Fall Tina (Tina mit Anwalt Embacher)
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Fall Tina: Griss sieht Kinderrechte gestärkt

Einen Tag nachdem der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) festgestellt hat, dass die Abschiebung im Fall der Schülerin Tina rechtswidrig war, sehen Irmgard Griss, die Präsidentin der Kindeswohlkommission, sowie Tinas Anwalt die Kinderrechte gestärkt.

Für Irmgard Griss, die Präsidentin der Kindeswohlkommission, die nach der Abschiebung der damals zwölfjährigen Tina nach Georgien eingesetzt worden ist, hat die jüngste Entscheidung in dem Fall die Kinderrechte gestärkt: Der Verwaltungsgerichtshof habe nun festgestellt, dass das Kindeswohl, „das ja immer vorrangig zu berücksichtigen ist“, stärker als das Fehlverhalten der Eltern sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sieht die Entscheidung nicht als richtungsweisend.

Auch der Anwalt des Mädchens, Wilfried Embacher, geht davon aus, dass „bei künftigen Entscheidungen besser auf das Kindeswohl geachtet wird. Das bedeutet ganz konkret, dass das Verhalten der Eltern nicht so gewichtig sein wird“, sagte Embacher gegenüber „Wien heute“.

Fall Tina: Abschiebung war rechtswidrig

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Fall Tina zurückgewiesen. Das teilte der Anwalt des Mädchens am Dienstag mit. Die Abschiebung im Jänner 2021 ist somit rechtswidrig.

Trennung der Familie rechtswidrig

Am Dienstag war bekannt geworden, dass der VwGH die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) im Fall Tina zurückgewiesen hat. Das BFA hatte eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die umstrittene Abschiebung rechtswidrig war, bekämpft.

Der VwGH ist nunmehr aber unter anderem der Ansicht gefolgt, dass der Geburt in Österreich und der hervorragenden – auch schulischen – Integration Tinas besonderes Gewicht zukomme und die Abschiebung im Jänner 2021 als unverhältnismäßig zu qualifizieren war. Das Höchstgericht verwies auch auf den Umstand, dass eine Trennung der Familie nicht zulässig gewesen wäre. Es sei somit rechtskonform, dass das Bundesverwaltungsgericht auch die Abschiebung der damals fünfjährigen Schwester und der Mutter für rechtswidrig erklärt habe.

Berücksichtigung des Kindeswohl im Asylgesetz

Das Urteil sage ganz klar, dass es eben Fälle geben könne, in denen zwar die Eltern „rechtsmissbräuchlich gehandelt haben“, aber „dennoch die Beachtung des Kindeswohls dazu führt, dass die Familie in Österreich bleiben darf“, meinte Griss am Mittwoch im Ö1-„Morgenjournal“. „Man wird jetzt vor einer Abschiebung noch einmal prüfen müssen, ob nicht eine solche Abschiebung das Kindeswohl verletzt“, sieht Griss durchaus eine richtungsweisende Entscheidung. Die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls sollte im Asylgesetz ausdrücklich festgelegt werden, forderte Griss.

Gegenüber „Wien heute“ betonte sie außerdem, dass die gesamte Familie zurück nach Österreich kommen und einen Aufenthaltstitel bekommen sollte. „Sonst wäre die Entscheidung wirkungslos und das können wir bei Gerichtsentscheidungen doch nicht annehmen“, so Griss.

Auch Embacher betonte in der „ZiB 2“ am Dienstagabend, dass das Urteil für Tinas Schwester und Mutter bedeute, dass sie nun problemlos nach Österreich einreisen dürften und einen Aufenthaltstitel bekommen müssten. Abgesehen von Tina, die ein Schüler-Visum hat, „haben die Familienmitglieder kein Aufenthaltsrecht; daran ändert auch der Beschluss des VwGH nichts“, hielt das BFA auf APA-Anfrage fest.

VwGH-Beschluss ohne Auswirkungen

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) betonte hingegen in einer schriftlichen Stellungnahme, dass der Beschluss des VwGH „keine unmittelbaren Auswirkungen“ habe. Der VwGH habe „eine rein verfahrensrechtliche, keine inhaltliche Entscheidung getroffen“. Die Entscheidung sei „nicht richtungweisend, weil sie im Wesentlichen nur bestehende Rechtsprechung wiederholt“.

Der VwGH führe auch aus, dass das Bundesverwaltungsgericht „in Anbetracht des fortgesetzten massiven fremdenrechtlichen Fehlverhaltens der Mutter auch zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können“, hieß es in der Stellungnahme des BFA.

Das Innenministerium und das Bundesamt hätten zudem bereits zahlreiche Empfehlungen der Kindeswohlkommission umgesetzt. Man habe etwa einen Leitfaden mit den wesentlichen Kriterien erarbeitet, anhand derer das Kindeswohl zu prüfen ist. Weitere Maßnahmen würden laufend geprüft.

Entschädigung für Familie gefordert

Der VwGH-Beschluss habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf anhängige Verfahren der Familienmitglieder, „schließlich hat weder das BVwG noch der VwGH erkannt, dass der Familie in Österreich ein Aufenthalt zu ermöglichen ist, sondern, dass die Abschiebung rechtswidrig gewesen sei“. Eine visumsfreie Einreise und ein Kurzaufenthalt sei unter den Voraussetzungen, die alle Drittstaatsangehörige erfüllen müssen, weiterhin zulässig, so das Bundesamt.

Zur Forderung des Anwaltes einer „ordentlichen Entschädigung“ für die Familie verwies das BFA darauf, dass ein Amtshaftungsanspruch vor den Zivilgerichten geltend zu machen sei. „Sollte ein derartiger Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden, wird das BFA anhand der Rechts- und Sachlage den Sachverhalt prüfen und im Amtshaftungsverfahren zum Sachverhalt Stellung nehmen.“

Im Büro des damaligen Innenministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) wurde lediglich auf die Stellungnahme des Innenministeriums verwiesen.

Tina bei Gastfamilie in Wien

Die Abschiebung Tinas und ihrer Familie nach Georgien hatte für großes Aufsehen gesorgt und erfolgte unter Protesten – inklusive Sitzblockaden vor dem Familienabschiebezentrum. Im Dezember 2021 war die mittlerweile 14-Jährige wieder nach Wien zurückgekehrt und hatte später ein Schülervisum erhalten. Momentan verbringt sie ihre Ferien bei ihrer Mutter in Georgien und kommt vor Schulbeginn wieder in die Stadt. In Wien lebt sie bei einer Gastfamilie.