„Die Arbeitsbedingungen sind im Moment so schrecklich, dass sich niemand den Job antun will. Und die andere Seite ist, dass die Kollegen, die im System drinnen sind, tagtäglich überlegen, ob sie nicht was anderes machen und den Kassenvertrag zurückgeben“, so Kamaleyan-Schmied, selbst Allgemeinmedizinerin mit Kassenvertrag und stellvertretende Kurienobfrau für den niedergelassenen Bereich in der Wiener Ärztekammer.
Covid-19, Influenza und RSV würden die Praxen zusätzlich zum täglichen Geschäft derzeit besonders fordern: „Wir baden quasi den Ärztemangel aus.“ Heime könnten nicht mehr beschickt werden, Ordinationen würden früher aufsperren und später schließen. Auch die Telemedizin müssen betreut werden. Es gebe rund 200.000 mehr Menschen in Wien, gleichzeitig würden aber rund 60 Kassenverträge für Allgemeinmedizin fehlen, beschrieb Kamaleyan-Schmied gegenüber Radio Wien die aktuelle Situation.
Laut ÖGK sind Planstellen zu 99 Prozent besetzt
Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) sieht die Situation hingegen nicht so dramatisch. Während die Ärztekammer 60 neue Kassenverträge fordert, sind laut Angaben der ÖGK in Wien nur zwölf von insgesamt 800 Planstellen für Allgemeinmedizin nicht besetzt. Und man sei dabei, verschiedenste Modelle auszuarbeiten, um den jungen Medizinerinnen und Medizinern entgegenzukommen.
Zudem verwies die ÖGK darauf, dass der Stellenplan gemeinsam mit der Ärztekammer ausverhandelt werde. Außerdem würde auch die Ärztekammer selbst sich häufig gegen neue Arztpraxen aussprechen, um das Einzugsgebiet rund um bereits ansässige Ordinationen zu schützen.
Laut ÖGK sind 99 Prozent der insgesamt 2.497 Kassenplanstellen in Wien besetzt. Bei der Allgemeinmedizin gibt es 800 Planstellen, zwölf davon unbesetzt. Sie befinden sich in der Leopoldstadt (1 von 46), am Alsergrund (1 von 17), Meidling (1 von 43), Rudolfsheim-Fünfhaus (1 von 35), Döbling (1 von 28) und Liesing (1 von 45). In Floridsdorf sind demnach zwei von 74 Stellen nicht besetzt, in der Donaustadt vier von 77. Hinzu kommen mittlerweile zehn Primärversorgungseinheiten, die zehnte hat gerade erst in Oberdöbling eröffnet.

Weg mit Sparkurs und her mit Attraktivität
Um die Situation zu entschärfen, gilt es laut Ärztekammer vor allem zwei Probleme zu lösen. Das eine sei, wie es politisch zu schaffen sei, den Sparkurs im Gesundheitswesen zu ändern. Es müsse endlich Geld in die Hand genommen werden, „um Gesundheit die Wertigkeit zu geben, die sie braucht“, sagte Kamaleyan-Schmied. Das zweite Problem sei, wie es zu schaffen sein, ausgebildete Ärztinnen und Ärzte so weit zu bekommen, dass sie einen Kassenvertrag übernehmen.
Denn es gebe auch viele, die sich überlegen würden, den Kassenvertrag zurückzugeben. Kamaleyan-Schmied sieht auch eine Gefahr für das solidarische Gesundheitssystem. Geld dürfe nicht darüber entscheiden, ob man nicht krank beziehungsweise ob man gesund werde – das wäre ein Armutszeugnis. Sie verstehe aber auch alle, die kein Geld in eine Ordination investieren möchten – weil sie dann in den nächsten Jahren unter Bedingungen wie aktuell arbeiten müssten.