Das Stereotyp der gluckenhaften jüdischen Mame etwa, eine vermeintlich inhärente Melancholie oder Intellektualität – viele Vorstellungen über Jüdinnen und Juden speisen sich aus Abziehbildern. Diese These verdeutlicht das Jüdische Museum Wien mit seiner neuen Ausstellung – die erste unter Ägide der neuen Museumsdirektorin Barbara Staudinger.
Museum als „politischer Ort“
Die Schau sei durchaus prototypisch für die Neuaufstellung des Hauses unter ihrer Leitung zu verstehen, unterstrich die Nachfolgerin von Danielle Spera bei der Präsentation am Dienstag: „Für uns ist ein Museum ein politischer Ort.“ Wie bei der neuen Ausstellung sei auch künftig das Ziel, zeitgenössische Diskurse zu begleiten oder an diese anzuknüpfen.
Das leistet „100 Missverständnisse über und unter Juden“. Mit einem steten Augenzwinkern werden nicht nur Vorstellungen betrachtet, die in der nicht jüdischen Mehrheitsgesellschaft existieren, sondern es wird auch das eigene Wirken unter die Lupe genommen. So ist die Ausstellung durchaus selbstreferenziell angelegt und auch die Arbeit jüdischer Museen wird miteinbezogen.
Die Ausstellung
„100 Missverständnisse über und unter Juden“ im Jüdischen Museum, Dorotheergasse 11, von 30. November bis 4. Juni. Geöffnet sonntags bis freitags von 10.00 bis 18.00 Uhr.
Palais mit jüdischem Kunstnamen
Sie habe in der Vergangenheit immer wieder selbst dazu beigetragen, veraltete Vorstellungen zu verfestigen oder zu tradieren. Das beginnt schon bei der Heimstatt des Museums, dem Palais Eskeles – ein Kunstname, den man einst gewählt hatte, um eine jüdische Geschichte des Innenstadtprachtbaus zu suggerieren, die dieser aber nur äußerst begrenzt hatte.
„Als das Jüdische Museum in Wien gegründet wurde, suchte man einen adäquaten Ort in Wien, der auch jüdisch gebrandet werden sollte, und man fand dieses Palais und hat es dann Palais Eskeles genannt“, erklärte Chefkurator Hannes Sulzenbacher gegenüber „Wien heute“. Das Haus war zwar eine Immobilie des Bankhauses Eskeles. Doch die Familie Eskeles hatte hier nie gewohnt.
Antisemitische Zerrbilder, philosemitische Wunschbilder
Hier können sich Besucherinnen und Besucher nun auf eine Reise durch einen Klischeedschungel machen, dessen Samen und wildes Wuchern humorvoll hinterfragt wird – mal mit künstlerischen Überschreibungen, wenn Hitler als Bettvorleger grüßt, mal mit wissenschaftlicher Akribie.
Ausstellung: „100 Missverständnisse über und unter Juden“
Im Jüdischen Museum findet aktuell die Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“ statt. Viele Mythen rund um das jüdische Leben sollen dabei thematisiert werden. Am Dienstag fand die Eröffnung statt.
„Diese Ausstellung ist keine über Jüdinnen und Juden, sondern über Bilder von Jüdinnen und Juden“, machte Chefkurator Sulzenbacher deutlich. Dabei gehe es beileibe nicht nur um antisemitische Zerrbilder, sondern vornehmlich sogar um deren Pendant, philosemitische Wunschvorstellungen.
Überschreitungen, Romantisierung, Voyeurismus
Gegliedert in sieben Kapitel mit Titeln wie „Überschreitungen“, „Romantisierung“ oder „Voyeurismus“ zeigt ein Chanukka-Leuchter im billigen Rotkäppchendesign, dass auch jüdische Ritualgegenstände keineswegs immer alttestamentarisch-historisch daherkommen, spiegelt Beyonces betont bescheidener Hosenanzug vom Besuch des Anne-Frank-Hauses auf den Umgang mit der Shoah-Erinnerung zurück oder stellt ein Abguss des David-Riechkolbens von Michelangelo die Frage nach der „typischen“ jüdischen Nase.
Und ein Stoffschweinchen mit der Flagge „Bei euch bin ich doch sicher?“ referenziert auf die jüdischen Essvorschriften. „Das dahinter liegende Missverständnis ist natürlich, dass alle glauben, alle Juden essen koscher.“ Doch dem sei mitnichten so, erklärt der Chefkurator: „Jüdinnen und Juden, die religiös sind, essen koscher, aber es gibt einfach auch zahlreiche andere.“ Doch wie begegnet man solchen und anderen Missverständnissen am besten? Mit Humor.