Mann auf Anklagebank von hinten, Polizist an seiner Seite
APA/Georg Hochmuth
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Chronik

Mordprozess ohne Leiche: Zahlreiche Indizien

Ein 65-Jähriger steht seit Montag vor Gericht, weil er vor über 16 Jahren seine von ihm getrennt lebende Ehefrau getötet haben soll. Es gibt aber weder eine Leiche noch ist bekannt, wie die Frau zu Tode gekommen sein soll. Doch es gibt viele Indizien.

Die Staatsanwältin am Wiener Straflandesgericht sprach zu Beginn des Verfahrens von einer „geschlossenen Indizienkette“. Es gebe „nicht den geringsten Zweifel, dass er seine Ehefrau auf unbekannte Art getötet hat und an einem unbekannten Ort abgelegt hat“, meinte Staatsanwältin Julia Kalmar in ihrem mehr als einstündigen Eröffnungsplädoyer.

Verteidiger Thomas Reissmann sprach dagegen von einer „äußerst ungewöhnlichen Anklage, weil sie manipulativ ist“. Die Anklage beruhe auf „schlechten, falschen Ermittlungen“ und habe „ganz wesentliche Mängel“.

„Auf unbekannte Art getötet“

Die Staatsanwaltschaft führt in ihrer Anklage aus, der Mann habe sie am 6. Dezember 2005 „auf unbekannte Art getötet“. Die Architektin Elisabeth G. gilt seit diesem Zeitpunkt als abgängig. Sie hatte drei Monate zuvor nach Beziehungsproblemen die Scheidung eingereicht, die dann auch vollzogen wurde. Kurz bevor die damals 31-Jährige von der Bildfläche verschwand, hatte sie ihren Ex-Mann aufgesucht, um ihm etwas für die gemeinsame zweieinhalbjährige Tochter vorbeizubringen. Dabei soll es zu einem Streit gekommen sein.

Mordprozess um verschwundene Frau

Ein 65-Jähriger muss sich seit Montag am Landesgericht verantworten, weil er vor mehr als 16 Jahren seine von ihm getrennt lebende Ehefrau getötet haben soll. Es gibt allerdings weder eine Leiche noch ist bekannt, wie die Frau zu Tode gekommen sein soll. Doch es gibt zahlreiche Indizien.

Fest steht, dass die Architektin seit diesem Treffen nicht mehr lebend gesehen wurde. Sie soll nach der Geburt ihres Kindes an postnatalen Depressionen gelitten und Suizidgedanken gehabt haben, ihr Vater schloss allerdings aus, sie könnte sich etwas angetan haben.

SMS-Verkehr am Handy fingiert

Die Staatsanwältin sagte am Montag, der Angeklagte habe mit dem Handy der zu diesem Zeitpunkt bereits getöteten Frau vorgetäuscht, dass diese noch am Leben sei. Er habe dieses in Betrieb gesetzt und damit in den Stunden danach einen SMS-Verkehr mit seinem eigenen Gerät fingiert. Allerdings sei das Handy der Frau in diesem Zeitpunkt im Sendebereich der Wohnung des Mannes eingeloggt gewesen, betonte die Staatsanwältin.

Trockenbeton und Bitumenanstrich gekauft

Die Anklägerin verwies außerdem darauf, dass der inzwischen 65-Jährige am 7. Dezember 2005 – am Tag nach dem angeblichen Mord – in einem Baumarkt 50 Laufmeter Baufolie, 60 Kilogramm Trockenbeton und Bitumenanstrich gekauft hatte.

In Bezug auf den Beton meinte der Angeklagte in seiner Beschuldigteneinvernahme – diese wurde zwischenzeitlich unterbrochen, um der DNA-Sachverständigen Christina Stein die Gutachtenerstattung zu ermöglichen –, er habe den „irgendwann verwenden“ wollen, um den Übergang zur Terrasse zu betonieren: „Da ist irgendwie das Wasser runtergeflossen.“ Mit der Folie habe er sein Ruderboot „einpacken“ wollen.

Bus ausgeborgt

Am 9. Dezember 2005 hatte sich der Angeklagte von einem Bekannten einen Bus ausgeborgt, indem er diesem erklärte, er müsse „etwas wegbringen“. Darauf angesprochen, erklärte der Angeklagte den Geschworenen, er habe alte, abmontierte Heizkörper weggeschafft. Den Bus habe er zwei Stunden später wieder zurückgestellt.

Ermittlungen zunächst eingestellt

In der Woche nach dem Verschwinden wurde eine groß angelegte Suchaktion durchgeführt, mit Spürhunden wurde das Ufer der Alten Donau durchkämmt, wo das Handy der Frau zuletzt eingeloggt gewesen war. Der Ex-Mann der Vermissten geriet in weiterer Folge in Verdacht, er könnte mit dem Verschwinden der Frau etwas zu tun gehabt haben. Er kam auch kurz wegen Mordverdachts in U-Haft, die Verdachtslage erhärtete sich jedoch nicht, der Mann wurde nach wenigen Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt, und im Februar 2006 wurde das Ermittlungsverfahren zunächst eingestellt.

15 Monate später kam dann wieder Bewegung in die Sache, mit Sonden und Leichenspürhunden wurde ein Privatgrundstück abgesucht – Elisabeth G. blieb aber wie vom Erdboden verschluckt. Im Juni 2007 wurden dann die Ermittlungen endgültig eingestellt, die Personenfahndung nach der Architektin aus dem Polizeisystem genommen.

Ex-Mann erneut festgenommen

Der Fall schien bereits als ungelöstes Kriminalrätsel zu den Akten zu wandern, ehe die Cold Case-Gruppe des Bundeskriminalamts wieder zu ermitteln begann und neues Beweismaterial zu Tage förderte. Das führte dazu, dass der Ex-Mann 15 Jahre nach dem Verschwinden von Elisabeth G. wieder festgenommen wurde. Seit rund eineinhalb Jahren sitze er nun als Mordverdächtiger „zu Unrecht“ in U-Haft, wie sein Verteidiger Thomas Reissmann am Freitag im Gespräch mit der APA feststellte.

„Mein Mandant wird sich nicht schuldig bekennen. Er hat mit dem Verschwinden der Frau nichts zu tun“, betonte Reissmann vor der Gerichtsverhandlung. Die Anklage beruhe „auf reinen Schlussfolgerungen und Indizien“, es gebe „keinerlei Beweis“, sondern „von der Staatsanwaltschaft aufgeblähte Vermutungen“. „Es gibt keine Leiche, keinen Tatort, nichts“, hielt der Verteidiger fest.

Durch Handyanalyse und DNA-Gutachten belastet

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft wird der Angeklagte vor allem von einem DNA-Gutachten belastet. Leichenspürhunde hatten in der Wohnung des Mannes angeschlagen, mittels Luminol konnte am Holzboden in der Wohnküche des Angeklagten eine Blutspur mit einem Durchmesser von 12,5 Zentimetern sichtbar gemacht werden. Der DNA-Expertin Stein zufolge handelte es sich dabei um eine Mischspur, die Merkmale von Elisabeth G. und des Angeklagten aufwiesen.

Außerdem führt die Strafverfolgungsbehörde ins Treffen, der Angeklagte habe im Lauf der Jahre – vor allem im behördlichen Todeserklärungsverfahren – auffallend widersprüchliche Angaben zur letzten Begegnung mit seiner Ex-Frau gemacht. Dass sie etwa – wie von ihm behauptet – am Abend des 6. Dezember noch in einem Ruderclub an der Alten Donau trainieren ging, könne nicht stimmen, weil sich keine Eintragung im Logbuch des Rudervereins fand und auch Kolleginnen und Kollegen im Verein dies nicht bestätigt hätten.

Strittige Frage des Motivs

„Wir wissen nicht, ob sie tot ist oder noch lebt“, hielt der Verteidiger fest, „wir wissen nicht, ob sie an einem Gewaltverbrechen gestorben ist.“ Dass Elisabeth G. sich selbst das Leben genommen habe, sei „eine Möglichkeit, die gegeben ist“. Zum Blutfleck bemerkte Riessmann: „Das kann gerade mal ein Spritzer gewesen sein, woher auch immer.“ Es gebe schlicht „kein Motiv“, weshalb sein Mandant seine Frau getötet haben sollte, denn er selbst habe eine einvernehmliche Scheidung angestrebt. Erst daraufhin habe ihm die Frau „die Scheidungsklage vor den Latz geknallt“.

Die Staatsanwältin sah dagegen sehr wohl Gründe, die den nunmehr 65-Jährigen zu der Bluttat bewogen haben könnten. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang eine seelische Kränkung durch die Trennung und in Verbindung damit „große Angst, den Kontakt zu seiner Tochter zu verlieren“, mit der Elisabeth G. eine neue Wohnung bezogen hatte.

Angeklagter schildert „letzte Begegnung“

Der Angeklagte schilderte am Nachmittag den Geschworenen, seine Frau sei am Nachmittag des 6. Dezember 2005 gemeinsam mit der gemeinsamen zweieinhalbjährigen Tochter zu ihm gekommen, um in der Wohnung verbliebene Sachen abzuholen. Danach sei sie zum Rudertraining gegangen, habe die Tochter bei ihm gelassen, sei dann um 19.30 Uhr wieder gekommen und habe sich geärgert, weil eine unbekannte Person, die ihr versprochen hätte, ihre Sachen wegzubringen, sie hängen habe lassen.

Am nächsten Tag – laut Anklage war die Frau zu diesem Zeitpunkt bereits tot – sei sie gegen 8.00 Uhr erschienen: „Sie ist mir übernächtigt vorgekommen, optisch.“ Er habe ihr mehr oder weniger wortlos über den Zaun den Karton mit den Sachen – zwei Hocker, eine Saugglocke und andere Utensilien – gereicht, sie sei auf der Beifahrerseite eines dunklen Kombi eingestiegen. Seither habe er sie nicht mehr gesehen.

Tochter mittlerweile volljährig

Sein Schwiegervater habe ihn „vom ersten Tag an, wo die Elisabeth abgängig war, verdächtigt, dass ich sie ermordet habe“, gab der 65-Jährige zu Protokoll. Auf die Frage, wie seine Tochter auf das plötzliche Verschwinden der Mutter reagiert habe, erwiderte der Mann: „Überraschenderweise hat sie ganz, ganz selten gefragt. Erstmals im Kindergarten. Ich hab’ ihr gesagt, ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo deine Mama ist. Vielleicht hat sie jemanden anderen gefunden.“

Sein Plan sei es gewesen, seine Tochter, die er großgezogen habe, bei ihrer Volljährigkeit umfassend über das Verschwinden ihrer Mutter zu informieren. Die Tochter ist mittlerweile 18 Jahre alt. Der Angeklagte befindet sich seit rund eineinhalb Jahren in U-Haft. „Sie hat ganz offensichtlich keine Probleme gehabt, dass sie keine Mutter hat“, bemerkte der Angeklagte zu diesem Thema abschließend.

Erklärversuche für Indizien

Die von der Anklagevertreterin vorgelegten Indizien versuchte er zu entkräften. Im näheren Umfeld seiner Adresse gebe es drei Handysendemasten, die einen „breiten Bereich“ abdecken würden. Er könne nicht beurteilen, wo sich seine Frau aufgehalten habe, als sie per SMS mit ihm kommunizierte.

Zum Blutfleck in seiner Wohnküche bemerkte der 65-Jährige, seine Frau habe „irgendwann im Vorfeld mit ihrer Enduro-Maschine das Gleichgewicht verloren“ und sei „im Stand umgefallen“. Dabei habe sie sich an der Hand verletzt: „Sie hat geblutet, ich habe sie verarztet.“ Dabei müsse Blut auf den Fußboden getropft sein.

39 Zeuginnen und Zeugen geladen

Die Verhandlung wird am kommenden Mittwoch mit ersten Zeugenaussagen fortgesetzt. Insgesamt sind 39 Zeuginnen und Zeugen geladen. Drei weitere Verhandlungstage sind anberaumt. Das Urteil soll am 19. Mai fallen.