DIREKTORIN DES JÜDISCHEN MUSEUMS BARBARA STAUDINGER
APA/ROBERT JAEGER
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kultur

JMW-Chefin hegt große Visionen

Als „laut schüchtern“ bezeichnet sich die neue Direktorin des Jüdischen Museums Wien (JMW), Barbara Staudinger, selbst. Gar nicht schüchtern aber umso lauter spricht sie 100 Tage nach Amtsantritt über große Visionen wie ein neues Museum.

Bevor es an das Umsetzen großer Projekte geht, stellt Staudinger kommende Woche mit einer Videoinstallation von James T. Hong („Apologies v 2016.2, 2021“) das erste Projekt ihrer Amtszeit vor. Ende November folgt mit „100 Missverständnisse über und unter Juden“ die erste große Ausstellung. Doch daneben findet die 1973 geborene Wienerin auch Zeit, große Visionen zu entwickeln: Ein Museumsneubau im 2. Bezirk und ein Holocaust-Museum wären an der Zeit, sagte Staudinger im Interview mit der APA.

Zwei visionäre Projekte

Sie würde sich natürlich einen Neubau des Jüdischen Museums wünschen, so Staudinger. Der Standort am Judenplatz mit der Ausgrabung der mittelalterlichen Synagoge müsse erhalten bleiben, doch das Palais Eskeles sei für die jüdische Geschichte der Stadt von geringer Bedeutung. „Ein jüdisches Museum muss im 2. Bezirk sein. Ich sehe aber auch: Jetzt ist wohl nicht die richtige Zeit dafür. Es ist auch nicht dringend. Aber es braucht eine Perspektive“, sagte Staudinger und kündigte an, dafür wie eine Löwin kämpfen zu wollen.

DIREKTORIN DES JÜDISCHEN MUSEUMS BARBARA STAUDINGER
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Als wichtige Themen ihrer Arbeit sieht Staudinger etwa Ausgrenzung und Rassismus.

Dringlicher sei der Bau eines Holocaust-Museums, am besten am Heldenplatz, doch das sei „politisch offenbar noch nicht angekommen“. Ein Teil im Haus der Geschichte Österreichs (hdgö) zu werden, könne sie sich nur bedingt vorstellen. Schon die derzeitige Lösung für das hdgö in der Neuen Burg sei „semioptimal“. Die Energiepreise in dem mit jährlich 3,9 Mio. Euro subventionierten JMW hätten ein „Riesen-Budgetloch“ verursacht. Zehn Prozent des Budgets fehlten, Finanzstadtrat Hanke wisse, dass es so nicht weitergehen könne.

Neujahrskonzerte werden zusammengelegt

Ihre ersten 100 Tage an der Spitze des JMW seien vorbei, so Staudinger, die zuletzt das Jüdische Museum in Augsburg leitete und Danielle Spera in Wien ablöste. Jetzt könne sie auch konkrete Ausstellungspläne vorzeigen, sagte sie. Ihre Vorgängerin sei in der Öffentlichkeit überaus präsent gewesen, und auch Staudinger hat bereits viele Termine wahrgenommen, zuletzt etwa beim Jüdischen Neujahrskonzert. Im nächsten Jahr werde das Neujahrskonzert des Museums und jenes der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) zusammengelegt, kündigte sie an.

Staudinger will mit ihren Themen auf eine breitere Öffentlichkeit abzielen. „Es geht ganz klar darum, öffentliche Diskurse nicht nur zu moderieren, sondern auch voranzutreiben, sie vielleicht sogar zu initiieren. Es geht darum, Fragestellungen zu finden, die jetzt für uns relevant sind. Wichtige Themen sind etwa Ausgrenzung und Rassismus. Aus der jüdischen Geschichte kann man viele Aspekte einbringen.“

„Ausgrenzung, Rassismus, Kolonialismus“

Gerade die Diskussionen auf der documenta hätten gezeigt, „wie paternalistisch und kolonial geprägt dieser Versuch eigentlich war“, wie erbärmlich aber auch der Umgang mit der Kritik gewesen ist. „Genau diese Diskurse müssen wir aufgreifen und verhandeln“, so Staudinger. So werde sich etwa die übernächste, im Juni 2023 eröffnende Schau mit dem Arbeitstitel „What colour are the Jews?“ u.a. mit dem Thema Juden und Kolonialismus beschäftigen. „Das wird eine spannende Sache.“

Spannend werde auch die Zusammenarbeit mit vielen Museen und Institutionen in Wien. „Ich sehe eine große Bereitschaft, etwas gemeinsam zu machen.“ Dass das JMW Teil der Wien Holding und damit beim Finanzstadtrat angesiedelt sei, „ist gar nicht schlecht“, die Nähe zur Kulturstadträtin „haben wir trotzdem, denn wir sind ja Teil des Wiener Kulturlebens“. Das Jüdische Museum Wien wurde 1895 gegründet – als erstes weltweit. Seit 1993 ist es in dem ehemaligen Palais Eskeles in der Dorotheergasse untergebracht, im Jahr 2000 hat man mit dem Museum Judenplatz einen zweiten Standort.