Der Stadtplaner Reinhard Seiß kritisierte die Flut an „schlecht gestalteten Neubauten“. Die Stadt lege keinen Wert auf die optische Erscheinung abseits der Innenstadt. „Man sagt, man will Vielfalt, man will der Kreativität der Architekten da nichts in den Weg legen. Aber, dass das nicht immer die besten Architekten sind und dass dadurch vor allem die Immobilienbranche angeheizt wird, ist offenbar kein großes Problem für die Stadt Wien.“ Als Beispiel nannte er einen Dachausbau in Penzing, der sich über drei Gründerzeithäuser erstreckt.
Sendungshinweis
„Wien heute“, 26.5., 19.00 Uhr, ORF2
In Summe sprach er gegenüber „Wien heute“ von „einer kleinen Katastrophe an Verschandelung und Entwertung der historischen Bausubstanz“. Es sollte nachhaltiger und behutsamer mit der alten Bausubstanz umgegangen werden. Die Geschmäcker der Anrainerinnen und Anrainer im Grätzel sind unterschiedlich: Eine Frau sagt „Furchtbar ist das, weil das nicht dazu passt“, andere sagen, dass sie von der gelben Farbe „begeistert“ seien.
Architektur-Wettbewerbe würden fehlen
In Wien ist die MA19, das Magistrat für Architektur und Stadtgestaltung, für die Genehmigungen von Neu- und Umbauten zuständig. Gemeinsam mit der Baupolizei werden die Pläne der Architektinnen und Architekten genehmigt. Die Optik spiele dabei keine große Rolle, wurde kritisiert.
Vor allem bei Dachgeschoßausbauten würde es den Eigentümern um die Rendite gehen, da so viele Quadratmeter wie möglich herausspringen sollen, so Seiß. Es sei die Aufgabe der Stadt, im Speziellen der MA19, die hier Verantwortung gegenüber der „Stadtgestaltung“ übernehmen und etwa Architektur-Wettbewerbe vorschreiben müsse. Auch ein unabhängiger Gestaltungsbeirat würde in Wien fehlen. Seiß zog einen Vergleich mit der Stadt Salzburg, wo jedes einzelne Projekt eine Architektur-Begutachtung durchläuft.
Forderung nach Gestaltungsbeirat
Kritisch beobachtet neben Reinhard Seiß auch Georg Scherer die Wiener Baukultur. Er forderte ebenfalls einen unabhängigen und dauerhaft besetzten Gestaltungsbeirat in Wien. In seinem Blog „Wien schauen“ setzt er sich ausführlich mit dem Wiener Stadtbild auseinander. „In meinem Wohnort, im vierten Bezirk, habe ich beobachtet, vor allem am Gürtel, dass ein Haus nach dem anderen abgerissen wurde und wie die Gebäude, die danach gebaut worden sind, einfach nicht mehr in einer vergleichbaren Relation sind“, so Scherer.
Ein Gestaltungsbeirat würde laut Scherer dafür sorgen, dass alte Gebäude öfter saniert statt abgerissen werden. „In Salzburg funktioniert das hervorragend, und würde Wien dieselben Bestimmungen wie Salzburg haben, wären die allermeisten Abrisse wahrscheinlich nicht passiert.“ Ein riesiges Problem sei auch die Spekulation mit Immobilien, also Immobilien von privaten oder gewerblichen Investoren, deren Ziel die Gewinnerzielung durch Transaktionen auf dem Immobilienmarkt ist. Wichtig wäre für Scherer „Neues gut gestalten und vor allem Altes erhalten.“
„Wir sind keine Geschmackspolizei“
Bei rund 6.000 Projekten, die die MA19 pro Jahr begutachtet, sei eine genaue Prüfung jedes einzelnen Umbaus oder Neubaus nicht möglich, sagte die MA19 im Interview mit „Wien heute“. Gemeinsam mit der Baupolizei werden die Pläne der Architektinnen und Architekten genehmigt. Dabei essentiell sei die Einhaltung des Wiener Baurechts, das besagt, dass das „Äußere der Bauwerke die einheitliche Gestaltung des örtlichen Stadtbildes“ nicht stören darf.
„Für uns ist die Frage, ob es schön oder schirch ist, nicht die entscheidende. Wir sind keine Geschmackspolizei. Sondern für uns ist die Frage, ob die Rahmenbedingungen, die Kriterien der Bauordnung eingehalten sind, die mit der Gestaltung zu tun haben“, erklärte Franz Kobermaier, Leiter der MA19. Es gehe darum, dass sich Gebäude nach Maßstab, Bauform, Material und Farbe ins Stadtbild einfügen.
Die Rahmenbedingungen beim Objekt in der Albrechtskreithgasse sind laut dem MA-19-Chef erfüllt worden, weil etwa die Fenster auf einer Linie mit den Nachbarhäusern sind. Das Wohnhaus störe das Stadtbild nicht, dafür aber einen Anrainer, der von einem Spekulationsobjekt ausgeht. Sehr bewohnt wirkt dieses von außen zumindest nicht, nur ein Balkon ist möbliert. „Wir haben hier in dem ganzen Grätzel ein gescheites Gasthaus verloren und stattdessen steht diese super überflüssige Bude da.“
Stadtbild möchte „mit der Zeit gehen“
In Wien würde sehr wohl auch ein unabhängiger Gestaltungsbeirat bei großen Projekten mitentscheiden. Rund 150 Pläne werden pro Jahr dem Experten-Gremium vorgelegt. „Das hängt dann von der Situation ab. Zum Beispiel von der Lage des Gebäudes, oder ob es Teil des Weltkulturerbes ist, und auch Hochhäuser werden dem Fachbeirat vorgelegt, und oft auch Projekte in Schutzzonen, die eine spezielle Idee verwirklichen wollen“, so Kobermaier.
Prinzipiell möchte die Stadt „mit der Zeit gehen“, was die Optik betrifft seien „Geschmäcker einfach verschieden“. Die Auswahl der Farbe beim Dachausbau in der Albrechtskreithgasse sieht Kobermaier als zeitgemäß und er ist sich sicher, „dass der Ausbau genehmigungsfähig war“. In der Verwaltung stünde es ihnen nicht zu, ein optisches Urteil auszusprechen.