Jean Paul Gaultier, Collection Juive, Fotografie, 1993
Jean Paul Gaultier
Jean Paul Gaultier
Religion

Jüdisches Museum räumt mit Irrtümern auf

Das Bild, das sich die Gesellschaft von Jüdinnen und Juden und jüdischem Leben macht, besteht zu einem nicht geringen Teil aus Klischees, Stereotypen und Irrtümern. Das Jüdische Museum räumt nun in der neuen Schau „100 Missverständnisse über und unter Juden“ mit ihnen auf.

Das Stereotyp der gluckenhaften jüdischen Mame etwa, eine vermeintlich inhärente Melancholie oder Intellektualität – viele Vorstellungen über Jüdinnen und Juden speisen sich aus Abziehbildern. Diese These verdeutlicht das Jüdische Museum Wien mit seiner neuen Ausstellung – die erste unter Ägide der neuen Museumsdirektorin Barbara Staudinger.

Museum als „politischer Ort“

Die Schau sei durchaus prototypisch für die Neuaufstellung des Hauses unter ihrer Leitung zu verstehen, unterstrich die Nachfolgerin von Danielle Spera bei der Präsentation am Dienstag: „Für uns ist ein Museum ein politischer Ort.“ Wie bei der neuen Ausstellung sei auch künftig das Ziel, zeitgenössische Diskurse zu begleiten oder an diese anzuknüpfen.

Fotostrecke mit 9 Bildern

Aus der Rauminstallation Im Schatten der Verdrängung, Arye Wachsmuth und Sophie Lillie, 2021 im Rahmen der Ausstellung Dispossession im Künstlerhaus, 2021
Arye Wachsmuth
Arye Wachsmuth und Sophie Lillie, „Endsieger sind dennoch wir“, Lichtinstallation, 2021
Jean Paul Gaultier, Collection Juive, Fotografie, 1993
Jean Paul Gaultier
Jean Paul Gaultier, „Collection Juive“, Fotografie, 1993
Ausstellungsobjekt „100 Missverständnisse über und unter Juden“
Ouriel Morgensztern
„Bei euch bin ich doch sicher! Oder?“
Benyamin Reich, Judenfreund, Fotografie, Berlin, 2018
Benyamin Reich
Benyamin Reich, „Judenfreund“, Fotografie, Berlin, 2018
Ausstellungsraum „100 Missverständnisse über und unter Juden“
Ouriel Morgensztern
Ausstellungsraum
Shmuel Shapiro, Jesus als Rabbiner, Privatsammlung Hohenems
Privatsammlung Hohenems/Momentosphere by Tobias de St. Julien
Shmuel Shapiro, „Jesus als Rabbiner“
Cary Leibowitz und Rhonda Lieberman, Chanel Hanukkah, 1991 Rhonda Lieberman Cary Leibowitz; Courtesy of Rhonda Lieberman
The Jewish Museum, NY, Sammlung Patricia A. Bell
Cary Leibowitz und Rhonda Lieberman, Chanel-Hanukkah, 1991
Pure Holy Land Air, Product of Luftgescheft
Jüdisches Museum Wien/Sebastian Gansrigler
Pure Holy Land Air, Product of Luftgescheft
Nasco Circumcision Trainer Jüdisches Museum Hohenems Hohenems
Momentosphere by Tobias de St. Julien
Nasco Circumcision Trainer

Das leistet „100 Missverständnisse über und unter Juden“. Mit einem steten Augenzwinkern werden nicht nur Vorstellungen betrachtet, die in der nicht jüdischen Mehrheitsgesellschaft existieren, sondern es wird auch das eigene Wirken unter die Lupe genommen. So ist die Ausstellung durchaus selbstreferenziell angelegt und auch die Arbeit jüdischer Museen wird miteinbezogen.

Die Ausstellung

„100 Missverständnisse über und unter Juden“ im Jüdischen Museum, Dorotheergasse 11, von 30. November bis 4. Juni. Geöffnet sonntags bis freitags von 10.00 bis 18.00 Uhr.

Palais mit jüdischem Kunstnamen

Sie habe in der Vergangenheit immer wieder selbst dazu beigetragen, veraltete Vorstellungen zu verfestigen oder zu tradieren. Das beginnt schon bei der Heimstatt des Museums, dem Palais Eskeles – ein Kunstname, den man einst gewählt hatte, um eine jüdische Geschichte des Innenstadtprachtbaus zu suggerieren, die dieser aber nur äußerst begrenzt hatte.

„Als das Jüdische Museum in Wien gegründet wurde, suchte man einen adäquaten Ort in Wien, der auch jüdisch gebrandet werden sollte, und man fand dieses Palais und hat es dann Palais Eskeles genannt“, erklärte Chefkurator Hannes Sulzenbacher gegenüber „Wien heute“. Das Haus war zwar eine Immobilie des Bankhauses Eskeles. Doch die Familie Eskeles hatte hier nie gewohnt.

Antisemitische Zerrbilder, philosemitische Wunschbilder

Hier können sich Besucherinnen und Besucher nun auf eine Reise durch einen Klischeedschungel machen, dessen Samen und wildes Wuchern humorvoll hinterfragt wird – mal mit künstlerischen Überschreibungen, wenn Hitler als Bettvorleger grüßt, mal mit wissenschaftlicher Akribie.

Ausstellung: „100 Missverständnisse über und unter Juden“

Im Jüdischen Museum findet aktuell die Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“ statt. Viele Mythen rund um das jüdische Leben sollen dabei thematisiert werden. Am Dienstag fand die Eröffnung statt.

„Diese Ausstellung ist keine über Jüdinnen und Juden, sondern über Bilder von Jüdinnen und Juden“, machte Chefkurator Sulzenbacher deutlich. Dabei gehe es beileibe nicht nur um antisemitische Zerrbilder, sondern vornehmlich sogar um deren Pendant, philosemitische Wunschvorstellungen.

Überschreitungen, Romantisierung, Voyeurismus

Gegliedert in sieben Kapitel mit Titeln wie „Überschreitungen“, „Romantisierung“ oder „Voyeurismus“ zeigt ein Chanukka-Leuchter im billigen Rotkäppchendesign, dass auch jüdische Ritualgegenstände keineswegs immer alttestamentarisch-historisch daherkommen, spiegelt Beyonces betont bescheidener Hosenanzug vom Besuch des Anne-Frank-Hauses auf den Umgang mit der Shoah-Erinnerung zurück oder stellt ein Abguss des David-Riechkolbens von Michelangelo die Frage nach der „typischen“ jüdischen Nase.

Und ein Stoffschweinchen mit der Flagge „Bei euch bin ich doch sicher?“ referenziert auf die jüdischen Essvorschriften. „Das dahinter liegende Missverständnis ist natürlich, dass alle glauben, alle Juden essen koscher.“ Doch dem sei mitnichten so, erklärt der Chefkurator: „Jüdinnen und Juden, die religiös sind, essen koscher, aber es gibt einfach auch zahlreiche andere.“ Doch wie begegnet man solchen und anderen Missverständnissen am besten? Mit Humor.