Bernhard Kittel
ORF
ORF
Soziales

Experte fordert dringend Verteilungsdebatte

Von Essen bis Strom: Alles wird derzeit teurer. Für immer mehr Menschen ist das ein existenzielles Problem. Der Wiener Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel fordert, dringend über Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren. Die Einmalzahlungen würden ja „verpuffen“.

Die aktuellen Einmalzahlungen vom Bund und etwa der Stadt Wien seien „eine Nothilfe, die jetzt unmittelbar reagiert“, sagte Kittel im Interview mit „Wien heute“. „Aber es wird notwendig sein, jetzt auch über Verteilungsfragen zu diskutieren“, so der Professor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien.

Es müsse bestimmten Bevölkerungsgruppen geholfen werden, und man werde sich überlegen müssen, wer das zahle. „Man kann wieder mal an der Einkommenssteuerschraube drehen. Man kann aber auch an anderen Steuerschrauben drehen, wie zum Beispiel ernsthaft nachzudenken über Vermögens- und Erbschaftssteuern, über Spekulationssteuern“, betonte der Wirtschaftssoziologe. Die Profiteure der Teuerung sollten auch zur Kasse gebeten werden.

Teuerung: Wirtschaftssoziologe über gesellschaftliche Folgen

Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel von der Uni Wien spricht im Interview über mögliche Auswirkungen der Teuerung auf die Gesellschaft und ob eine Debatte um Neid und Verteilungsgerechtigkeit entstehen könnte.

Teuerung wird zunehmend auch Mittelschicht betreffen

Die Debatte um Verteilungsgerechtigkeit sei so alt wie die Gesellschaft selbst, Kittel. „Was wir vielleicht als eine neuere Entwicklung beobachten können, ist ein Prozess, den der britische Historiker Paul Kennedy ‚Vampire Capitalism‘, also Kapitalismus der Vampire, genannt hat: Eine kleine Gruppe von Superreichen saugt den Rest der Gesellschaft aus.“

Grundsätzlich werde die Teuerung beginnend mit Menschen mit geringem Einkommen zunehmend jene knapp über der Armutsgrenze betreffen. „Und dann zunehmend wird es weiter in die Mittelschicht hineinwachsen“, prognostizierte Kittel.

Experte hofft auf Sozialpartnerschaft

Auch die Gefahr von Auseinandersetzungen auf der Straße schließt der Experte nicht aus. Denn neben der Gewerkschaft würden auch Gruppen aus dem rechtsextremen Bereich Aktivitäten planen. „Es wird notwendig sein, sehr genau zu schauen, was die
verschiedenen Gruppierungen tun, um zu vermeiden, dass es hier auf der Straße zu Auseinandersetzungen kommt.“

Kittel verwies jedoch gleichzeitig auf die in Österreich gelebte Tradition der Sozialpartnerschaft, die „etwas versteckt“ noch existieren würde. Durch diese Tradition sei Österreich vergleichsweise gut durch die Teuerungswelle der 1970er Jahre gekommen. „Insofern setze ich doch eine gewisse Hoffnung in die Fähigkeit der Vertretungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, hier Kompromisse zu finden“, meinte der Wirtschaftssoziologe.

Aufnahmestopp bei Caritas-Einrichtung LeO

Große Zuwächse bei der Nachfrage verzeichnen unterdessen weiter die Sozialmärkte. In der Caritas-Einrichtung LeO in der Pfarre Alt-Ottakring beobachtet man seit dem Frühjahr mehr Andrang, parallel zu den Anstiegen der Preise. „Wir haben früher pro Woche in etwa 14 Tonnen Lebensmittel ausgegeben. Jetzt hatten wir Wochen mit 26 Tonnen pro Woche“, schilderte der Leiter der Einrichtung, Georg Engel, gegenüber „Wien heute“.

Konkrete Hilfe gegen Teuerung gefordert

Die Teuerung ist für viele Menschen ein Problem, für immer mehr sogar ein existenzielles. Hilfsorganisationen wie die Caritas fordern nun, dass Sozialleistungen schnell angepasst werden.

Pro Haushalt wird hier ein Lebensmittelpaket pro Woche ausgegeben – ab vier Personen im Haushalt gibt es zwei Pakete pro Woche. Für eine Bezugsberechtigung muss man sich mit einem entsprechenden Einkommensnachweis bei der Caritas anmelden, doch seit einigen Wochen gibt es einen Aufnahmestopp für das LeO-Programm, weil man einfach nicht mehr leisten kann.