Chronik

Missbrauchsfall wird immer größer

Der Missbrauchsfall rund um einen Sportlehrer an einer Wiener Schule nimmt immer größere Dimensionen an. Aufgrund jüngster Berichte weitet die Bildungsdirektion Wien ihre Erhebungen aus. Es gibt Fotos von Schülern in einer Sauna.

Fast stündlich gab es am Donnerstag neue Entwicklungen im Fall um einen Sportlehrer, der bis zu seinem Suizid 2019 an einer Wiener Schule mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben soll. Möglicherweise gibt es auch zwei Komplizen und Tatorte in mehreren Bundesländern. Am Abend teilte die Bildungsdirektion Wien mit: „Der Kommission liegen substanzielle Hinweise dafür vor, dass es hier zu einem inakzeptablen und eventuell auch rechtswidrigen Fehlverhalten gekommen ist.“

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Gemeint sind dabei nicht die mutmaßlichen Vorfälle an einer Wiener Schule, sondern bei einem Schikurs in Salzburg. Nicht nur soll ein Schüler eine Nacht im Zimmer des Sportlehrers verbracht haben. Der Sportlehrer soll auch mit Schülern in eine Sauna gegangen sein und dabei Fotos gemacht haben. Die Fotos machten später die Runde. Auf Beschwerden von Eltern soll die Schulleitung aber nicht reagiert haben. Die Fotos aus der Sauna sind auch als jene „substanziellen Hinweise“ zu verstehen, von denen die Bildungsdirektion jetzt spricht.

Sachverhaltsdarstellung an Staatsanwalt angekündigt

Ob und inwieweit weitere Personen neben dem Sportlehrer involviert waren, werde noch untersucht, so die Bildungsdirektion. Sie verwies auf die Untersuchungskommission, die „in diesem Zusammenhang weitere Beweismittel (erwarte, Anm.) und wird morgen (Freitag, Anm.) in dieser Sache eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft übermitteln. Um etwaige Ermittlungen in diesem Zusammenhang nicht zu gefährden, bitten wir um Verständnis dafür, dass weitere Details dazu vorläufig nicht veröffentlicht werden können.“

Die Bildungsdirektion ersucht Betroffene, sich direkt unter kommission@bildung-wien.gv.at zu melden.

Wegen der Übernachtung eines Kindes im Zimmer des Sportlehrers sei Kontakt mit dem mutmaßlichen Opfer aufgenommen worden, hieß es weiter. Man nehme die neu bekannt gewordenen Vorwürfe sehr ernst und setze alles daran, „an deren lückenloser Aufklärung mitzuwirken“. Deshalb werde nun auch bis zum Jahr 1996 geprüft, ob es Missbrauch gegeben habe. Ab diesem Jahr war der Sportlehrer an der Wiener Schule tätig. Wieder sind Briefe an Schüler und Schülerinnen unterwegs. Zuletzt waren die Briefe auf den Zeitraum bis zum Jahr 2004 beschränkt.

Beschwerde in Spätsommer 2019

Die Untersuchungskommission bestätigte zudem, dass es bereits im Jahr 2019 den Vorwurf einer Mutter gegen die Wiener Schule gegeben habe, nichts in den mutmaßlichen Missbrauchsfällen getan zu haben. Als im Frühjahr 2019 bei dem Sportlehrer eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde, hatte wenige Monate zuvor ein neuer Direktor die Schulleitung übernommen. Die Beschwerde war gegen ihn gerichtet, weil sich nach den im Zuge des Suizids des Sportlehrers aufgekommenen Missbrauchsvorwürfen schulintern nichts getan habe.

Beratung und Hilfe

Für Beratung und Unterstützung können sich Betroffene und mögliche Betroffene an folgende Anlaufstellen wenden:

• Schulpsychologischer Dienst, Telefon: +43 1 525 25-77550, schulpsychologie@bildung-wien.gv.at

• Kinder- und Jugendanwaltschaft, Telefon: +43 1 70 77 000, E-Mail: post@jugendanwalt.wien.gv.at

• Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien, Telefon: +43 1 4000-80 11, E-Mail: service@ma11.wien.gv.at )

Möglicherweise zwei weitere Verdächtige

Der Sportlehrer beging 2019 Suizid. Aktuell soll es aber noch zwei weitere Verdächtige geben. Alle drei waren für einen Verein tätig, der Sportlehrer in einer leitenden Funktion. Auch hier soll es zu Übergriffen gekommen sein. Er lotste etliche seiner Schüler zu dem Verein und brachte zunächst auch einen Kollegen unter. Der Pädagoge soll seinen Dienst an einem Wiener Gymnasium nach Missbrauchsvorwürfen quittieren haben müssen.

Nach dem Suizid des Sportlehrers verließ der als Trainer eingesetzte Kollege unter aufklärungsbedürftigen Umständen den Verein bzw. musste ihn verlassen. Es dürften neuerlich konkrete Missbrauchsvorwürfe gegen ihn vorgelegen haben. Der dritte Verdächtige, ein ehemaliger Schüler des Sportlehrers, blieb in dem Verein weiter tätig. Im vergangenen Dezember wurde er zum Vizepräsidenten gewählt.

Verband wurde nach Anzeige am Montag aktiv

Aufgrund der jetzt bekannten Vorwürfe reagierte auch der Sportverband, der für den betreffenden Verein verantwortlich ist. Vergangenen Montag brachte eine Opfervertreterin Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien ein. Gegen die beiden Verdächtigen bestehe der Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses. Die jüngste Anzeige werde noch geprüft, teilte Nina Bussek, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, am Donnerstag mit. Gegen die beiden Verdächtigen seien bisher keine weiteren Schritte gesetzt worden.

Nach Bekanntwerden der Anzeige, in der der ehemalige Schüler als Mittäter des Sportlehrers bezeichnet wird, habe ihn der Sportverband vorerst sämtlicher Funktionen enthoben, gab der Verband am Donnerstag bekannt. Der Mann war demnach bis zuletzt nicht nur im betroffenen Verein aktiv, sondern gab darüber hinaus vereinsübergreifend in verschiedenen Sportarten Kurse.

Verband wusste nur von Vorwürfen gegen Sportlehrer

Der Sportverband betonte, man habe erst am 16. September 2019 von den Missbrauchsvorwürfen rund um den Verein erfahren. Diese hätten sich aber nur auf den Sportlehrer konzentriert, der Suizid begangen hatte. Im 2019 habe es zur Klärung und Aufarbeitung des Geschehenen ein Treffen des Landesverbands mit Vereinsverantwortlichen im Beisein der Männerberatung und einer Kinderschutzeinrichtung gegeben.

Dabei sei das weitere Vorgehen festgelegt worden. Von Übergriffen im Verein gegen Kinder und Jugendliche habe man zu diesem Zeitpunkt nichts gewusst, es hätten sich in weiterer Folge keine Betroffene gemeldet, erklärte der Verband. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins seien Schulungen in Bezug auf Kinderschutz angeboten und durchgeführt worden, fast zwei Dutzend Personen hätten daran teilgenommen.