Fahndungsfoto
APA/BKA
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Chronik

Weltweite Fahndung nach Kokainpaten

Ein 50-jähriger Wiener wird als mutmaßlicher Drogenpate weltweit gesucht. Der als gefährlich geltende Mann, der gelernter Fleischhauer ist, soll das Rotlichtmilieu über Jahrzehnte mit kiloweise Suchtgift versorgt haben, in den letzten Jahren vor allem über das Darknet.

11.500 Bestellungen wurden über die Plattform „MrBlow“ abgewickelt. Dem Bundeskriminalamt gelang es, im April 2021 im Rahmen der Operation „Deflate“ (übersetzt: die Luft herauslassen) die Tätergruppe rund um den Gesuchten festzunehmen. Kurz davor setzte sich der 50-Jährige allerdings ab.

Am Samstag wurden Fahndungsfotos des gewaltbereiten und bewaffneten Mannes als „Most Wanted“ auf der Homepage sowohl des Bundeskriminalamtes als auch über Europol veröffentlicht. Der Tatverdächtige dürfte sein Aussehen mittlerweile verändert und eine neue Identität angenommen haben. Auffällig sind aber seine Tattoos: auf der linken Brust sind die „Betenden Hände“, am rechten Rücken ein Männerkopf und am linken Unterschenkel ein Hundekopf abgebildet.

Weltweite Fahndung nach „Mr. Blow“

Der jetzt 50-jährige Wiener Martin Schnabel soll in großem Stil mit Kokain gehandelt haben. Die Polizei hat seine Spur in Italien verloren und fahndet jetzt nach dem als gefährlich eingestuften gelernten Fleichhauer. Er steht auf der Fahndungsliste „most wanted“ und hat den Spitznamen „Mr. Blow“.

Rotlichtmilieu mit Drogen versorgt

Die Polizei vermutet ihn mittlerweile in Begleitung einer jungen Frau in Spanien. Er ist nun neben Tibor Foco einer der meistgesuchten Österreicher. Hinweise zu seinem Aufenthalt werden an jeder Polizeidienststelle entgegengenommen.

Der Mann soll seit Jahrzehnten das Rotlichtmilieu mit Drogen versorgt haben. Laut Ermittlern habe er sich selbst als „Generalimporteur für Kokain“ bezeichnet. Er soll auch eng mit den damaligen Drahtziehern des Anfang der 2000er Jahre auf Schutzgelderpressungen angelegten „Nokia-Club“ verbunden gewesen sein. Wegen Drogenhandels wurde er niemals verurteilt, stand aber wegen Gewaltdelikten mehrfach vor Gericht.

Störtechniken hebelten Ermittlungsmethoden aus

Zwei Jahre lang soll die Bande rund 60 Kilogramm Suchtgift – 40 Kilogramm Kokain, der Rest betraf Cannabis, Amphetamin und Ecstasy – verkauft haben. Bezahlt wurde mit der virtuellen Währung Bitcoin. Im Lauf der Zeit soll ein Gewinn von 2,5 Millionen Euro gemacht worden sein. „Dazwischen war eine riesige Kurssteigerung. Es wären auch 5,5 Millionen Euro drinnen“, wie ein Ermittler der APA berichtete, der aus ermittlungstaktischen Gründen anonym bleiben möchte. Mittlerweile gab es neun Festnahmen, acht Männer und eine Frau.

Die Tätergruppe ging äußerst professionell vor. Eine Überwachung der Verdächtigen war wegen deren Vorgehensweise kaum bewältigbar, so wurden etwa Störtechniken verwendet, um die polizeilichen Ermittlungsmethoden auszuhebeln. In mühsamer Arbeit wurden laut dem Chefinspektor alle Puzzleteilchen zusammengetragen. Hinzu kam, dass die Komplizen, die zum Teil bereits rechtskräftig zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, extreme Angst vor dem 50-jährigen gelernten Fleischhauer haben.

„Vor dem haben sie wirklich Angst“

„Sie meinten etwa, dass wenn sie nicht tun, was er sagt, gehen sie im Koffer spazieren“, berichtete der Ermittler. „Vor dem haben sie wirklich Angst, der ist brenngefährlich.“ Der 50-Jährige, der seit seiner Jugend dem Wiener Gürtelmilieu angehört haben soll, soll im Hintergrund agiert und öffentliche Orte gemieden haben. „Der ist ein richtiges Phantom“, so der Chefinspektor.

Die Polizei kam der zehnköpfigen Gruppierung 2018 auf die Spur. Damals wurden vereinzelt bei der Post Sendungen mit Suchtgift entdeckt, teilweise weil die dicken Kuverts aufgerissen waren. Die Empfänger wurden ausgeforscht und die brachten die Ermittler auf den Darknet-Shop „MrBlow“, wo ganze Kokainziegel präsentiert wurden, um das Suchtgift zum Verkauf feil zu bieten. Ein Gramm war um 75 Euro zu haben. Laut dem Chefinspektor hatte das Suchtgift einen Reinheitsgehalt von 80 Prozent.

Hunderte Sendungen abgefangen

Bei einer Schwerpunktaktion noch im Jahr 2018 mit dem österreichischen Zoll wurden innerhalb weniger Tage 250 Sendungen von dem „MrBlow“-Shop abgefangen und sichergestellt. „Das waren gut zwei Kilogramm“, so der Ermittler. Spuren an der Verpackung führten die Kriminalisten zu der einzigen weiblichen Tatverdächtigen. Die 69-jährige Frau hatte früher im Rotlichtmilieu gearbeitet und sich mit dem Verpacken und Versenden der Drogen ein zusätzliches Einkommen verschafft. Ebenso agierte ihr Ex-Ehemann, der ebenfalls einmal in einer Rotlichtbar tätig war. Der 73-jährige Pensionist versorgte seine Ex-Frau mit dem Suchtgift, das sie zu verschicken hatte.

„Solange sie die Drogen nicht elektronisch versenden können, haben wir immer einen Ansatz“, sagte der Chefermittler. Und so ging man daran herauszufinden, woher die Gruppierung das viele Verpackungsmaterial bezieht. Schlussendlich stieß die Polizei auf Scheinfirmen in der Steiermark und in Niederösterreich, worüber das Material erworben wurde. Über diese Unternehmen wurden auch die Autos angemeldet, um deren Besitzerschaft zu verschleiern. Ein 52-jähriger Steirer fungierte dabei als Buchhalter und Logistiker der Truppe.

Mitarbeiter mit eigenem Mobiltelefonanbieterdienst

Ein weiterer Bekannter des Hauptverdächtigen stellte die IT auf die Beine. Er kümmerte sich um die Shop-Seite. Der frühere Barmann betrieb zudem einen eigenen Mobiltelefonanbieterdienst. Dazu habe er sich bei einem Mobilfunkanbieter einen Server gemietet, um das verschlüsselte System namens „Fog“ aufzustellen. Der 54-Jährige wurde bereits zu sieben Jahren Haft verurteilt, verstarb aber kurz nach seinem Schuldspruch im Gefängnis.

Hinweise erbeten

Hinweise an das Bundeskriminalamt, Single Point of Contact (SPOC), Josef Holaubek Platz 1, A-1090 Wien, Telefon: +43 1 24836 – 985025, E-Mail: bundeskriminalamt@bmi.gv.at

Die restlichen vier Verdächtigen dürften als Transporteure des Suchtgifts agiert haben. So wurde etwa im Burgenland eine Cannabisplantage mit 2.000 Pflanzen betrieben. Das Kokain dürfte aus Südamerika, wahrscheinlich aus Ecuador, bezogen worden sein. Bis auf zwei – ein Kroate und ein Serbe – waren alle Verdächtigen gebürtige Österreicher.

Flucht nach Lignano

Durchschnittlich zwölf Bestellungen pro Tag wurden von der Gruppierung bearbeitet, ehe der Shop im September 2020 plötzlich dicht gemacht wurde. Wahrscheinlich hatte der 50-Jährige mitbekommen, dass Ermittlungen gegen ihn laufen. Die anderen ließen die Suchtmittel verschwinden, ein Komplize soll dem mutmaßlichen Drogenpaten zur Flucht nach Lignano Sabbiadoro verholfen haben. Am 20. April 2021 kam es dann zu einem koordinierten Zugriff durch das Bundeskriminalamt an elf Einsatzorten in Wien und der Steiermark. Unterstützt wurde dieser von den Einsatzkommandos Cobra, WEGA sowie Beamten der Landespolizeidirektionen Wien, Steiermark und Burgenland.

„Da könnte man eine Netflix-Serie darüber drehen“

Bei 23 Hausdurchsuchungen wurden Geld, Waffen, Verpackungsmaterial und über 250 IT-Geräte sichergestellt. Die große Herausforderung sei gewesen, diese zu sichten. „Das waren wirklich Terabytes an Daten, die wir da durchforstet haben“, sagte der Polizist. Die Daten waren verschlüsselt, man habe „nur noch einzelne Fetzen“ gefunden, etwa das Firmenlogo von „MrBlow“ oder ein Foto der 69-Jährigen, das sie als Beweis für das Versenden der Drogen machen musste. „Da könnte man eine Netflix-Serie darüber drehen“, meinte der Chefinspektor. Nachdem der 50-Jährige von den Festnahmen erfahren hatte, verlor sich im April 2021 laut Ermittler seine Spur.

Suchtmittelhandel hauptsächlich online

„Die Onlinekriminalität ist sehr stark“, sagte Brigadier Daniel Lichtenegger, Leiter des Büros zur Bekämpfung der Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt. „Im Jahr fangen wir circa 3.000 Postsendungen in Zusammenarbeit mit der Zollverwaltung ab und machen dann auch dementsprechende Ermittlungen.“ Etwa zehn Prozent der Suchtmittelkriminalität sei in Verbindung mit Onlinehandel und Postversand.

„Der Suchtmittelhandel hat sich in den letzten Jahren zusehends in den virtuellen Raum verlagert. Die Pandemie hat diese Entwicklung noch verstärkt und beschleunigt“, sagte auch Innenminister Gerhard Karner (ÖVP). „Das Bundeskriminalamt wird dieser besonderen Form der Kriminalität und ihrer Bekämpfung auch in Zukunft einen besonderen Schwerpunkt widmen. Sowohl durch Ermittlungen als auch durch strukturelle Maßnahmen.“