Entwurf der Skulptur „Lueger Temporär“ von Nicole Six und Paul Petritsch
Bildrecht, Kunst im öffentlichen Raum Wien, 2022
Bildrecht, Kunst im öffentlichen Raum Wien, 2022
Kultur

Lueger-Denkmal als antisemitischer Lernort

Das Denkmal für den Antisemiten und Ex-Bürgermeister Karl Lueger in der Wiener Innenstadt bekommt provisorisch und 2023 dauerhaft einen künstlerischen Rahmen. Kulturstadträtin Kaup-Hasler will so einen „Lernort gegen den Antisemitismus“ schaffen.

„Lueger temporär“ heißt das Projekt von Nicole Six und Paul Petritsch. Sie planen eine fragile und doch gewaltige Holzkonstruktion, die sich ab Herbst auf bis zu 13 Metern Höhe und 25 Metern Länge vor der Lueger-Statue auftürmen wird. Darin sind als Umriss 15 Elemente des öffentlichen Raums versammelt, die in Wien an den von 1897 bis 1910 amtierenden Bürgermeister erinnern – von der einstigen Lueger-Kirche über Brücken bis hin zu Plaketten.

„Wir zeigen, dass das Karl-Lueger-Denkmal in der Stadt keine singuläre Erscheinung ist“, umriss Petritsch bei der Präsentation des Modells im Rathaus das Konzept. Die rund 100.000 Euro teure Installation solle ein erster Schritt in Richtung einer Umgestaltung des Platzes hin zu einem Lernort gegen Antisemitismus und einer Reflexion werden.

Entwurf der Skulptur „Lueger Temporär“ von Nicole Six und Paul Petritsch
Bildrecht, Kunst im öffentlichen Raum Wien, 2022
In dem Kunstwerk sind 15 Elemente versammelt, die in der Stadt an Lueger erinnern

Ein Denkmal ist eine „Aufforderung zum Denken“

Einerseits ein „Lernort gegen Antisemitismus“, andererseits ein Denkmal im öffentlichen Raum als Ehrung – im Fall des Lueger-Denkmals für einen Mann, der unter anderem gesagt hat „Der Antisemitismus wird erst dann zugrunde gehen, wenn der letzte Jude zu Grunde gegangen sein wird“. Kulturstadträtin Veronika Kaup-Halser (SPÖ) verteidigte in „Wien heute“ den Plan, das Denkmal nicht aus der Öffentlichkeit zu entfernen, denn wie der Name schon sage, sei ein Denkmal zunächst einmal eine „Aufforderung zum Denken“.

Kulturelles Erbe bestehe nicht nur darin, das Schöne zu bewahren, „sondern es heißt auch eine permanente Auseinandersetzung auch mit den Schattenseiten, mit den Verfehlungen in der Geschichte“ und mit Dingen, die die Nachgeborenen kritisch betrachten. Diese Auseinandersetzung dürfe nicht aufhören. Sie glaube, dass es falsch wäre, ein Denkmal einfach ins Museum abzutransportieren, um dann nur engagierten Lehrerinnen und Lehrern für einige Schulklassen einen Zutritt zu ermöglichen.

„Kein Ehrenmal, sondern Denkmal“

Kaup-Hasler sagte, sie möchte eine breite öffentliche Debatte. In einem Museum würde der ganzen breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit zu einem Diskurs entzogen, die Debatte darüber also verkleinert. Es gehe auch um die Frage „Was heißt Populismus?“: „Was heißt Antisemitismus zur Verwendung, zur Erreichung der politischen Macht, wie es Lueger getan hat?“

Lueger sei ein großer Marketing-Mensch gewesen. Er habe es wirklich geschafft, überall sein Konterfei zu platzieren. Man müsse einer Öffentlichkeit, auch späteren Generationen, die Möglichkeit geben, sich immer wieder neu zur Geschichte zu verhalten und auch natürlich aus kritischer Distanz: „Das ist ganz klar, es ist kein Ehrenmal, sondern Denkmal.“

„Geschichte darf nicht ausgelöscht werden“

Die Installation sei ein erster Schritt, die permanente Installation ein zweiter Schritt. Eine Umbennung des Lueger-Platzes ist für Kaup-Hasler derzeit kein Thema. Sie verwies auf 170 Straßennamen, die in diesem Jahr mit Zusatztafeln versehen würden, um die Hintergründe bekannt zu machen. Aber in einer Stadt würden sich eben auch Menschen einschreiben, „die zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Bedeutung gehabt haben, die wir heute anders wahrnehmen“.

Das sei richtig, aber auch eine Möglichkeit, die Debatte über die Tafeln auch weiter voranzutreiben. Geschichte dürfe nicht ausgelöscht werden, eine Stadt dürfe nicht von allem freigeräumt werden, was die Menschen störe. Das würde eine Stadt gesichtslos machen und den nächsten Generationen jegliche Form der Auseinandersetzung nehmen.

Dauerhafte Lösung ab 2023

Vor einigen Monaten hatte die Stadt Wien entschieden, das umstrittene Karl-Lueger-Denkmal an der Ringstraße dauerhaft künstlerisch neu einzuordnen. 2023 will man mit der Umsetzung eines entsprechenden Konzeptes beginnen. Bis dahin setzt man auf eine temporäre künstlerische Intervention am 1926 für den früheren Bürgermeister und Antisemiten Lueger (1844-1910) errichteten Denkmal.

Zustimmung für dieses Konzept und den Standpunkt der Stadt kommt auch von Markus Figl (ÖVP), dem Bezirksvorsteher der Inneren Stadt: „Es gibt in der Geschichte Licht- und Schattenseiten. Und wir müssen uns diesen Schattenseiten stellen und dürfen diese nicht beschönigen.“

Das Lueger Denkmal in Wien, fotografiert am Montag, 27. Juni 2022.
APA/ROLAND SCHLAGER
Das Lueger-Denkmal wird von Kritikerinnen und Kritikern immer wieder beschmiert

Wettbewerb im Herbst

Im Herbst soll es einen Wettbewerb mit 15 Künstlerinnen und Künstlern zur permanenten Kontextualisierung geben, organisiert von der stadteigenen KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) und mit einem Budget von 500.000 Euro ausgestattet. Das Siegerprojekt dieses Bewerbs soll im Frühjahr 2023 präsentiert werden, wobei man für den Bau den Herbst desselben Jahres anstrebt.

Zuletzt hatte die Internationale Liga gegen Rassismus und Antisemitismus in Österreich (Licra) in Person von Co-Präsident Benjamin Kaufmann eine Entfernung des Denkmals und Neuaufstellung im musealen Kontext gefordert. Zuvor hatte es auch einen Offenen Brief namhafter Holocaustüberlebender wie Nobelpreisträger Eric Kandel und Schriftsteller Georg Stefan Troller gegeben, in dem eine Entfernung gefordert wurde – eine Forderung, der sich auch die Wiener Grünen anschlossen.

Blimlinger für Umbenennung des Platzes

Die gedenkpolitische Sprecherin der Grünen, Eva Blimlinger, zeigte sich vom Projekt angetan: „Das Karl-Lueger-Denkmal wird – so wie die Pläne nun aussehen – Ausgangspunkt sein für Erklärungen und historische Blicke auf den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger.“ Die Entscheidung, den Lueger-Platz nicht umzubenennen, kritisierte sie: „Wer will schon eine Postadresse mit einem bekannten Antisemiten auf der Visitenkarte? Was mit der Umbenennung des Lueger-Rings in Universitäts-Ring möglich war, muss auch für den Lueger-Platz gelten.“