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APA/Georg Hochmuth
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Chronik

Terroranschlag: Sechs Männer angeklagt

Sechs Männer müssen sich wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung am Terroranschlag in Wien am 2. November 2020 vor Gericht verantworten. Einen Bericht der Tageszeitung „Der Standard“ bestätigte die Staatsanwaltschaft Wien.

Eineinhalb Jahre nach dem Terroranschlag, bei dem ein Terrorist vier Menschen getötet und zahlreiche andere verletzt hat, liegt die Anklage vor. Gegen sechs Männer wird Anklage erhoben, fünf davon befinden sich laut „Standard“ seit Monaten in Untersuchungshaft. Sie hätten den Anschlag „ermöglicht, erleichtert, abgesichert oder in einer anderen Weise gefördert“, heißt es in der Anklageschrift.

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien bestätigte den Bericht am Mittwochabend. Den Angeklagten werden im Wesentlichen die Verbrechen der Beteiligung an terroristischen Straftaten in Verbindung mit Mord, terroristische Vereinigung und kriminelle Organisation vorgeworfen. Die angeklagten Männer sind zwischen 21 und 32 Jahre alt.

20 Zeugen geladen

Einer der Angeklagten ist jener Mann, der den Attentäter auf seiner Fahrt in die Slowakei begleitet hat, wo dieser dann Munition kaufen wollte. Einem weiteren wird vorgeworfen, er soll den Anschlag mit dem Attentäter geplant und die „Tatwaffen samt Munition und weiterer Anschlagsutensilien“ vorbereitet haben.

Insgesamt sollen die Tatbeteiligungen der Angeklagten laut „Standard“ enger sein als bisher angenommen. Geladen werden laut Anklage 20 Zeugen, darunter auch jener Mann, der die Waffen und Munition für den Anschlag nach Wien brachte und dann an den Attentäter verkauft haben soll. Alle Angeklagten bestreiten die Vorwürfe, für sie gilt die Unschuldsvermutung. Die Anklage ist noch nicht rechtskräftig.

Eigener Prozess gegen engen Kontaktmann

Ein enger Kontaktmann des Attentäters scheint nicht in der Anklageschrift auf. Gegen ihn wird getrennt verhandelt. Dem Nordmazedonier wird laut „Standard“ die Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vorgeworfen. Er soll an einem internationalen Dschihadistentreffen im Sommer 2020 in Wien teilgenommen haben. Aus Sicht der Ermittler soll er in Sankt Pölten eine Wohnung angemietet haben, um Sympathisanten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzuwerben. Dort soll auch der spätere Attentäter verkehrt haben.

Laut Anklage „weiterhin treue Anhänger des IS“

Der Attentäter verübte am 2. November 2020 in der Innenstadt den Terror-Anschlag, bei dem er vier Passanten tötete und 23 Menschen teilweise schwer verletzte, ehe er von der Polizei erschossen wurde. Im April 2019 war er bereits gemeinsam mit einem nunmehr Angeklagten – ein 24 Jahre alter Mann – vom Wiener Landesgericht wegen terroristischer Vereinigung zu 22 Monaten Haft verurteilt worden. Der Grund: Er hatte Propagandamaterial der IS verbreitet, deren Methoden und Zielsetzungen gerechtfertigt und zudem versucht hatte, nach Syrien zu gelangen, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen.

Im Dezember 2019 wurden beide Männer unter Anrechnung der U-Haft aus dem Gefängnis entlassen. Trotz ihrer Vorverurteilung und ihrer fortlaufenden Betreuung durch den Verein Derad hielten sie an ihrer radikal-islamistischen Gesinnung fest und waren laut Anklage „weiterhin treue Anhänger des IS“. Über soziale Medien und in Form persönlicher Treffen hielten sie „regen Kontakt zu anderen Personen aus der radikal-islamistischen Szene“, hält die Staatsanwaltschaft in ihrer 117 Seiten starken Anklageschrift fest.

Tatortermittler am Schwedenplatz
APA/Hans Punz
Vier Menschen wurden bei dem Attentat getötet, 23 verletzt

Ab April 2020 wurde Vorbereitung „immer intensiver“

Derzufolge soll sich der Attentäter noch in Strafhaft mit Plänen zu einem Terror-Anschlag beschäftigt haben. In der Anklage ist von „Überlegungen“ die Rede, „nach seiner Entlassung einen terroristischen Anschlag unter Verwendung von Schusswaffen in der Wiener Innenstadt zu verüben“.

Laut Anklage erkundigte sich der spätere Attentäter bei einem Mithäftling, wie man in Österreich an Waffen gelangen könne, da er nach seiner Enthaftung einen Anschlag am Stephansplatz verüben wolle. Der Attentäter habe aus seinen terroristischen Absichten „in der Haft kein Geheimnis“ gemacht, betont die Staatsanwaltschaft. Nachdem er auf freien Fuß kam, habe er sich ab April 2020 „immer intensiver“ damit beschäftigt.

Auf der Suche nach Waffen kontaktierte der Attentäter einen Kindheitsfreund, der zu diesem Zeitpunkt im Gefängnis saß und sich mittels eines illegalen Mobiltelefons nach Waffenhändlern umhörte. So kam der 32-jährige Tschetschene ins Spiel. Der Kindheitsfreund, der nun ebenfalls zur Anklage gebracht wurde, soll Gespräche über den Kaufpreis für ein Sturmgewehr sogar bei einem persönlichen Treffen in der Justizanstalt geführt haben.

Munitionskauf scheiterte

Einem weiteren Angeklagten – ein 23 Jahre alter Mann, der sich als Einziger der sechs nicht seit vielen Monaten in U-Haft befindet – wirft die Staatsanwaltschaft vor, den Attentäter im Juli 2020 in die Slowakei begleitet zu haben, wo die beiden Munition kaufen wollten. Das Vorhaben scheiterte.

In weiterer Folge intensivierte sich die Beziehung des Attentäters zu einem 28-Jährigen gebürtigen Afghanen, dem die Anklagebehörde eine besonders tatkräftige Unterstützung bei dessen mörderischen Plänen zuschreibt. Der Afghane soll sogar seinen Wohnsitz in die Wohnung des Attentäters verlegt haben, „um diesen bei der Vorbereitung und der Planung des Anschlags zu unterstützen“. Die beiden hätten „fortan gemeinsam eingehend an der Umsetzung des terroristischen Anschlags“ gearbeitet.

Unterstützung „bei den letzten Vorbereitungen“

Aus der Anklage lässt sich rekonstruieren, wie der Attentäter den Ermittlungsergebnissen zufolge die Stunden vor dem Anschlag verbrachte. Am 1. November 2020 suchte er demnach seine Wohnung auf, die er bis zum Anschlag nicht mehr verließ. Am Nachmittag des 1. November stießen der 32 Jahre alte Tschetschene und der 24 Jahre alte Afghane zu ihm, wobei sie „bei den letzten Vorbereitungen zum Anschlag, insbesondere bei der Aufbereitung und Munitionierung der Tatwaffen sowie (…) bei der Herstellung der beim Anschlag getragenen Sprengstoffgürtelattrappe“ geholfen haben sollen.

Am 2. November setzte der Attentäter am frühen Morgen sein Handy auf Werkseinstellungen zurück und postete auf Instagram einen Abschiedsbrief. Im Verlauf des Tages langten dann auch noch sein einstiger Reisebegleiter Richtung Syrien, mit dem er gemeinsam verurteilt worden war, und ein 22-jähriger IS-Sympathisant in der Wohnung ein. Der Anklage zufolge unterstützten die zwei den Attentäter „bei den letzten Vorbereitungen des unmittelbar bevorstehenden Anschlags, insbesondere bei der Auswahl eines potenziellen Anschlagsziels“.

Diese beiden Männer sahen laut Anklage sogar zu, wie sich der Attentäter bewaffnete, eine gemeinsam mit dem Afghanen gebastelte Sprengstoffgürtelattrappe überstreifte, eine Machete an sich nahm und von 15.08 Uhr bis 16.25 Uhr eine Bekennerbotschaft und den Treueeid auf den IS aufnahm und danach ins Internet stellte. Um 17.44 Uhr stellte der Attentäter auf seinem Instagram-Account dann folgenden Text online: „Bald – so Gott will – werden wir es (das Kalifat, Anm.) zurückbringen wie es ursprünglich war #Islamischer Staat #Kalifat Islamischer Staat #Dubai #Libanon #Saudi-Arabien #Syrien #Frankreich #Griechenland #Deutschland #Türkei #Amerika“.

Bekennervideo einen Tag nach Anschlag veröffentlicht

Das Bekennervideo wurde bereits am 3. November auf IS-nahen Social-Media-Kanälen unter der Überschrift „Tötung und Verletzung von 30 Kreuzrittern durch einen Soldaten des Kalifats in der Stadt Wien in Österreich“ veröffentlicht. Für die Staatsanwaltschaft Wien ist „zweifelsfrei belegt (…), dass der Attentäter im Vorfeld tatkräftig durch die Angeklagten in der ideologischen und logistischen Vorbereitung des Anschlags unterstützt wurde“.

Die Anklagebehörde geht weiters davon aus, dass der Anschlag in Verbindung zur neuerlichen Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen anlässlich des Beginns des Gerichtsverfahrens zum Terror-Attentat auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ im Herbst 2020 und kurz danach im Namen des IS durchgeführten Attentaten in Nizza und in einem Pariser Vorort stand. Denn ursprünglich hatte der Attentäter offenbar geplant, ein französisches Lokal in der Innenstadt unter Beschuss zu nehmen. Das hatte an jenem Abend allerdings geschlossen.

Belastet werden die Angeklagten vor allem auch von den Ergebnissen mehrerer DNA-Gutachten. Genetische Merkmale des Tschetschenen fanden sich auf der beim Anschlag verwendeten Pistole und am Tatort sichergestellten Patronen. Spuren des Afghanen fanden sich unter anderem an einem Klebebandstück der Maschinenpistole, an der MP-Schulterstütze, Patronen und der Machete. In einem Ergänzungsgutachten schloss die DNA-Sachverständige dezidiert aus, dass es sich dabei um indirekte Spurenübertragung gehandelt haben könnte. Vielmehr seien es „direkte Kontaktspuren“.