Chronik

Missbrauch: Vorwürfe gegen Kinderanwaltschaft

Im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der an einer Mittelschule etliche Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte, gibt es Vorwürfe gegen die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft.

Ein mutmaßlicher Mittäter soll eine Vereinbarung mit dem Wiener Basketballverband getroffen haben, wonach er sich Kindern beim Duschen nicht mehr nähert und er sie nicht mehr eincremt. Die Vereinbarung wurde bereits im Dezember 2018 getroffen. Darin festgehalten ist auch, dass der Mann sich einer Therapie bei der Männerberatung unterzieht. Eine entsprechende Niederschrift liegt dem ORF vor. Auch eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) war involviert, wie deren Leiter Ercan Nik Nafs gegenüber dem ORF bestätigte.

KJA verteidigt Vorgehen

Man habe im Interesse der Kinder gehandelt, betonte er. Opfer oder betroffene Eltern hätten sich damals nicht an die KJA gewandt, alle Informationen seien vom Sportverein gekommen. Selbst habe man damals keine Anzeige gemacht, der Basketballverband soll aber die Dokumentation an die Polizei übergeben haben. Das gehe laut Nik Nafs aus der Dokumentation der KJA hervor.

„Was wir damals gemacht haben, war nicht wenig“, so Nik Nafs, der Kritik am Handeln nicht gelten lassen wollte. Es sei ein Kinderschutzkonzept erstellt worden, die Trainerinnen und Trainer seien geschult worden. Zudem wurde eine Kinderschutzbeauftragte bestellt. In regelmäßigen Abständen habe man recherchiert, ob der Trainer in Fällen auftaucht – das sei aber nicht passiert, so der Kinder- und Jugendanwalt.

Missbrauch: Hausdurchsuchung wirft Fragen auf

Im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der an einer Mittelschule etliche Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte, könnte möglicherweise Beweismaterial beiseite geschafft worden sein. Bei einer Hausdurchsuchung blieben diverse Räume unberücksichtigt.

Offene Fragen bei Razzia

Unterdessen berichtete die APA am Montag, dass möglicherweise Beweismaterial in dem Fall beiseite geschafft worden sind. Bei einer Razzia blieben diverse Räume unberücksichtigt. Einen konkreten Beleg dafür gebe es zwar nicht, wie die APA berichtete, aber bei einer Hausdurchsuchung, die im Frühjahr 2019 bei dem Pädagogen durchgeführt wurde, blieben der Keller, der Pkw und die Räumlichkeiten des Lehrers an seiner Schule unberücksichtigt. So wurde es nach APA-Informationen unterlassen, im Spind des Lehrers und in einer neben der Turnhalle gelegenen und von ihm in eine „Chill-Out-Zone“ umgewandelten früheren Schulwartwohnung nach kinderpornografischem Material zu suchen.

Beratung und Hilfe

Für Beratung und Unterstützung können sich Betroffene und mögliche Betroffene an folgende Anlaufstellen wenden:
• Schulpsychologischer Dienst, Telefon: +43 1 525 25-77550, schulpsychologie@bildung-wien.gv.at
• Kinder- und Jugendanwaltschaft, Telefon: +43 1 70 77 000, post@jugendanwalt.wien.gv.at
• Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien, Telefon: +43 1 4000-8011, service@ma11.wien.gv.at

In der Wohnung des Mannes wurde jedenfalls in Fülle einschlägiges Material sichergestellt – wie sich im Zuge der Erhebungen herausstellte, hatte der Pädagoge, der seit 1996 als pragmatisierter Beamter an einer Mittelschule mit Schwerpunkt Sport beschäftigt war, Nacktbilder bzw. -aufnahmen seiner Schüler angefertigt, die das teilweise gar nicht mitbekommen hatten, weil sie womöglich mit K.-o.-Tropfen oder Ähnlichem betäubt wurden.

Freund entleerte Spind

Wenige Tage nach dem Suizid des Lehrers im Mai 2019 tauchte ein enger Bekannter des Pädagogen in der Schule auf und soll nach APA-Informationen dessen Spind geleert und den Inhalt mit einem Auto weggebracht haben. Bei dem Mann handelte sich ausgerechnet um einen engen Freund des Sportlehrers, gegen den eine Opferanwältin am vergangenen Montag bei der Staatsanwaltschaft Wien eine Sachverhaltsdarstellung wegen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses eingebracht hatte.

Er und ein weiterer Bekannter des Lehrers, der als Basketballtrainer in einem Sportverein tätig war, wo der Pädagoge eine führende Funktion innehatte, werden in der Sachverhaltsdarstellung als mögliche Mittäter bezeichnet. Für beide gilt die Unschuldsvermutung. Auf APA-Anfrage hieß es am Montag seitens der Staatsanwaltschaft Wien, die Anzeige werde noch geprüft. Ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, sei noch offen.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Österreichweit und in den Bundesländern gibt es Anlaufstellen, die Rat und Unterstützung im Krisenfall anbieten. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Seitens der Landespolizeidirektion hieß es, die Hausdurchsuchung sei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durchgeführt worden. Fest steht, dass der Bekannte des Pädagogen vom neuen Direktor der betroffenen Schule mit einem Hausverbot belegt wurde, weil dieser in bzw. am Gelände der Schule regelmäßig Kontakt zu jungen Schülerinnen gesucht und in der Schule aus- und eingegangen sein soll.

Weitere Sachverhaltsdarstellung

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Judith Ziska, bestätigte der APA eine weitere Sachverhaltsdarstellung, die im Zusammenhang mit Vorgängen an der Mittelschule am vergangenen Freitag von der Bildungsdirektion Wien übermittelt wurde.

Zuvor hatten Medien berichtet, dass der Sportlehrer auf einem Skikurs in Salzburg eine Nacht mit einem Schüler in seinem Zimmer verbracht und Fotos von gemeinsamen Saunabesuchen mit seinen Schülern angefertigt hatte, die an der Schule die Runde machten, wovon zumindest Teile des Lehrerkollegiums wussten. Schüler und Eltern hatten sich – auch bei der Schulleitung – beschwert. Die Bildungsdirektion lässt nun von der Staatsanwaltschaft prüfen, ob mögliches strafrechtlich relevantes Fehlverhalten aufseiten der Schulverantwortlichen vorliegt.

Die Bildungsdirektion ersucht Betroffene, sich direkt unter kommission@bildung-wien.gv.at zu melden.

Himmer: Vieles aus Medien erfahren

Bildungsdirektor Heinrich Himmer bekräftigte am Montag, man habe von den Saunafotos und weiteren fragwürdigen Vorgängen erst aus dem Medien erfahren: „Wir sind keine Ermittlungsbehörde. Wir haben nicht die Möglichkeit, auf Ermittlungserkenntnisse der Staatsanwaltschaft zuzugreifen.“ Es sei außerdem „extremst schwierig, schnell und zielsicher Zusammenhänge zu Sportvereinen herzustellen“, für die der Sportlehrer außerschulisch tätig war.

Informationen von dieser Seite wären aber insofern wichtig, als es sich teilweise um dieselben Kinder gehandelt hatte, „Schüler, die bei seinem Sportverein waren“, sagte Himmer. Wie Himmer betonte, sei man darauf angewiesen, dass sich möglichst viele von Übergriffen betroffene ehemalige Schüler melden. Nach jüngsten Berichten über die sich ausweitenden Missbrauchsvorwürfe verschickt die Bildungsdirektion nun Briefe an alle Jahrgänge bis zurück ins Jahr 1996.

„Keine unabhängige Kommission möglich“

Außerdem hat die von der Bildungsdirektion eingesetzte Untersuchungskommission ihre Prüfung bis zu diesem Zeitrahmen ausgeweitet. Im November soll es einen ersten vorläufigen Bericht geben. Seitens Opfervertretern gibt es Kritik an der Untersuchungskommission, weil diese nicht unabhängig sei. Sie setzt sich aus Vertretern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Kinder- und Jugendhilfe Wien zusammen. „Ich vertraue in die Kommission“, betonte Himmer. Er könne als Bildungsdirektor aus gesetzlichen Gründen „keine unabhängige Kommission gründen“.