine Zufahrt als erlaubt oder nicht erlaubt einzustufen. Fotos würden nur angefertigt, wenn Kraftfahrzeuge ein- bzw. ausfahren. Die Aufnahme werde bei legaler Einfahrt – wenn zum Beispiel das Kennzeichen als vom Fahrverbot ausgenommen bekannt ist oder bei nachfolgender Einfahrt in eine Garage – nach dem unmittelbaren Abgleich sofort gelöscht.

Vergleich mit Section-Control

„Diese Vorgehensweise entspricht jener der Section-Control. Das rechtliche Interesse an der automationsunterstützten Überwachung und der Strafverfolgung ist in beiden Fällen gleich gelagert und dient in beiden Fällen der Verkehrssicherheit. Es werden nur Fotos von Fahrzeugen erstellt, Fußgänger und Fußgängerinnen oder Demonstranten und Demonstrantinnen werden nicht erfasst“, erklärte Valentin die Überwachungsmethode.

Gleichzeitig unterstrich der SPÖ-Mandatar auch, dass eine verkehrsberuhigte Innenstadt ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz und zur Erhöhung der Lebensqualität sei. „Wir wollen den motorisierten Individualverkehr in der Stadt reduzieren. Die verkehrsberuhigte Innenstadt ist eine wichtige Maßnahme zur Verringerung von Verkehrsemissionen, der erste Bezirk ist öffentlich bestens erschlossen.“ Bezirk und Stadt arbeiteten in der Sache sehr eng zusammen, aktuell laufe die technische Umsetzungs- und Machbarkeitsstudie, die im Sommer vorliegen sollte, so die Stadt Wien.