Vizebürgermeister und Stadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) und Kinder-und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs bei der Pressekonferenz zum Prüfbericht
APA/Robert Jäger
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Chronik

Missbrauch in Kindergarten: Neue Ombudsstelle

Erst heuer ist ein Verdachtsfall des sexuellen Missbrauchs in einem Kindergarten in Wien-Penzing bekanntgeworden. Ein Prüfbericht zeigt nun, dass Eltern bereits seit 2020 über Auffälligkeiten berichteten. Die Stadt richtet nun unter anderem eine Ombudsstelle ein.

Die Ombudsstelle wird bei der für die Kindergärten zuständigen Magistratsabteilung 10 eingerichtet, kündigte Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) an. Die Ombudsstelle soll weisungsfrei sein und sowohl dem Personal als auch den Familien zur Verfügung stehen.

Zudem wird es eine Whistleblower-Plattform geben, „vor allem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MA 10, um hier wenn gewollt auch anonym Sachverhalte melden zu können“, so Wiederkehr. Zudem bekommen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der MA 10 bis Jahresende eine Schulung in Sachen Kinderrechte. Wiederkehr kündigte auch an, dass das Kinderschutzkonzept der Stadt weiterentwickelt „und so implementiert wird, dass es für alle verständlich ist“.

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Auffälligkeiten bei zwölf Kindern

Die Maßnahmen basieren auf Empfehlungen aus dem Prüfbericht, der unter Federführung der Kinder- und Jugendanwaltschaft erstellt wurde. Der Bericht zeigt auf, dass die Eltern in dem städtischen Kindergarten in Penzing viel zu lange nicht ernst genommen wurden. Zwölf Eltern berichteten bereits seit 2020 über Auffälligkeiten bei ihren Kindern. Dennoch seien die weiteren Eltern nicht oder nur „halb“ über die Vorwürfe informiert worden, so Kinder- und Jugendanwalt Ercan Nik Nafs am Donnerstag in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Stadtrat Wiederkehr.

Die Auffälligkeiten reichten von Alpträumen und plötzlichem Bettnässen über die permanente Weigerung, in den Kindergarten zu gehen, bis zu Angst vor dem Klo und dem Waschraum im Kindergarten, erläuterte Nik Nafs. Es habe nicht einmal Aufklärung gegeben, „als sich unter den Kindern das Gerücht verbreitete, der (versetzte, Anm.) betroffene Pädagoge sei an Corona gestorben“.

Laut Prüfbericht wandten sich die Eltern von acht dieser zwölf Kinder schon vor März 2021 an die Pädagoginnen und Pädagogen bzw. die Leitung des Kindergartens – also zu einem Zeitpunkt, als der des Missbrauchs verdächtige Mitarbeiter noch dort tätig war.

Kritik an hierarchischen Strukturen

Nik Nafs kritisierte die hierarchischen Strukturen. Eltern von betroffenen Kindern seien mit der Bitte, auch andere Eltern zu informieren, zurückgewiesen worden – mit dem Hinweis, man warte zunächst auf eine „Entscheidung von oben“. Er ortete eine „mangelnde Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung“ und Angst vor Vorgesetzten.

In dem Bericht wird „zumindest in Teilen der Organisation eine problematische Unternehmenskultur“ verortet. „Aus der Fallgeschichte wird deutlich, dass das Beschwerde- und Krisenmanagement der MA 10 unzureichend ist“, heißt es weiter im Fazit des Berichts.

Wiederkehr: „Großer Aktionsplan Kinderschutz“

Der Bericht zeige auf, „dass hier nicht früh genug mit den Eltern kommuniziert worden ist“, sagte Wiederkehr. Die Prüfung lege auch dar, dass es Kinderschutzrichtlinien gab, aber vielleicht zu komplexe. Die Frage von Schuld oder Nicht-Schuld des Pädagogen „ist keine Frage, die ich als Politiker beantworte oder auch der Bericht“, betonte der Vizebürgermeister. Es gelte die Unschuldsvermutung, die Staatsanwaltschaft führe Ermittlungen.

Die Ableitungen aus dem Bericht sollen einerseits den Kinderschutz stärken, andererseits das Vertrauen in städtische Bildungseinrichtungen. Der Prüfbericht sei der Startpunkt für einen „großen Aktionsplan Kinderschutz“ in der Stadt, so Wiederkehr. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft empfahl auch die Etablierung eines Wiener Kinderschutzgesetzes. Wiederkehr kündigte an, dass in der kommenden Woche Gespräche zu dem Thema stattfinden.

Kritik von ÖVP und Grünen

Für die Wiener Grünen zeigt der Prüfbericht „ein katastrophales Bild auf struktureller Ebene und ein komplettes Kommunikationsversagen“, wie Bildungssprecherin und -sprecher Julia Malle und Felix Stadler in einer Aussendung zitiert werden. Wiederkehr sei gefordert, die MA 10 komplett neu aufzustellen. Die geplante Ombudsstelle begrüßten die Grünen, aber: „Das alles geht jedoch zu wenig weit.“ Kritisiert wurde unter anderem, dass der angekündigte Aktionsplan nur für die städtischen Kindergärten gelte.

Die Wiener ÖVP sieht nun „das massive und fatale Systemversagen in der MA 10“ im Zusammenhang mit dem Missbrauchsfall belegt. Die Causa müsse endlich zur Chefsache werden: „Bürgermeister (Michael, SPÖ, Anm.) Ludwig muss nun seiner Verantwortung als Stadtoberhaupt nachkommen“, forderten ÖVP-Wien-Klubobmann Markus Wölbitsch und -Bildungssprecher Harald Zierfuß in einer Aussendung. Das Kinderschutzkonzept müsse spätestens Anfang September fertig sein, die Ombudsstelle müsse unabhängig sein.

Gewerkschaft: Zusätzliches Personal notwendig

Laut der Gewerkschaft younion braucht es für die im Prüfbericht empfohlenen Regeln mindestens 350 neue Beschäftigte in den städtischen Kindergärten. "Dabei möchte ich den Stadtrat erinnern, dass ohnehin 350 Pädagog*innen fehlen. Außerdem wurden die privaten Einrichtungen kaum erwähnt. Gelten die Empfehlungen nur für städtische Einrichtungen?“, fragte Manfred Obermüller von younion in einer Aussendung. Man wolle nun Taten sehen, „und nicht nur Papiere lesen, die Vorwürfe gegen das Personal erheben, ohne dass sie sich dagegen wehren können“.

Elternanwalt: Anzeige wegen Schweigens denkbar

In den strafrechtlichen Ermittlungen gab es laut Auskunft der Sprecherin der Wiener Staatsanwaltschaft, Nina Bussek, unterdessen keine neuen Erkenntnisse. Derzeit werde gegen zwei Verdächtige in vier Verdachtsfällen ermittelt. Dabei gehe es bei einem der beiden aber nicht um sexuellen Missbrauch Unmündiger, sondern um möglicherweise strafrechtlich relevante Erziehungsmethoden.

Dass vertuscht und verheimlicht worden sei, „wissen wir seit Mai“, sagte der Rechtsanwalt Johannes Bügler. Er vertritt Eltern mehrerer betroffener Kinder. Eine Reihe von Eltern habe vorerst „bewusst offen gehaltene“ Sachverhaltsdarstellungen eingebracht, sagte Bügler zu bereits von ihm angekündigten Anzeigen gegen die Stadt.

In einem weiteren Schritt könnte er sich vorstellen, dass „das ein Jahr lange Schweigen den Eltern gegenüber als Verletzung der vertraglichen Nebenleistungspflicht“ angezeigt werden könnte.