Eine Pflegerin in einem Patientenzimmer
APA/Hans Klaus Techt
APA/Hans Klaus Techt
Gesundheit

Viele Pflegekräfte kündigen

Den Engpass in der Pflege belegen jetzt auch Zahlen des Wiener Gesundheitsverbunds (WIGEV), die dem ORF Wien exklusiv vorliegen. Demnach verlassen mehr Pflegerinnen und Pfleger das System, als nachkommen. Und: Immer mehr werfen von sich aus das Handtuch.

Egal, ob in den Wiener Spitälern oder den Pflegeheimen der Stadt: Seit der Coronavirus-Pandemie verschärfte sich die Personalsituation im Pflegebereich massiv. Erstmals belegen den Abwärtstrend auch Zahlen aus dem Wiener Gesundheitsverbund.

2020 traten noch mehr diplomierte Pflegerinnen und Pfleger inklusive Pflegassistenten und Pflegefachassistentinnen ihren Dienst im WIGEV an, als ausschieden . 1.063 kamen neu zum WIEGV, 907 verließen ihn. Doch 2021 gab es um 256 mehr Austritte als Eintritte. Auch im Vorjahr gingen um 165 Pflegekräfte mehr, als neu dazukamen. Eine Entwicklung, die sich auch heuer fortsetzte. Im ersten Quartal standen 277 Austritte 193 Eintritten gegenüber.

Immer mehr Pflegepersonal kündigt

Den Engpass in der Pflege belegen jetzt auch Zahlen des Wiener Gesundheitsverbunds (WIGEV), die dem ORF Wien exklusiv vorliegen. Demnach verlassen mehr Pflegerinnen und Pfleger das System, als nachkommen. Und: Immer mehr werfen von sich aus das Handtuch.

Mehr als 700 kündigten im Vorjahr von sich aus

Die Zahlen, die „Wien heute“ vorliegen, zeigen auch: Viele der Pflegerinnen und Pfleger kündigen von sich aus. 2020 kündigten 547 Pflegekräfte, ein Jahr darauf waren es schon 646. Voriges Jahr waren es dann 717. Heuer kündigten im ersten Quartal bereits 169 Pflegerinnen und Pfleger von sich aus.

younion-Gewerkschafter Edgar Martin
ORF
Gewerkschafter Martin: Kündigen, um „nicht ins Burnout zu rutschen, um nicht daran kaputtzugehen“

Für younion-Gewerkschafter Edgar Martin ist das keine überraschende Entwicklung. „Um nicht ins Burnout zu rutschen, um nicht daran kaputtzugehen, ist oft der einzige Hebel, den sie haben, dass sie in den Krankenstand gehen, oder letztendlich das System verlassen“, sagt Martin.

Besonders von den Personalengpässen seien etwa zentrale Notaufnahmen, Ortho-Trauma-Abteilungen oder die Neurochirurgie betroffen – dort „ist es besonders schlimm“. Aber auch in den Pflegeeinrichtungen herrsche Personalmangel. „Das bedeutet, dass die nahtlose Versorgung der Patienten vom Spital in die Pflege nicht gegeben ist“, so Martin.

Hacker verweist auf Ausbau der Ausbildungsplätze

Der zuständige Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) verneint den Personalmangel gar nicht und zeigt auch Verständnis für die Kündigungen. „Ich verstehe auch menschlich oder auch emotional, dass die Mitarbeiter sagen, sorry jetzt habe ich drei Jahre gehackelt wie ein Viech, ich sehe meine Familie nicht mehr. Ich haue den Hut drauf“.

Der Gesundheitsstadtrat rechnet aber damit, dass ab spätestens 2025 wieder mehr Pflegepersonal eintritt als austritt. Denn die Stadt baut derzeit die Zahl Ausbildungsplätze für Pflegekräfte inklusive Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz massiv aus. Die Zahl wurde in den vergangenen Jahren von 2.000 auf 4.000 verdoppelt und soll ab 2025 weiter steigen: in Summe auf 4.500 Plätze. „Jetzt schön langsam kommen wir eben in die Situation, dass wir die Ergebnisse von diesem Ausbau auch sehen – und daher weiß ich aus der Prognoserechnung, dass wir spätestens 2025 diesen Turning-Point haben werden“, sagt Hacker.

Er räumt aber ein, dass es sich allein mit dem Ausbau der Ausbildungsplätze nicht ausgehen wird. Die Stadt will deshalb auch Pflegepersonal aus dem Ausland holen. „Ich glaube, dass wir das in den nächsten zwei Jahren erleben werden“, sagt Hacker. „Wir diskutieren da gerade unterschiedliche Modelle mit den Betreibern von Ausbildungseinrichtungen in den Philippinen und anderen Ländern auch.“

Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bei einem ORF-Interview  in seinem Büro im Rathaus
ORF
Gesundheitsstadtrat Hacker verweist auf den Ausbau der Pflege-Ausbildungsplätze und will Personal aus dem Ausland holen

„Herausforderung eines steigenden Fachkräftebedarfs“

Auch der Gesundheitsverbund verweist auf den Ausbau der Ausbildungsplätze. „Nachdem wir eine durchschnittliche Bleiberate von über 80 Prozent unserer Auszubildenden im Unternehmen haben, können wir davon ausgehen, dass wir unseren Bedarf an Pflegefachpersonen damit einigermaßen gut decken werden können“, heißt es aus der Pressestelle des WIGEV. Allerdings wird auch eingeräumt: „Natürlich stehen aber auch wir – wie Unternehmen und Organisationen aller Branchen – vor der Herausforderung eines steigenden Fachkräftebedarfs bei tendenziell sinkendem Fachkräfteangebot.“

Gewerkschaft fordert „Krisengipfel“ noch vor dem Sommer

Gewerkschafter Martin ist skeptisch. „Die Erhöhung der Ausbildungsplätze oder der Zuzug von auswärtigen Pflegefachkräften sind sicher zwei Stellschrauben, an denen man in diesem System drehen kann und auch soll. Aber das wird nicht die einzige Lösung sein. Einerseits brauche ich nämlich Menschen, die diese Ausbildungsplätze besetzen und diese Ausbildung auch abschließen. Und ich brauche Ausbildner im System, die Zeit zur Verfügung haben“, sagt Martin.

Sendungshinweis:
„Wien heute“, 8.6.2023

Der Gewerkschafter fordert, noch vor dem Sommer und der Urlaubssaison, einen Krisengipfel mit allen Beteiligten. Stadtrat Hacker und Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) seien auch schon informiert worden. Bei dem Termin will Martin auch die Forderung der Gewerkschaft nach einer besseren Entlohnung „für Wochenend- und Feiertagsdienste, sowie für das Einspringen“ wiederholen.

Anwerbe-Prämie: Derzeit 92 Personen

Um den Personalmangel entgegenzuwirken, rief der Gesundheitsverbunds eine Anwerbeprämie ins Leben. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen künftig 1.000 Euro, wenn sie Bekannte erfolgreich anwerben. Klappt es dann mit dem Job, wird nach sechs Monaten der Anwerbebonus mit dem Gehalt ausbezahlt, und zwar steuerbegünstigt – mehr dazu in Prämie fürs Anwerben von Spitalspersonal.

„Derzeit kommen 92 Personen für eine Auszahlung in Frage. 43 Personen sind für den Pflegebereich vorgesehen, sechs für eine ÄrztInnen-Position. Die restlichen 43 teilen sich auf Verwaltungsberufe, ApothekerInnen und Technik auf“, heißt es dazu auf Anfrage vom WIGEV.