Ausladen der Pflastersteine im Juni 1940
Archiv Hafen Wien
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Chronik

Hafen Wien arbeitet NS-Zeit auf

Der Hafen Wien hält im sechzigsten Jubiläumsjahr eine kritische Rückschau auf die eigene Vergangenheit. Ein Forschungsprojekt beleuchtete den Ausbau des Hafens in der NS-Zeit und brachte neue Erkenntnisse. Teile wurden unter Zwangsarbeit errichtet.

Nach den Plänen der Nationalsozialisten sollte in Wien das „Hamburg des Ostens“ entstehen. Zwei Jahre lang forschte ein Team des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Wien auf Ersuchen der Hafenleitung, das Ergebnis liegt nun vor und wurde am Montag von Hafen-Wien-Chef Fritz Lehr, Projektleiter Oliver Rathkolb und Kurt Gollowitzer, Geschäftsführer der Wien Holding, präsentiert. „Erfolgreiche Unternehmen betrachten nicht nur ihren wirtschaftlichen Wirkungskreis kritisch, sondern blicken auch auf ihre historische Verantwortung“, erklärte Gollowitzer.

Reihe neuer Quellen

Die Studie repräsentiere den aktuellsten Stand der wissenschaftlichen Forschung, so Rathkolb: „Durch die Erschließung einer Reihe neuer Quellen konnte das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter präzise rekonstruiert werden. Zudem ist es gelungen, die übergeordneten militärstrategischen Planungen zu reflektieren.“ Der Historikerbericht zeigt, dass der Wiener Hafen von strategischer Bedeutung für die Kriegspolitik des NS-Regimes war.

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Errichtung der Getreidespeicher der Stadt Wien
Archiv Hafen Wien
Errichtung der Getreidespeicher der Stadt Wien
Hafen Wien von oben, 1941
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Die erste Ladung eines Getreideschlepps, September 1941
Betonierung der Ankerplatte zwischen Juli 1940 und Mai 1941
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Betonierung der Ankerplatte zwischen Juli 1940 und Mai 1941
Ausladen der Pflastersteine im Juni 1940
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Ausladen der Pflastersteine im Juni 1940
Freudenau 1945
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Freudenau 1945

700 Zwangsarbeiter bauten Getreidespeicher

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hafenbecken in Albern, Teile des Donau-Oder-Kanals, ein Becken in der Lobau sowie fünf Getreidespeicher in Albern von Zwangsarbeitskräften unter teilweise extremen Arbeitsbedingungen errichtet – ebenso wie umliegende Straßen und Bahngleise, Kanalisation und Wasserleitungen. Nur eine Minderheit waren inländische Arbeitskräfte oder Freiwillige aus dem mit NS-Deutschland verbündeten Ausland.

Unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 starteten bereits die Planungen für einen neuen Hafen. Man erhoffte sich eine stärkere Industrialisierung. Wien sollte das „Hamburg des Ostens“ werden. Ausschlaggebend für den Standort Albern sei die Notwendigkeit gewesen, die Bevölkerung im Kriegsfall mit Lebensmitteln versorgen zu können. Das zum Großteil über die Donau importierte Getreide aus dem Südosten war wichtig. In Albern wurden in den darauffolgenden Jahren fünf große Getreidespeicher gebaut. Dafür wurden mehr als 700 zivile Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter und eine unbekannte Anzahl an Kriegsgefangenen eingesetzt.

Lobau als Ölumschlagplatz

In der Lobau hatten die NS-Machthaber andere Pläne als in Albern: Hier sollte der Oder-Donau-Kanal einmünden. Nachdem im Herbst 1939 die Planungen für den Wiener Abschnitt abgeschlossen waren, begannen die Bauarbeiten an der Mündung des Kanals in die Donau, einem daran angeschlossenen Hafenbecken und einer Wasserstraße, die der Trasse des Kanals nach Nordosten ins Marchfeld folgte. Am ersten Hafenbecken des Oder-Donau-Kanals wurde zwischen 1940 und 1943 ein „Ölhafen“ gebaut.

Wiener Hafen in der NS-Zeit

Der Hafen Wien beschäftigt sich mit seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus.

Das Deutsche Reich war für seinen Angriffskrieg auf die Erdölvorräte des Marchfelds angewiesen. Um diese auszubeuten, forcierte man nicht nur die Förderung, sondern siedelte in der Lobau auch eine große Raffinerie an: die Ostmärkischen Mineralölwerke. Sie sollten das über eine Pipeline aus der Lobau kommende Öl zu Treibstoff verarbeiten und entwickelten sich zu einer der wichtigsten Raffinerien NS-Deutschlands.

Die Lobau wurde zum Umschlagplatz einer der wertvollsten Ressourcen des Deutschen Reichs im Zweiten Weltkrieg. Doch die kriegsbedingte Mangelwirtschaft verzögerte die Arbeiten, und die Luftangriffe der Alliierten brachten sie zum Erliegen. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren lediglich die Einmündung, das Hafenbecken und drei Teilstücke fertiggestellt.

Hohe Todesrate vor allem unter jüdischen Zwangsarbeitern

Für Hunderte Arbeiter und Arbeiterinnen wurde ein Lagerkomplex in der Lobau eingerichtet: ein sogenanntes Gemeinschaftslager. Sowohl die Freiwilligen als auch die Zwangsarbeiter waren dort untergebracht. Laut den Historikern könnten 1944 mindestens 1.184 Menschen, davon 943 Zwangsarbeiter, dort untergebracht gewesen sein. Namentlich bekannt sind 774 Menschen. Vor allem unter den jüdischen Deportierten war die Todesrate hoch.

Erinnerungen von Zeitzeugen legen nahe, dass nur ein Bruchteil der tatsächlichen Todesfälle offiziell protokolliert wurde. Doch trotz schütterer Quellenlage ist belegt, dass fünf jüdische Inhaftierte an „Herzschwäche“ und weitere zehn unter ungeklärten Umständen starben. 18 ungarische Jüdinnen und Juden, die in der Lobau eingesetzt worden waren, wurden kurz vor Kriegsende Opfer eines NS-Endphaseverbrechens in der niederösterreichischen Ortschaft Hofamt Priel.

Freudenau 1945
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Zerstörter Hafen Freudenau 1945

Erster Stromhafen 1875

Wenn man heute zurückblicke, sei schwer vorstellbar, dass die Errichtung eines Hafens in Wien lange Zeit als gar nicht notwendig erachtet worden war, heißt es in einer Aussendung am Montag. Früher wurden Schiffe, die in Wien ankamen, an dafür geeigneten Stellen entlang der Donau und ihrer Nebenflüsse einfach an Land gezogen. Mit dem Aufkommen der Dampfschiffe war das Anlanden auf den weichen Böden dann aber nicht mehr möglich.

Buch soll folgen

Die Forschungsergebnisse sollen auch öffentlich zugänglich werden. Fix geplant ist bereits ein Buch über die Geschichte des Wiener Hafens.

So entstand im Jahr 1875 der erste Stromhafen am rechten Donauufer zwischen der Nordwestbahnbrücke und der Freudenau. Es war kein lokal abgrenzbarer Hafen nach heutigem Verständnis, sondern ein zwölf Kilometer langes, schmales schlauchartiges Ländenareal, an dem die Dampfschiffe angelegt haben. Aber auf Dauer konnte der Hafenbetrieb dort nicht abgewickelt werden, auch weil im Winter die Schiffe nicht vor dem Eis der Donau geschützt waren.

1899 Baubeginn für Hafen Freudenau

Ende des 19. Jahrhunderts wurde daher die Idee aufgegriffen und umgesetzt, den Hafen Wien als Wirtschaftsgelände zu errichten, das sich um ein oder mehrere Hafenbecken konzentriert. 1899 stand der Baubeginn für den Hafen Freudenau auf dem Plan, 1939 jener für die Häfen in Albern und in der Lobau.

Hafen Wien
ORF Wien
Der Hafen Wien ist heute Versorgungs- und Umschlagzentrum

Die eigentliche Betriebsgeschichte des Hafens Wien, so wie er sich heute präsentiert, begann schließlich vor 60 Jahren: 1962 wurde die Wiener Hafenbetriebsgesellschaft gegründet. Die drei Häfen Albern, Freudenau und Lobau wurden kontinuierlich ausgebaut. Auch heute noch wird die Hafen Wien GmbH infrastrukturell und flächenmäßig weiterentwickelt. Aktuelle Beispiele sind das jüngst in Betrieb genommene Hochwasserschutztor in Albern sowie die geplante Flächengewinnung in der Freudenau (Hafenbeckenaufschüttung).

Der Hafen Wien ist als Tochter der Wien Holding ein Unternehmen der Stadt Wien. Mit einer Fläche von drei Millionen Quadratmetern fungiert er mit seinen drei Häfen – Freudenau, Albern und dem Ölhafen Lobau – als „trimodale Logistikdrehscheibe“. Rund 100 Unternehmen mit bis zu 5.000 Arbeitsplätzen sind am Hafen Wien angesiedelt. Mit seiner Lage gelte er als „einer der wichtigsten Hinterlandhubs Europas“, vor allem für die großen Nordseehäfen und die adriatischen Häfen.