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Chronik

Missbrauch: „Schüler und Eltern manipuliert“

Die Bildungsdirektion übermittelt wegen der Missbrauchsvorwürfe rund um einen Sportlehrer an einer Wiener Schule zwei Sachverhaltsdarstellungen an die Staatsanwaltschaft. Er habe Schüler und Eltern manipuliert, sagen Eltern eines Ex-Schülers.

Am Freitag meldete sich auch die Landespolizeidirektion Wien in der Causa zu Wort. Was einen möglichen Mittäter des Sportlehrers betreffe, seien sämtliche Unterlagen, die vom Präsidenten des Wiener Basketballverbandes (WBV) 2019 der Exekutive übergeben worden waren, zusammen mit diversen Erhebungen im selben Jahr an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt worden.

WBV-Präsident Thomas Holzgruber hatte am Donnerstag gegenüber der APA erklärt, dass er 2019 das Landeskriminalamt, Abteilung für Sexualstrafsachen aufgesucht und dort Unterlagen übergeben habe, die den möglichen Mittäter im Zusammenhang mit Übergriffen in einem Sportverein betreffen könnten, wo dieser als Basketballtrainer tätig war.

Zwei Sachverhaltsdarstellungen

Am Donnerstag kündigte die Bildungsdirektion eine Mitteilung an, nachdem Beschwerden über Fotoaufnahmen in einer Sauna im Rahmen eines Skikurses bekanntgeworden waren. Bei der zweiten geht es um eine Lesenacht in der Schule selbst. Beim besagten Skikurs in Salzburg soll der 2019 verstorbene Sportlehrer mit Schülern in die Sauna gegangen sein und dabei Fotos angefertigt haben, die dann auf USB-Sticks die Runde machten.

Die Bildungsdirektion ersucht Betroffene, sich direkt unter kommission@bildung-wien.gv.at zu melden.

Schule soll nicht reagiert haben

In der Folge hätten einige Eltern Kenntnis von diesen Fotos bekommen – auf deren Beschwerden soll seitens der Schulleitung aber nicht reagiert worden sein. „Der Kommission liegen substanzielle Hinweise dafür vor, dass es im Rahmen einer Skiwoche zu einem inakzeptablen und eventuell auch rechtswidrigen Fehlverhalten gekommen ist. Ob und welche weiteren Personen dabei eventuell involviert waren, ist noch Gegenstand der Untersuchungen“, wiederholte die Bildungsdirektion ihre gestrige Aussage in einer schriftlichen Mitteilung.

Die zweite Sachverhaltsdarstellung bezieht sich auf eine in der Vorwoche bekanntgewordene Lesenacht in der Schule, die von dem besagten Pädagogen 2009 inklusive Übernachtung organisiert worden war. Laut Angaben eines Opfers soll es dabei zu Übergriffen gekommen sein. In einer schriftlichen Mitteilung der Bildungsdirektion hieß es, dass der Verdacht im Raum stehe, „dass es zu einer Verletzung der Aufsichtspflicht bei einer Lesenacht in der Schule gekommen ist“.

Beratung und Hilfe

Für Beratung und Unterstützung können sich Betroffene und mögliche Betroffene an folgende Anlaufstellen wenden:
• Schulpsychologischer Dienst, Telefon: +43 1 525 25-77550, schulpsychologie@bildung-wien.gv.at
• Kinder- und Jugendanwaltschaft, Telefon: +43 1 70 77 000, post@jugendanwalt.wien.gv.at
• Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien, Telefon: +43 1 4000-8011, service@ma11.wien.gv.at

Möglicherweise zwei Mittäter

Weitere Details zu den Inhalten der beiden Mitteilungen an die Staatsanwaltschaft werden dazu vorläufig nicht veröffentlicht werden, um etwaige Ermittlungen in diesem Zusammenhang nicht zu gefährden, hieß es. Der Sportlehrer, der mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte und womöglich zwei Mittäter hatte, war als pragmatisierter Pädagoge bis zu seinem Selbstmord im Mai 2019 an der Bildungsstätte tätig.

Die Erhebungen einer eigens eingesetzten Untersuchungskommission wurden inzwischen ausgeweitet, wie der APA bereits Donnerstagabend mitgeteilt wurde. Die Kommission, die aus Mitgliedern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien besteht, wird nun auch Meldungen über allfällige übergriffige Vorgänge an der Schule ab 1996 untersuchen – seit diesem Jahr war der Sportlehrer an besagter Schule tätig. Folglich werden nun auch Briefe an ehemalige Schülerinnen und Schüler aller Jahrgänge bis 1996 verschickt. Zuletzt hatten sich die Briefe auf Absolventen der Jahrgänge bis 2004 beschränkt.

Eltern: „Er hat sich die Kinder auch gekauft“

Er habe Schüler und Eltern manipuliert, sagen die Eltern eines ehemaligen Schülers im Interview mit Bernt Koschuh im Ö1-Mittagsjournal am Freitag. Vor allem Alleinerziehende seien dankbar gewesen, dass er die Kinder vom Training nach Hause gebracht hat und sie nicht fahren mussten. Und über seinen Sohn erzählt der Vater: „Unser Sohn hatte einmal zwei Adidas-Pullover mit. Wo hast du die her, hab ich gefragt. Naja, – die habe ihm der Lehrer geschenkt. Oder der Lehrer war auch beim McDonald’s mit den Schülern. Also, er hat sich die Kinder auch gekauft.“

In einer Art Anbahnungsphase habe der Lehrer damals gewollt, dass der Sohn dem Basketballtraining beitritt, so die Eltern weiter. Der Lehrer habe Schüler oft auch mitgenommen zu Skirennen oder Fußballspielen. Die Mutter des Ex-Schülers erklärt: „Er hatte einen Kleinbus – ich weiß nicht, mit wie vielen Sitzen –, da hat er die Kinder mitgenommen.“ Der Vater relativiert etwas: „Man muss sagen, der neue Direktor, der dann gekommen ist, hat das sofort abgestellt. Sofort als er das erfahren hat, war das nicht mehr erlaubt, Schüler im Privatauto mitzunehmen.“

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten.
Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

„Kontrollen an dieser Schule versagt“

„Also ich weiß, dass eine Mutter sich nur gedacht hat: Was für ein cooler Lehrer – der geht auch mit den Kindern in die Sauna. Im Nachhinein, hat sie gesagt, fragt sie sich, warum sie sich nichts dabei gedacht hat. Er hat nämlich auch Fotos geschickt an die Eltern vom Skikurs, wie er mit den Kindern in der Sauna war.“

Berichtet wird auch, dass der verstorbene Lehrer, Sportfunktionär und Trainer, Schüler mit nach Hause genommen haben soll. Eine Mutter: „dass er den Kindern auch bei sich daheim Nachhilfe gegeben hat und dass vereinzelt Kinder auch bei ihm übernachtet haben – aber das wissen wir nur vom Hörensagen.“

„Ich glaube, dass die ganzen Kontrollen an dieser Schule versagt haben. Er hat ein Zimmer gehabt, das hatte er alleine nur für sich. Das hat kein anderer Lehrer je betreten“, so der Vater eines ehemaligen Schülers weiter. Die Mutter ergänzt: „Offiziell war das sein Kammerl, damit er nicht immer seine Lehrersachen oder Sportsachen ins Obergeschoß zum Lehrerzimmer bringen muss.“

Gerüchte über mögliche Mittäter schon 2019

Bei einem Elternabend im Dezember 2019 soll ein Vater gemeint haben, schon zwei Jahre vorher habe ihm ein Schüler gesagt, der Lehrer sei pädophil. Aber darüber sei nur gelacht worden. Eine Aufnahme vom Elternabend liegt Ö1 und auch der Wiener Untersuchungskommission vor. Bei diesem Elternabend, den die Mittelschule und die Bildungsdirektion erst ein halbes Jahr nach Ermittlungsbeginn und nach dem Suizid des Lehrers organisierten, war auch von einem möglichen Mittäter die Rede, sagt das Elternpaar: „Aber es wurde kategorisch verneint von der Schule und von den Schulpsychologen, dass es einen Mittäter gab.“

Sogar schon drei Tage nach dem Suizid des Lehrers habe es unter Schülern das Gerücht gegeben, ein erwachsener Ex-Schüler könnte auch ein Missbrauchstäter gewesen und erpresst worden sein. Kritik üben die Eltern vor allem an der fehlenden Information von Bildungsdirektion und Schule und an den nicht ausreichenden psychologischen Betreuungsangeboten für die Schüler.