In der Währinger Straße an der Ecke zum Gürtel liegt die Wiener Volksoper, zur Hälfte eingepackt in Abdeckungen und Gerüste. Darunter befindet sich eine neue Fassade: sie ist saniert, gereinigt, und vor allen Dingen rosa – mit einem blauen, handgeschriebenen „Volksoper“-Schriftzug. Im Inneren ist ein neues energiesparendes LED-Beleuchtungskonzept installiert, in den nächsten Monaten kommt eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach, die ein Viertel des Strombedarfs decken soll. Die Finanzierung und Durchführung der Arbeiten wird von der Bundestheater-Holding übernommen.
Nicht nur das Erscheinungsbild des zweitgrößten Opernhauses Wiens, sondern auch die Besetzung ihrer Chefetage ist neu. Die niederländische Musiktheater-Regisseurin Lotte de Beer übernimmt die künstlerische Geschäftsführung und Direktion, der israelische Dirigent Omer Meir Wellber die Musikdirektion, und der deutsch-französische Regisseur und Dramaturg Maurice Lenhard das neu gegründete Opernstudio.

Keine Angst vorm Scheitern
Die Entscheidung zu einer rosa Fassade kann als Vorgeschmack auf die kommende Saison verstanden werden. De Beer möchte neugierig machen, und dabei kein Risiko scheuen: „Wir wollen auch scheitern manchmal, wir wollen Farbe in die Welt bringen.“ Sie wolle die Zuschauer dazu einladen, die Welt für einen Moment durch die sprichwörtliche rosarote Brille anzuschauen. Nicht um sich zu belügen oder zu täuschen, sondern um die Herrschaft über die eigene Wahrnehmung wiederzufinden und Zuversicht zu gewinnen, so die Aussage von de Beer und dem künstlerischen Ausstattungsleiter, Christof Hetzer.
Begonnen wird damit kommenden Samstag, dem 3. September, mit der Premiere der Millöcker-Operette „Die Dubarry“, mit unter anderem Annette Dasch und Harald Schmitt. Es folgt eine Familienmatinee am Sonntag und die Wiederaufnahme von Rossinis Oper „La Cenerentola“ sowie am 6. September die Neueinstudierung der Strauß’schen Operette „Die Fledermaus“ durch Carsten Süss.
Das ehemalige „Kaiserjubiläums-Stadttheater“
De Beer ist die 24. Besetzung des Direktorensessels des Hauses, das ursprünglich als Sprechtheater Kultur in Wiens Außenbezirken verbreiten sollte. Als „Kaiserjubiläums-Stadttheater“ wurde es im Dezember 1898 zu Ehren des 50-jährigen Thronjubiläums von Kaiser Franz Josef eröffnet. Danach ging es für das Haus drunter und drüber: Kriege, Krisen und weniger gelungene Intendanzen durchlebte die Volksoper genauso wie künstlerische Höhenflüge, die Erweiterung um eigenes Ballett und finanzielle Erfolge.

Von Maastricht nach Wien
Mit ihren 41 Jahren ist de Beer als etablierte Musiktheaterregisseurin in Europa bekannt. Nach dem Gesangs-, Klavier- und Schauspielstudium in Maastricht wechselte sie ins Regiefach in Amsterdam, wo sie ihr Studium 2009 an der Hochschule der Künste abschloss. Durch ihre Zusammenarbeit mit Peter Konwitschny erschloss sie den deutschsprachigen Raum und debütierte an der Oper Leipzig mit einer musiktheatralischen Umsetzung des Jelinek-Stücks „Clara S.“ mit der Partitur der Komponistin Nicoleta Chatzopoulo.
2010 gründete sie die Kompanie Operafront, die besonders jungen Menschen das Genre schmackhaft machen will. Es folgte die Ehrung in der Kategorie „Newcomer“ bei den International Opera Awards 2015 in London, 2018 der „Distinguished Artist Award“ der International Society for the Performing Arts, oder die Nominierung beim International Opera Awards 2020 in Kategorie „Best Director“. Sie inszenierte in Stuttgart, Leipzig, Amsterdam, Essen, Kopenhagen, an der Bayerischen Staatsoper in München, und an der Malmö Opera.
In Österreich führte sie 2013 an der Wiener Kammeroper Regie bei Puccinis „La Bohème“ sowie 2016 bei Verdis „La Traviata“. Ab 2014 folgten Operninszenierungen am Theater an der Wien: Bizets „Les Pêcheurs des Perles“, Tschaikowskis „Die Jungfrau von Orléans“ und zuletzt Janáčeks „Jenůfa“ als Abschiedsinszenierung für Hausherr Roland Geyer. De Beer übernimmt die Wiener Volksoper von Robert Meyer, dem mit 15 Jahren Dienstzeit bisher längstgedienten Direktor des Hauses.