Die Demokratie sei global so umkämpft wie nie zuvor, so Ludwig in seinem Eingangsstatement bei der „Wiener Konferenz“. Umso mehr solle man sich darüber Gedanken machen, wie die demokratischen Prozesse neu gestaltet werden können. Die Situation in Österreich sei in diesem Zusammenhang ausbaufähig. „Viele, die hier leben, dürfen nicht wählen“, da sie nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, so Ludwig.
Es brauche hier Veränderungen, so Ludwig: „Eben weil Wien als Bundesland die gesetzlichen Bestimmungen nicht ändern kann, setzen wir uns gegenüber dem Bund für ein modernes Staatsbürgerinnenschaftsrecht ein.“ Es soll politische Teilhabe einfacher ermöglichen. „Hürden durch Gebühren, Einkommensgrenzen und Aufenthaltsdauer“ sollen verändert werden.
Vor allem Menschen aus Niedriglohnberufen
Wie Ludwig im Gespräch mit der APA erläuterte, sind vor allem Personen aus Niedriglohnberufen Zielgruppe der Pläne, da sie oft an finanziellen Hürden scheitern. Auch eine kürzere Wartefrist ist für den Stadtchef denkbar. Ludwig will in Sachen Staatsbürgerschaft, wie er formuliert, „den sozialen Gedanken einfließen lassen“. Jeder Fünfte in Österreich und jeder Dritte in Wien sei nicht wahlberechtigt und das hänge oft damit zusammen, dass die finanziellen und bürokratischen Hindernisse zu hoch seien.
„Sozial ungerecht“
So ist es für den Bürgermeister „sozial ungerecht“, dass gut Verdienende oder Investoren viel leichter zur Staatsbürgerschaft kämen als Personen in Niedriglohnbranchen. Wie viel aus seiner Sicht eine passende Einkommensgrenze wäre, wollte Ludwig noch nicht sagen. Sie müsse aber realistisch erreichbar sein. Man könnte hier auch mit Krankenversicherungsdaten arbeiten, um sicher zu stellen, dass auch Mitversicherte eingebürgert werden können.
Was die Wartefrist auf die Staatsbürgerschaft anlangt, kann sich der Bürgermeister eine Verkürzung auf fünf Jahre vorstellen. Zudem ist in der „Wiener Charta“ vorgesehen, dass in Österreich geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren legal im Land aufhältig ist. Die Gebühren zu senken, ist für ihn auf Wiener Ebene vorstellbar. Ludwig appellierte an den Bund, hier eben solche Schritte zu setzen. In der Charta ist von der vollständigen Streichung der Bundesgebühren die Rede.
Wahlrecht soll an Staatsbürgerschaft gekoppelt bleiben
Allerdings: "Das Wahlrecht auf Bundes-und Landesebene bzw. für gesetzgebende Körperschaften soll weiterhin an die Staatsbürgerschaft geknüpft sein“, so Ludwig abschließend. Denkbar ist für ihn allerdings, das Wahlrecht auf Bezirksebene auch Drittstaatsangehörigen zu gewähren – analog zu der Regel, die bereits für EU-Bürger gilt.
Die SPÖ-Jugendorganisationen sprechen sich hingegen für eine Entkopplung von Staatsbürgerschaft und Wahlrecht aus. Menschen, die seit mindestens drei Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, sollen das Wahlrecht bekommen, fordern SJ und VSStÖ.
„Demokratie-Charta“ beschlossen
Bei der „Wiener Konferenz“ handelt es sich um ein neues Format, das auf eine Statutenänderung am letzten SPÖ-Wien-Landesparteitag zurückgeht. Dieser beschloss, dass sich künftig das gesamte Gremium mit 1.000 Delegierten nur mehr alle zwei Jahre trifft. In der Zwischenzeit tagt allerdings die „Wiener Konferenz“ mit 400 Delegierten. Am ersten „kleinen“ Parteitag wurde am Samstag ein gemeinsames Positionspapier zu Demokratie, Partizipation und Staatsbürgerschaft beschlossen: die „Wiener Demokratie-Charta“.
Sie beschreibt, wie mehr Menschen zur Mitsprache ermächtigt werden können. Die Charta umfasst sieben Kapitel zu Bereichen wie Arbeit, Jugend oder Wahlrecht. Jedes befasst sich mit Hürden für die Demokratie. Handlungsbedarf sieht die SPÖ Wien etwa in Betrieben, in Bildungseinrichtungen und beim Schutz kritischer Medien.
Empörung bei ÖVP und FPÖ
ÖVP und FPÖ kritisierten am Samstag die Aussagen des Bürgermeisters scharf. "Die aktuellen Forderungen der Wiener SPÖ das Staatsbürgerschafts- bzw. das Wahlrecht aufzuweichen, sind völlig verantwortungslos und daher klar zurückzuweisen“, so ÖVP-Wien-Parteiobmann Karl Mahrer in einer Aussendung. Dies sei auch ein klares Signal dafür, dass die Wiener SPÖ nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe und die „Willkommenspolitik zulasten der Wienerinnen und Wiener“ fortsetze. Aktuell sei ein starker Anstieg an Staatsbürgerschaftsanträgen in Wien zu verzeichnen.
Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) meinte in einer Aussendung, man werde die Staatsbürgerschaftsregeln nicht aufweichen. Die Staatsbürgerschaft sei ein hohes Gut und stehe am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses, nicht am Anfang. Angesichts der dramatisch hohen Asylzahlen hätten „lasche Staatsbürgerschaftsregeln“ verheerende Konsequenzen, indem ein weiterer Pullfaktor geschaffen werde, meinte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, der den Sozialdemokraten vorhielt, „Masseneinbürgerungen“ anzustreben.
Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp spricht von einer „Provokation der Sonderklasse“. Die „durchgeknallten Forderungen der SPÖ“ müssten gestoppt werden. „Während Asylantenbanden Straßenschlachten veranstalten, Frauen vergewaltigen und wir derzeit mit einer Flut von illegalen Sozialmigranten konfrontiert sind, fällt dem Bürgermeister nichts anderes ein, diesen Personen auch noch die österreichische Staatsbürgerschaft zu schenken und sie wählen zu lassen“, erklärte er in einer Aussendung.