Ein Haus, das saniert wird, umgeben von einem Gerüst
ORF/Matthias Lang
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Umwelt & Klima

Sanierung als Bedingung für Gasausstieg

Viel wird über den Gasausstieg geschrieben und darüber, wie die Gasthermen aus den Gebäuden kommen sollen. Fast noch wichtiger ist aber die thermische Sanierung. Denn um die gesteckten Klimaziele zu erreichen, muss der Energieverbrauch kräftig gesenkt werden.

Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Ein thermisch saniertes Haus verbraucht weniger Energie fürs Heizen. Damit können dezentrale Systeme wie die Fernwärme mehr Gebäude mit Wärme versorgen, Wärmepumpen können effizienter arbeiten. „Ich denke, eine Sanierung muss sowieso das Ziel sein, unabhängig vom Energieträger“, erklärt Energieforscher Lukas Kranzl von der Technischen Universität (TU) Wien. Denn während die Zahl der Gebäude weiter steigen wird, soll und muss der Energieverbrauch bis 2040 sinken.

Kranzl sieht in einer Sanierung weitere Vorteile: etwa die finanzielle Entlastung, wenn nicht beim Fenster hinausgeheizt wird. Es gebe auch das Komfortargument. „Der Mensch empfindet nicht nur die Lufttemperatur als behaglich, sondern auch die Temperatur der angrenzenden Wände. Bei gleicher Lufttemperatur und einer kühlen angrenzenden Wand fühle ich mich einfach weniger behaglich, als wenn diese Wand angenehm warm oder nahe der Lufttemperatur im Raum ist.“

Umrüstung auch ohne Sanierung

412.000 Wohnungen, die mit fossilen Brennstoffen beheizt werden, sind nach Definition der Stadt Wien noch nicht thermisch saniert. Dass all diese Gebäude bis 2040 saniert werden, hält Kranzl für unwahrscheinlich. „Man muss jetzt wahrscheinlich kurzfristig auch in den sauren Apfel beißen und vielleicht manche Gebäude, die jetzt noch nicht wärmepumpentauglich sind, trotzdem mit einer Wärmepumpe versehen – mit der Perspektive, dieses Gebäude halt dann möglichst rasch auch auf den entsprechenden thermischen Standard zu bringen.“

„Aus meiner Sicht ist das der Preis, den wir jetzt zu zahlen haben dafür, was halt die letzten Jahrzehnte verschlafen worden ist“, sagt Kranzl. Seit Jahren liegt die Sanierungsrate auf niedrigem Niveau, zuletzt bei rund 0,9 Prozent. Laut einer Studie der Wien Energie muss diese ab 2030 2,4 Prozent betragen, damit die Ziele erreicht werden können. Dass binnen kürzester Zeit in ganz Wien saniert wird, scheint nicht realistisch.

Sanierungsplan
Stadt Wien
Sechs Schritte hat die Stadt definiert, wie man Häuser thermisch sanieren kann

Für konkrete Sanierungsmaßnahmen hat die Stadt im Wiener Wärme-Kälte-Konzept sechs Möglichkeiten vorgelegt, wie ein Haus saniert werden kann. Dazu gehören die Dämmung der obersten Geschoßdecke (1), Straßenseite (2), Kellerdecke (3) und Hofseite (4). Zusätzlich sollten Fenster getauscht (5) und optional die Heizkörper mit einer Flächenheizung – also einer Fußboden-, Wand- oder Deckenheizung – ersetzt werden (6). Eine Statistik der Stadt Wien zeigt, dass thermische Sanierungen den Heizwärmebedarf im Durchschnitt um zwei Drittel senken.

Pilotprojekt für 118 Gebäude

Die Stadt will selbst zuerst „100 Projekte raus aus Gas“ umsetzen – also Beispielprojekte, wie der Ausstieg gelingen kann. In den 100 Projekten sollen sich dann Lösungen für den überwiegenden Teil aller anderen Gebäude finden. An einem davon arbeitet das Bauphysikbüro Schöberl & Pöll mit. In der Kauergasse in Rudolfsheim-Fünfhaus wird ein klassisches Gründerzeithaus umgebaut.

Dabei soll alles eingesetzt werden, was derzeit an klimafreundlichen Maßnahmen bekannt ist, angefangen mit thermischer Sanierung und erneuerbarer Energieversorgung. Auch ein spezielles Projekt zur Kreislaufwirtschaft wird durchgeführt. Es wird erstmals eine Demonstrationsanlage zur thermischen und stofflichen Verwertung von wenig verschmutztem Abwasser (Grauwasser) eingesetzt, das für Warmwasser, Kühlen und Bewässern verwendet wird.

Das Projekt soll stellvertretend für ein viel größeres Projektgebiet um die Gudrunstraße in Favoriten stehen. Gemeinsam mit mehreren Partnerunternehmen arbeitet Schöberl & Pöll an Lösungen für 118 Gebäude. Es geht darum herauszufinden, „welche Maßnahmen könnte man setzen, damit auch in diesem Bereich Klimaneutralität in einem gewissen Zeithorizont erreicht werden kann“, erklärt Geschäftsführer Helmut Schöberl.

Autos parken in einer Straße in Favoriten
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Im Gebiet um die Gudrunstraße in Favoriten wird ein Maßnahmenplan zur Sanierung erarbeitet

Klimaschutzziele ohne Sanierung nicht erreichbar

Das Projekt geht noch bis Anfang nächsten Jahres, bis dahin soll das Vorzeigeprojekt fertig sein. Die konkrete Umgestaltung der 118 Gebäude sind nicht Teil des Projekts. „Es ist in der Entscheidungskompetenz der einzelnen Eigentümerinnen und Eigentümer, wann welche Schritte gesetzt werden. Aber die Hoffnung ist schon, dass man einfach durch ein Projekt demonstriert, was grundsätzlich umgesetzt werden kann.“

Sein Kollege Klemens Schlögl stellt aber klar: „Wir können die Klimaschutzziele nicht erreichen, wenn wir nicht gleichzeitig mit einem wirklich ambitionierten Ausbau erneuerbarer Energien auch die Energieeffizienz gewaltig steigern, etwa thermisch sanieren.“ Die Stadt Wien arbeite viel mit finanziellen Anreizen, erklären die beiden, etwa Förderprogrammen für die Sanierung. Lobend heben sie etwa den Plan der Stadt hervor, bis 2025 Energieraumpläne zu erarbeiten. Darin sollen etwa die künftig möglichen Wärmeträger für alle Gebäude der Stadt definiert werden.

Wärmeatlas als Entscheidungshilfe

Grundlagenarbeit in dem Bereich hat auch das Projekt GEL S/E/P gemacht. Das Ergebnis war der Wiener Wärmeatlas. Beteiligt war auch Lukas Kranzl. „Der Wärmeatlas zeigt als Kernoutput den Wärmebedarf der Gebäude auf Gebäudeebene, auf Bezirksebene, auf Blockebene für ganz Wien“, erklärt der Energieforscher. Die Wärmebedarfsdichte (zu sehen in der Karte unten) ist auch eine Entscheidungsgrundlage für den Ausbau der Fernwärme.

Die Karte zeigt die Wärmebedarfsdichte (rot) und Fernwärmeleitungen (schwarz) in Wien

Auch weitere Informationen sind im Wärmeatlas enthalten, etwa welche Art der Beheizung verwendet wird, und der Stand der Gebäudetechnik – „soweit das vorhanden ist“, sagt Kranzl, denn viele Datenbanken, die für den Wärmeatlas angezapft wurden, sind unvollständig. Als Grundlage für die thermische Sanierung sei er dennoch hilfreich: Man könne die Erkenntnisse verwenden, um etwa Hotspots für Grätzelsanierungen zu definieren.

Die Stadtregierung verfolgt zu dem Thema das Programm „WieNeu(+)“, bei dem Zielgebiete für Blocksanierungen definiert werden. Aktueller Fokus liegt auf Innerfavoriten, jenem Gebiet, in dem sich auch das Projekt von Schöberl und Schlögl befindet. Das Gebiet umfasst auch das Supergrätzel, in dem vor allem Wert auf die Verkehrsmaßnahmen gelegt wird.

Die Neilreichgasse in Favoriten, im Vordergrund sieht man das Wort Supergrätzl, rechts ein Haus, das saniert wird
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Die Maßnahmen im Gudrunviertel stehen auch in Verbindung mit dem dortigen Supergrätzel

Europäische Lösung gesucht

Noch hängen viele dieser Maßnahmen vom Interesse der Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer ab. Auf europäischer Ebene werde aber an einem gesetzlichen Ansatz gearbeitet, so Kranzl. Die Minimum Energy Performance Standards (MEPS), also energetische Mindeststandards für den Gebäudebestand, sollen etwa Zeiträume vorgeben, bis wann bestimmte Gebäude saniert werden müssen. Eine Entscheidung ist für dieses Jahr zu erwarten.

Sollte die Richtlinie vom EU-Parlament beschlossen und anschließend auch von Österreich übernommen werden, müssen alle Gebäude mit Energieeffizienzlabel G bis 2030 saniert werden. Bis 2033 sind alle mit Label F dran. Ohne gesetzliche Regelung werde es kaum funktionieren, sagt Kranzl: „Gerade im Bereich der Mietwohnungen ist das ein wesentlicher Punkt, weil man sonst nie aus diesem Eigentümer-Nutzer-Dilemma rauskommt.“