Schülerinnen einer 3. Volksschulklasse schreiben „Schöne Ferien“ auf die Schultafel.
APA/ROLAND SCHLAGER
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Bildung

Strukturversagen oder nur Lehrermangel?

Rund 240.000 Schülerinnen und Schüler müssen bis September nicht mehr an die Schule denken. Die Politik aber muss an den drohenden Lehrermangel im Herbst denken. Der eine sieht dabei Quereinsteiger als Lösung, der andere spricht von strukturellem Versagen.

Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) will den Quereinstieg erleichtern, also noch nicht fertig ausgebildete Lehrkräften oder in anderen Disziplinen ausgebildete Menschen für den Unterricht einsetzen. Es ist ein Weg, auf dem Wien schon Erfahrungen gesammelt hat. Alice Klanjsek-Bratke, Direktorin der Ganztages-Volksschule Florian Hedorfer Straße, sieht dem Herbst gelassen entgegen: „Bei mir sieht es sehr gut aus. Ich habe aber sehr viele Studentinnen, nicht wirklich vollständig ausgebildete Lehrerinnen.“

Sie sollen schnell Fuß fassen und Praxis finden, um für fehlende Lehrer auch wirklich einspringen zu können. Die Volksschullehrerin Vanessa Pasterniak hat ihr Lehramtsstudium abgeschlossen, arbeitet derzeit an ihrem Master. Sie habe schon viele Erfahrungen sammeln können in den eineinhalb Jahren, in denen sie als Lehrerin arbeitet: „Die Direktorin vertraut mir jetzt eine erste Klasse an, also das zeigt schon, dass wir Studierenden schon einiges auf dem Kasten haben.“

Lehrermangel trübt Ferienbeginn

In den Schulschluss in Ostösterreich mischt sich bei vielen die Sorge, wie man im Herbst den sich verschärfenden Lehrermangel in den Griff bekommt. Bildungsminister Martin Polaschek will den Quereinstieg erleichtern.

Einfachere Zugänge für Quereinsteiger in Wien

Neben Lehramtsstudenten setzt Wien schon jetzt auch auf Leute mit anderen Hochschulstudien. So können etwa Quereinsteiger ohne Lehramt Mathematik aber mit Diplomstudium Mathematik unterrichten. Sie werden etwa von der gemeinnützigen Vereinigung „Teach for Austria“ nach einem pädagogischen Kurs für zwei Jahre an Schulen vermittelt.

Marcus Weissengruber ist danach sogar im Lehrberuf geblieben. Der Theaterwissenschafter unterrichtet seit vier Jahren an der Polytechnischen Schule Wien 15. Für ihn ist Beziehungsarbeit das Wichtigste am Lehrerjob: „Wenn ich ein Mensch bin, der gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeitet und auch gut mit ihnen kann, bin ich schon mal gut in der Schule aufgehoben.“ Den Rest könne er von Kolleginnen und Kollegen lernen und abschauen, die schon länger in dem Beruf arbeiten.

Bund will Quereinstieg attraktiver machen

Der Bund, der ja für die Ausbildung von Lehrern zuständig ist, will den Quereinstieg aus fachverwandten Studienfächern noch verbessern. Es soll keinen Sondervertrag mehr geben, sondern eine Vollanstellung und volle Bezüge. Auch über eine Verkürzung des Lehramtstudiums wird nachgedacht.

Aus Wien heißt es dazu, das seien alles gute Initiativen. Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) wirft aber die Frage auf, was man dagegen tun könne, dass manche Jungpädagogen gar keine volle Lehrverpflichtung wollen oder manche sogar ganz aussteigen: "Wir sehen bundesweit, dass schon Lehrerinnen und Lehrer fehlen, vereinzelt. Wir bemühen uns sehr darum, den Beruf so attraktiv wie möglich zu machen, weil es ist für mich der wichtigste Beruf unserer Republik.“

Experte spricht von „strukturellem Versagen“

Ganz anders steht der Bildungsexperte Stefan Hopmann zum Thema Quereinsteiger. Er bezeichnete es in „Wien heute“ kurz und bündig als sinnlos. Auch von Lehrermangel will er nicht sprechen: „Die Pensionierungswelle war absehbar. Man hat nichts getan. Dass bestimmte Fächer besonders getroffen sind, war absehbar. Man hat nichts getan. Dass Corona das verschlimmert? Keine Frage. Aber nicht die Krankheit selbst, sondern wie man mit den Leuten umgeht.“

Für ihn ist aber besonders wichtig, „selbst unter solchen Bedingungen haben wir immer noch mehr Lehrkräfte pro Schülerinnen und Schüler als die meisten Länder, mit denen wir uns vergleichen“. Aber anders als die anderen sei in Österreich nicht dafür gesorgt worden, Assistenzpersonal und andere Hilfskräfte in den Schulen einzusetzen, damit sich Lehrer auf den Unterricht konzentrieren könnten: „Wir hätten die Lehrkräfte eigentlich schon, wenn wir den Unterricht ordentlich organisieren würden“, so Hopmanns Resümee.

Es gebe genügend Schulen, die mit genauso viel Lehrkräften ohne Schwierigkeiten sehr guten Unterricht machen. Auch gehe es eigentlich nicht um die Ausbildung, „sondern es geht wirklich darum, um das strukturelle Versagen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass in den Schulen mit dem Personalressourcen vernünftig umgegangen werden kann“.

Quereinsteiger ein „alter Hut“

Hopmann erinnerte in dem Gespräch auch daran, dass schon vor Jahren im Zuge einer Reform vieles von dem vorgeschlagen worden sei, was jetzt wieder aktuell werde: berufsbegleitende Ausbildung für Lehrer oder vernünftige Quereinsteiger-Modelle, aber damals seien Ministerien und Berufsverbände dagegen gewesen. Jetzt, aktuell betrachtet, wäre es das wichtigste, dass sich das Lehrerpersonal darauf konzentrieren könne, was es kann: nämlich Unterricht.

Dafür müssten Schulstandorte aber die Handlungsfreiheit bekommen, sich ihr Personal selbst zusammenzustellen, ihren Schulalltag selbst zu organisieren, sodass effektive Arbeit möglich werde: „Aber das ist genau das, was ja die Schulaufsicht und auch ein erheblicher Teil der Parteien nicht will, dass die Schulen real selbstständig handeln dürfen“, sagte Hopmann.