Reinhard Haller im „Wien heute“-Studio
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Chronik

Haller: „Neue Form der Frauenmorde“

Die Gewalt gegen Frauen nimmt zu: Allein heuer sind laut Polizei in Wien schon sieben Frauen ermordet worden. Der Gerichtspsychiater Reinhard Haller, der für Prozesse viele Gewalttätet befragte, ortet seit ein paar Jahren eine „neue Form der Frauenmorde“.

Frauentötungen habe es natürlich immer schon gegeben, sagt Reinhard Haller, aber früher habe es sich eher um Sexualmorde gehandelt. „Heute haben wir hingegen eher diese Affektdelikte und eben die neue Form der Frauenmorde, das muss man wirklich sagen“, so Haller in der Interview-Reihe „Bei Budgen“. „Deren Charakter ist seit drei, vier Jahren ein anderer geworden, es steht nämlich die Rache, das Heimzahlen im Mittelpunkt.“

Früher sei es häufig etwa im Zuge eines Streits zu einem Mord gekommen, schildert Haller. Der Täter greife dabei zu jener Waffen, die immer hier sei – Hände oder Küchenmesser. „Und der Täter war nachher fassungslos, hat das nicht begreifen können, hat noch selbst die Rettung gerufen“, so der Gerichtspsychiater. „Heute ist das anders geworden, heute lauert der Täter in vielen Fällen dem weiblichen Opfer auf, vor dem Arbeitsplatz, vor dem Kindergarten, vor dem Einkaufszentrum. Richtet das im Prinzip öffentlich hin und ist nachher geradezu, ich will nicht sagen stolz, aber zumindest hat er das Gefühl, dass das eine gerechte Sache war.“

„Bei Budgen“ mit Reinhard Haller

Langfassung des Interviews

Gerichtspsychiater seit knapp 40 Jahren

Reinhard Haller, der eigentlich Priester werden wollte, ist seit knapp 40 Jahren Psychiater und Gerichtssachverständiger. Mittlerweile war er bei tausenden Prozessen dabei, unter anderem bei jenen gegen den Serienmörder Jack Unterweger und den Briefbomber Franz Fuchs. Die Psyche des Menschen ergründete der 70-jährige auch in zahlreichen Büchern. In seinem aktuellen Buch geht es darum, „Wie Hass entsteht und was er mit uns macht“, auch mit dem Thema Femizide beschäftigt Haller sich darin.

Er habe ungefähr 32 Frauentöter begutachtet, so der Gerichtspsychiater: „Und wenn man mit denen spricht, dann hat man nachher immer den Eindruck, jetzt habe ich eigentlich mit dem Opfer gesprochen.“ Es gehe dabei immer um Kränkungen und die Angst vor Liebesentzug, mit dem diese Männer nicht umgehen könnten.

„Unser Männerbild müsste ein anderes werden“

Kurzfristige Lösungen gegen diese Gewalt gegen Frauen werde es wahrscheinlich nicht geben, meint Haller in „Bei Budgen“. Mittelfristig müsste man vor allem auch auf der Täterseite ansetzen. So müsste unser Männerbild ein anderes werden: „Dass ein Mann auch Schwächen zeigen darf, dass man auch verzweifelt sein darf.“ Würde es gelingen, dass bei den Männern wieder die warmen Gefühle mehr da sein dürfen, „dann hätten die kalten, und zu denen gehört natürlich in letzter Linie der Mord, keinen Platz mehr“, so die Hoffnung des Gerichtspsychiaters.