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Politik

Gutachten Lobautunnel: „Klarer Rechtsbruch“

Der Bund habe im Zusammenhang mit der Absage des Lobautunnels einen „klaren Gesetzesbruch“ begangen, davon sind die Stadt Wien und die Wiener Wirtschaftskammer (WKW) nun überzeugt. Sie präsentierten am Freitag ein neues Gutachten.

In dem Gutachten des Rechtsanwaltes Christian Onz wird ausgeführt, dass Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) die im Bundesstraßengesetz ausgeführte rechtliche Verpflichtung zur Fertigstellung der Nordostumfahrung (S1) nicht auf eigene Faust ändern kann.

Wirtschaftskammer bei Verfassungsdienst angefragt

„Diese Kompetenz besteht nicht“, versicherte der Jurist in einem gemeinsamen Hintergrundgespräch mit Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) und Kammerpräsident Walter Ruck. Die Wirtschaftskammer ersuchte nun auch den Verfassungsdienst des Bundes, eine Prüfung der Causa einzuleiten. Die Stadt wiederum könnte vom Bund Schadenersatz für Aufwendungen im Zusammenhang mit dem gecancelten Projekt verlangen, sagte Sima.

In einem schriftlichen Statement gegenüber „Wien heute“ widerspricht Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne): "Das Klimaschutzministerium hat dazu natürlich auch umfassende Gutachten eingeholt, die bestätigen, dass diese Vorgehensweise rechtskonform ist.“

„Kosten müssen ersetzt werden“

Die Kosten, so befand die SPÖ-Politikerin, müssten ersetzt werden. Denn man habe im Vertrauen, dass das Verkehrsnetz ausgebaut werde, die Stadtentwicklung in jenem Gebiet vorangetrieben. Man werde nun versuchen, die Kosten im Einzelnen zu ermitteln, auch wenn es nicht einfach werde, hier zu einem Ersatz durch den Bund zu kommen, wie Sima vermutete.

Den Lückenschluss bei der Umfahrung einzuklagen sei laut dem Gutachter hingegen nicht möglich. „Rechtlich gibt es hier keinen Weg“, zeigte sich Onz überzeugt. Die einzige Möglichkeit, gesetzeskonform vorzugehen, wäre eine Streichung des Projekts aus dem Bundesstraßengesetz – für die es im Nationalrat aber wohl keine Mehrheit gebe, wie am Freitag betont wurde.

„Verzögerungen nicht erlaubt“

Der Jurist sagte, dass Vorhaben, die im Gesetz aufgeführt sind, voranzutreiben seien. Auch Verzögerungen seien nicht erlaubt, wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in einem vergleichbaren Verfahren festgestellt habe. Ausgeschlossen ist seiner Ansicht nach auch, nur Teile – also etwa die Trasse im Norden – zu realisieren. Dazu würden neue, wohl wieder lang dauernde Verfahren nötig sein, da es sich um einen neues Projekt handle.

Lediglich die Stadtstraße – für die die Stadt zuständig ist – und die Spange Aspern könnten sofort realisiert werden. Die Spange würde dann jedoch keine Anbindung an die Umfahrung aufweisen, sondern auf der Grünen Wiese enden.

„Braucht Mehrheit im Nationalrat“

Sima konstatierte, dass in der Diskussion viele bisher zu „flapsig“ über die Tatsache hinweggegangen seien, dass sich ein Regierungsmitglied über ein Gesetz hinweggesetzt habe. Die Ministerin habe das Projekt umzusetzen, so Sima. „Wenn sie es nicht umsetzen will, weil sie es für falsch findet, dann muss sie einen Beschluss im Parlament herbeiführen, der das Gesetz ändert. Das ist jedem Minister unbenommen, aber dafür braucht es eine Mehrheit im Nationalrat, und diese Mehrheit hat die Ministerin nicht“, sagte Sima.

Laut der Wiener Stadträtin ignorierte Gewessler zudem auch geltendes EU-Recht. Denn die Nordostumfahrung sei ein Bestandteil der europäischen Transitroute von der Adria zum Baltikum und damit der TEN-Verkehrsnetze-Verordnung. Hier drohe ebenfalls ein Verfahren, wenn die S1 nicht bis 2030 gebaut werde. Wien wird dabei selbst aktiv: Geplant ist eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission, wie am Freitag angekündigt wurde.

Kaum rechtliche Möglichkeiten

Rechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung habe die Stadt aber kaum, wie Sima erläuterte. Überlegt wird nun etwa, gewisse Lastkraftwagen von der Durchfahrt über die Tangente auszuschließen. Möglich wäre das durch Anheben der erlaubten Abgasklassen und die damit einhergehenden Fahrverbote für umweltschädlichere Gefährte. Die Ressortchefin verwies darauf, dass Transit-Lkws einen hohen Anteil auf der Strecke aufweisen. Bis zu 5.000 davon brettern täglich über die Tangente.

Ruck: ASFINAG weiter gefordert

Für WKW-Chef Ruck ist auch die ASFINAG weiterhin gefordert. Denn das revidierte Bauprogramm ohne Lobautunnel sei noch keineswegs fixiert, da hier noch die Zustimmung des Finanzministeriums fehle. Somit müsse der Bau weiter vorangetrieben werden, forderte er. Der Rechtsstandpunkt der Kammer ist laut Ruck jedenfalls auch dem Verfassungsdienst mit der Bitte um Prüfung übermittelt worden. Ruck hielt auch eine Ministerklage gegen Gewessler für eine Option – die aber ebenfalls eine Mehrheit im Nationalrat benötigen würde.

„LobauBleibt“: „Unverantwortlich“

Die Umweltschutzbewegung „LobauBleibt“ übte postwendend Kritik an dem Vorgehen der Stadt. Man wolle die Autobahn offenbar doch noch „durchboxen“, wurde in einer Aussendung beklagt. Dieser „Betonpolitik“ werde man sich nicht beugen, wurde versichert. „Angesichts steigender Lebensmittelpreise und akuter weltweiter Weizenknappheit ist das Zubetonieren fruchtbarer Ackerflächen für neue Autobahnen völlig unverantwortlich“, zeigte sich Sprecherin Lena Schilling überzeugt.

Die Wiener ÖVP forderte hingegen Verkehrsministerin Gewessler auf, das Projekt umgehend umzusetzen. Denn die Rechtslage, so bekräftigte man in einer Stellungnahme, sei klar. Auch die Wiener FPÖ pochte auf eine rasche Realisierung. Die Stadt, so beklagten die Blauen in einer Aussendung, habe jedoch viel zu lange „taten- und hilflos“ zugesehen, statt Gewesslers „Amoklauf“ zu stoppen.