Heim-Opfer mehrmals abgewiesen?

Nach Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe rund um das ehemalige Kinderheim am Wilhelminenberg melden sich laufend neue Betroffene. Eine Frau sagte unterdessen, dass sie sich seit Jahrzehnten immer wieder ans Jugendamt gewandt habe, passiert sei nichts.

Die heute 69-jährige Frau verbrachte fünf Jahre von 1948 bis 1953 in dem Heim. Über die Jahre dort sagte sie gegenüber der ORF-Sendung Wien heute: „Vor der Hölle habe ich keine Angst - ich habe die Hölle schon erlebt.“ Nacht für Nacht seien die Erzieher der Knabenabteilung in die Mädchen-Schlafsäle gekommen und hätten diese missbraucht. Ihre traumatischen Erlebnisse habe sie damals niedergeschrieben und sie sei auch bei der Polizei, dem Jugendamt und bei Zeitungen gewesen. Doch niemand habe ihr geglaubt.

TV-Hinweis

Wien heute hat mit dem Opfer gesprochen, das gesamte Interview sehen Sie am Mittwoch in Wien heute, 19.00 Uhr, ORF2.

„Die haben mich als Lügnerin hingestellt. Als blöde Frau, die fantasiert“, zitierte auch die Tageszeitung „Kurier“ die Frau. In den 1970er und 1980er-Jahren sei sie auch im Rathaus gewesen, um ihre schrecklichen Erinnerungen an die Heimzeit auf einem Amt zu dokumentieren. „Die haben mich einfach rausgeschmissen. Mir hat keiner zugehört“, so der Vorwurf der Frau.

Opfer im „Wien heute“-Interview

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Immer mehr Betroffene brechen Schweigen

Unterdessen melden sich immer mehr angebliche Opfer. „Heute am Vormittag waren es so wie gestern wieder schätzungsweise 40 Anrufe - eher noch mehr“, sagte die „Weißer Ring“-Geschäftsführerin Marianne Gammer am Dienstag. Die Hilfeeinrichtung bietet den Opfern Unterstützung und spricht die von der Stadt Wien als finanzielle Entschädigung zur Verfügung gestellten Mittel zu. Pro Person sind das 5.000, 15.000 oder 25.000 Euro - je nach Schwere des Falls, wobei es in Ausnahmefällen auch mehr als 25.000 Euro sein können.

Belastende Gespräche für Opfer

Dass es sich bei den neuen Meldungen um „Trittbrettfahrer“ handelt, schließt die Organisation so gut wie aus. Man sei damit immer wieder einmal konfrontiert, doch in der aktuellen Causa schließe sie so gut wie aus, dass sich vermeintliche Gewalt- oder Missbrauchsopfer bereichern wollen würden. Betroffene müssten dem Weißen Ring auf jeden Fall ihren vom Jugendamt geführten Akt zukommen lassen, anhand dem Fakten geprüft werden.

„Selbstverständlich erwarten wir nicht, darin etwaige Fälle von Gewaltanwendung oder Missbrauch zu finden“, erklärte Gammer. Das werde aber dann im Gespräch zwischen Opfer und Therapeutin oder Opferhelferin behandelt - Expertinnen, die in der Regel erkennen können, ob jemand die Wahrheit sagt. Im Zweifelsfall erfolgt ein weiteres Gespräch mit einem weiteren Experten.

„Diese Gespräche sind für die Opfer ungeheuer belastend. Manche Betroffene können zunächst fast nicht reden. In einem solchen Fall muss man einen Weg finden, darüber zu reden“, erläuterte Gammer. Das kann eine Therapie sein, in die das Opfer geschickt wird. Dementsprechend dauert es unterschiedlich lang, bis die Fälle abgeschlossen werden, also ein achtköpfiges Gremium - Fachleute für Opferhilfe - die Entscheidung über die Zuerkennung einer Zahlung trifft.

Mittlerweile auch von Todesfällen die Rede

Am Dienstag wurde zudem bekannt, dass es auch zu Todesfällen in dem ehemaligen Kinderheim gekommen sein könnte. Laut Rechtsanwalt Johannes Öhlböck soll eine Frau, die von 1948 bis 1953 im Schloss Wilhelminenberg untergebracht war, die Schilderungen seiner beiden Mandantinnen „voll bestätigt“ und darüber hinaus von Todesfällen berichtet haben. Details könne er noch nicht preisgeben, „weil sie noch Gegenstand von Untersuchungen sind“, sagte der Anwalt - mehr dazu in wien.ORF.at.

Schockierende Aussagen

Jene Betroffenen, die bisher an die Öffentlichkeit getreten sind, schockierten mit ihren Erzählungen: „Es wurde uns eingetrichtert: Ihr seid Lügner, ihr seid Heimkinder, ihr seid Zigeuner, euch glaubt man nicht, ihr seid der letzte Dreck“, so ein Opfer gegenüber der ORF-Sendung „Thema“ am Montag.

Es habe immer nur „Schläge und Vergewaltigungen“ gegeben, so die Frau: „Es war schrecklich. Auch die Gärtner, die Hausangestellten und die Erzieher haben uns vergewaltigt. Ich denke mir noch heute, die Erzieher mussten Freunde gehabt haben, die weitersagten ‚Kommt vorbei, da sind Mädchen. Wenn ihr euch vergnügen wollt, dann könnt ihr sie vergewaltigen.‘“

Opfer in der ORF-Sendung „Thema“

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Zusätzliche Kommission eingesetzt

Alle bisherigen Opfer berichteten von Gewalt und Schlägen bis hin zu regelmäßigen Vergewaltigungen durch Erzieher und Hausangestellte. Einige Fälle waren der Stadt und der Opferschutzorganisation Weißer Ring bereits bekannt. Nun soll eine zusätzliche Expertenkommission eingesetzt werden - mehr dazu in wien.ORF.at. Die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits bestätigte jedenfalls in einem Interview in der ZIB2 Kontakte im Juni 2011, zu diesem Zeitpunkt wäre schon klar gewesen, dass es eine Entschädigung geben wird.

Eines ist allerdings schon klar: Vor Gericht wird keiner der Beschuldigten mehr zur Verantwortung gezogen werden können. Die bekanntgewordenen Missbrauchsvorwürfe sind mit Sicherheit verjährt. Da die Anstalt bereits 1977 aufgelassen wurde, greift das Strafgesetzbuch in diesen Fällen von sexueller Gewalt wohl nicht mehr.

Gefordert wurde aus diesem aktuellen Anlass eine Veränderung der Verjährungsfristen. Doch das Justizministerium winkte bereits ab. Es hält die derzeitigen Regelung für ausreichend. Demnach ist bei vergewaltigten minderjährigen Opfern eine Verjährung bis zur Vollendung ihres 28. Lebensjahres zunächst kein Thema. Bei Erreichen dieser Altersgrenze haben die Opfer zehn Jahre, in besonders gravierenden Fällen sogar 20 Jahre Zeit, um die Täter vor Gericht zu bringen.

Archivvideo aus Kinderheim am Wilhelminenberg

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Links: