Chronik

96-Jähriger tot: Freispruch für Pflegerin

Wegen Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen ist eine Pflegerin aus Bulgarien in Wien angeklagt gewesen. Ein ihr anvertrauter 96-Jähriger starb. Die Frau wurde nicht rechtskräftig freigesprochen.

„Es bleibt ein Zweifel, was wirklich passiert ist“, so Richter Christian Gneist. Er sah keinen bedingten Vorsatz, den Mann zu quälen. Die Frau dürfte als Urlaubsvertretung mit der Situation überfordert gewesen sein. Der 96-Jährige erlitt in ihrer Obhut einen offenen Dekubitus, eine Hautschädigung, die sich bis zur offenen Wunde entwickeln kann, und starb daran nach wenigen Tagen.

Laut einer Sachverständigen könne ein Dekubitus auch innerhalb kurzer Zeit – ein, zwei bis drei Tage – entstehen. Das komme auf den Ernährungszustand, die körperliche Verfassung und wie oft Körperhygiene und Lageänderung des Körpers vorgenommen wird, an.

Urlaubsvertretung rasch überfordert

Die 68-jährige Frau war im Juli 2021 als Urlaubsvertretung für eine Kollegin eingesprungen. Erst im Jahr davor hatte sie die Ausbildung zur Sozialassistenzbetreuung in Bulgarien gemacht. In Wien sollte sie im Auftrag einer großen Organisation für einen Monat die 24-Stunden-Pflege des 96-Jährigen übernehmen. „Ich hätte alles Notwendige für meinen Aufenthalt vorfinden sollen, leider war es nicht so“, berichtete die Beschuldigte. Schnell sei ihr klar geworden, dass sie mit der Pflege überfordert war, wollte aber den ganzen Monat fertig machen.

Mehrfach musste sie in der Nacht aufstehen, weil der 96-Jährige vor Schmerzen schrie. Sie informierte ihre Vorgesetzte über die Zustände, auch die Verwandten des gebrechlichen Mannes wurden darüber in Kenntnis gesetzt. „Er sagte, dass er überall Schmerzen hat“, sagte die Frau, aber ein Arzt sei die ganze Zeit über nicht gekommen, meinte sie. Auch eine Nachbarin bekam die Probleme mit, weil sie am 25. Juli in den frühen Morgenstunden Hilfeschreie des Pensionisten hörte.

Dann beobachtete die Hausbewohnerin, wie die Pflegerin den Pensionisten „in einem fordernden Ton“ zum Aufstehen bringen wollte. Weil er sich weigerte, soll die Betreuerin den 96-Jährigen mit beiden Händen ins Bett geschubst haben. Die Nachbarin schrie: „Was machen Sie da?“ Es sei „ein Akt gewesen, der nicht professionell und sehr brutal war“. Daraufhin meldete die Nachbarin den Fall bei der Familie, die aus dem Urlaub anreiste, um nach dem Rechten zu sehen. Dabei wurden offene Wunden am Steißbein des Pensionisten entdeckt.

Zeugin: „Offensichtlich schon länger so“

Der Vorwurf an die Frau ist, dass sie sich nicht genügend um die Körperpflege des Mannes gekümmert und ihn nicht genügend mobilisiert habe. Die Großnichte des Mannes bemerkte bei ihrem Besuch, dass das Bett trotz der von dem Pensionisten getragenen Windel komplett nass war. Ihr Onkel habe am Körper blaue Flecken, rote und offene Stellen gehabt. „Es kann ja in der Nacht mal was passieren“, aber es sei „offensichtlich“ gewesen, dass hier die Situation schon länger angehalten habe.

„Es ist nichts, was schnell passiert“, sagte die Frau im Zeugenstand. „Er hatte Angst vor ihr“, sagte die Großnichte. Er sei in der Zeit, in der die 68-Jährige bei ihm war, zunehmend verwirrt geworden, deutlich abgemagert und hat gejammert und gewimmert. Ihr Mann berichtete sogar, dass der 96-Jährige meinte: „Das Teufelsweib ist so grob.“

Vorgesetzte: „Schwierige Betreuungssituation“

Die Vorgesetzte, die sich zweimal ein Bild von der Lage machte, sprach von einer „schwierigen Betreuungssituation“, da es im gesamten Haus Umbauarbeiten gab. Dem 96-Jährigen und der Pflegerin standen lediglich ein kleines Schlafzimmer, Wohnzimmer und Küche zur Verfügung. Sie habe allerdings im Vorfeld nichts von wund gelegenen Stellen bemerkt, habe zweimal eine Hautkontrolle durchgeführt. Die Frau wurde in dem Fall ursprünglich auch als Beschuldigte geführt, ihr Verfahren wurde jedoch eingestellt.

Der Hausarzt meinte im Zeugenstand, dass er den Mann wenige Wochen davor noch gesehen habe. Er sei teilmobil und geistig völlig fit gewesen. „Er hat den Kindern in der Familie noch bei den Hausaufgaben geholfen“, sagte der Mediziner.