Christoph Wiederkehr
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Politik

Wien Energie: Krisenmanagement „katastrophal“

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) kritisiert das Krisenmanagement der Wien Energie als „wirklich katastrophal“. Kritik am Koalitionspartner SPÖ will er nicht äußern. Unterdessen präsentierte die FPÖ eine Anzeige gegen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ).

Er sei zwar über den Kreditrahmen über 700 Millionen Euro an die Wien Energie seit Mitte Juli informiert gewesen, sagte Wiederkehr in „Wien heute“. Relevant sei aus seiner Sicht jedoch, ab wann die finanzielle Schieflage bestanden habe. Er habe erst am Sonntag erfahren, „dass es so brenzlig ist, dass die Wiener Energie hier dringend zusätzliches Geld benötigt“, so Wiederkehr. Daran sehe man, „dass hier die Krisenkommunikation, auch das Krisenmanagement von Wien Energie wirklich katastrophal war.“

Der Kreditrahmen über 700 Millionen Euro sei ihm Mitte Juli mit der Marktsituation und den steigenden Preisen erklärt worden, schilderte Wiederkehr. Er hätte es „auf jeden Fall gut gefunden“, damals auch die Oppositionsparteien und die Wiener Bevölkerung zu informieren. „Und meine Kritik ganz klar an Wien Energie ist, es wurde nicht aktiv kommuniziert und auch das Krisenmanagement ist aus meiner Sicht nicht zufriedenstellend", so der Vizebürgermeister.

Vizebürgermeister Wiederkehr im Interview

Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr von den NEOS spricht unter anderem über die Vorgänge der Wien Energie.

„Schaue jetzt vor allem nach vorne“

Kritik am Koalitionspartner SPÖ will Wiederkehr jedoch nicht äußern. „Ich schaue jetzt vor allem nach vorne, nämlich: Was lernen wir daraus?“, meinte er. Es brauche jetzt Aufklärung, der Stadtrechnungshof könne hier nun lückenlos kontrollieren. Es werde zu analysieren sein, ob Wien Energie zu viel Risiko eingegangen ist. „Was es zusätzlich braucht, ist mehr Kontrollmöglichkeiten auch der anderen Gemeinderatsparteien, des Gemeinderates gegenüber Wien Energie und im ausgegliederten Bereich der Stadt Wien. Das muss dringend nachgeschärft werden und da bin ich zuversichtlich, dass in den nächsten Tagen und Wochen hier auch mit dem Koalitionspartner etwas möglich sein wird.“

Auf das Klima in der Koalition angesprochen meinte Wiederkehr: „Wir arbeiten sehr, sehr gut zusammen und haben auch schon viele Krisen geschafft – ob es die Pandemie ist oder auch der Krieg in der Ukraine. Es gelingt uns sehr, sehr viel an Projekten." Bei einzelnen Fragen, wie jetzt bei der Wien Energie, gebe es unterschiedliche Auffassungen: „Das hält die starke Stadtregierung auch aus.“

In einer ersten Reaktion hatte Wiederkehr auf Twitter davon gesprochen, dass die Geschäftsvorgänge der Wien Energie „untragbar“ seien. Ob das tatsächlich so sei, müssten nun Externe überprüfen, erklärte Wiederkehr, davor könne man das nicht beurteilen. Es gebe auf dem Energiemarkt „enorme Entwicklungen“. Aber: „Es ist auch die Aufgabe von einem Unternehmen, hier Risikoszenarien zu erarbeiten und dann nicht über ein Wochenende hinweg auf einmal zwei Milliarden Euro aufstellen zu müssen.“

FPÖ zeigt Ludwig an

Die Wiener FPÖ präsentierte unterdessen eine Anzeige gegen Bürgermeister Ludwig. Ludwig soll durch die Ausübung seiner Notkompetenz im Juli die Stadtverfassung gebrochen haben, meinen die Blauen. Für die Wiener FPÖ sind zwei Punkte problematisch, wie deren Chef Dominik Nepp in einer Pressekonferenz ausführte. Zum einen hätte gemäß Stadtverfassung zunächst der Stadtsenat mittels Notkompetenz entscheiden müssen, sind sie überzeugt. Dieser hätte jederzeit, also auch im Sommer, einen Beschluss fassen können.

Wien Energie: FPÖ zeigt Ludwig an

In der Causa um die Wien Energie gehen die politischen Wogen weiter hoch. Die Wiener FPÖ präsentierte eine Anzeige gegen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Die SPÖ warf der ÖVP unterdessen böswilliges Agieren vor.

Zudem hätte Ludwig die Gremien unmittelbar nach der Freigabe der ersten Tranche von 700 Mio. Euro informiere müssen, sagte Nepp. Dies erst in der nächsten Ausschusssitzung zu tun, sei zu spät. „Die Notkompetenz fällt zu allererst dem Stadtsenat zu“, so Nepp. Ludwig wollte die Vorgangsweise offenbar verheimlichen, mutmaßte er. Es sei darum nötig, Anzeige zu erstatten.

Kritik an „Meuchelpropaganda“

Der Bürgermeister hat zuletzt wiederholt von seiner Notkompetenz Gebrauch gemacht, etwa bei Coronavirus-Hilfen. Vorwürfe, dass nicht der Stadtsenat die Kompetenz ausgeübt hat, gab es damals nicht. Es sei vermutlich niemandem aufgefallen, rechtmäßig sei auch das möglicherweise nicht gewesen, meinte der FPÖ-Chef.

Die SPÖ versuchte am Donnerstag unterdessen, den Spieß umzudrehen. Die ÖVP betreibe parteipolitische Spielchen, die in einer Krise „lebensgefährlich“ seien, kritisierte Wirtschaftssprecher Christoph Matznetter in einer Pressekonferenz gemeinsam mit Vize-Klubchef Jörg Leichtfried. Von Fehlern der Wiener Stadtregierung oder der Wien Energie wollten beide nichts wissen.

Matznetter ortete Versuche der Volkspartei, konkret von Finanzminister Magnus Brunner und Generalsekretärin Laura Sachslehner, der SPÖ durch die Verbreitung von Unwahrheiten und „Meuchelpropaganda“ böswillig zu schaden. Es sei zu Unrecht und wider besseren Wissens der Vorwurf von Spekulationen durch das Energieversorgungsunternehmen erhoben worden. In Wirklichkeit habe die Wien Energie lediglich ihren Versorgungsauftrag wahrgenommen. Dass sie Strom kaufe und verkaufe, sei ebenso normal, wie wenn eine Molkerei dies mit Milch tue.

Forderung nach Schutzschirm und Strompreisdeckel

„Diese Situation ist nicht entstanden, weil spekuliert wurde“, sagte auch Leichtfried, auch das wirtschaftliche Modell sei nicht das falsche gewesen: „Diese Situation ist entstanden, weil der Strompreis in blitzartiger Geschwindigkeit in eine Höhe geschossen ist, mit der niemand jemals rechnen konnte.“ Dies müsse in Österreich und auf europäischer Ebene gelöst werden, etwa durch einen Schutzschirm nach deutschem Vorbild und ein Ende des nicht mehr tragbaren Merit Order Systems. Die Regierung scheine die Dringlichkeit dafür aber nicht erkannt zu haben.

Neben dem Schutzschirm brauche es auch einen Strompreisdeckel, den die Regierung bis Ende August versprochen hatte, der aber noch immer nicht vorgelegt worden sei. Seitens der ÖVP und der Grünen hatte es angesichts der Wien-Energie-Krise zuletzt geheißen, dass sich der Deckel verzögere, aber demnächst vorgelegt werden solle.

Vergleich mit Finanzmarktkrise 2008

Verteidigt wurde seitens der beiden auch das Vorgehen von Bürgermeister Ludwig, der ja zweimal von seiner Notkompetenz Gebrauch gemacht und jeweils 700 Mio. Euro bereitgestellt hatte, ohne breit darüber zu informieren. Matznetter verglich dies mit dem Krisenmanagement der rot-schwarzen Bundesregierung 2008 anlässlich der Finanzmarktkrise, als man einen Schutzschirm aufgespannt und alles getan habe, um die Märkte vor dem Kollaps zu schützen, ohne einzelne Akteure zu Spekulanten zu erklären.

Leichtfried sprach gar von einem Konsens in die Republik, bei großen Krisen gemeinsam zu helfen. Die SPÖ habe aus diesem Grund etwa Raiffeisen oder auch die Hypo Alpe Adria akut nicht schlechtgeredet, wohl aber später auf Aufklärung gedrängt. Anders habe nun die ÖVP agiert, nämlich parteipolitisch motiviert.

ÖVP sieht Ablenkungsmanöver

ÖVP-Generalsekretärin Sachslehner wies die Vorwürfe als durchschaubares Ablenkungsmanöver zurück. „Die Sozialdemokratie betreibt gerade eine Täter-Opfer-Umkehr, das ist nicht nur grotesk, sondern auch schlichte Realitätsverweigerung.“ Statt sich bei der Bundesregierung und Bundeskanzler Karl Nehammer für die rasche Lösung zu bedanken, werfe die Sozialdemokratie wieder einmal nur mit Dreck um sich. Führende Experten auf dem Gebiet hätten bestätigt, dass die Finanzierungslücke in Milliardenhöhe nicht innerhalb einer Nacht aufgrund der erhöhten Strompreise entstehen habe können. „Der Wien Energie-Skandal ist das Ergebnis fatalen Management-Versagens“, stellte sie in einer Aussendung fest.