Missbrauchsopfer schreiben Bücher

Missbrauch wie etwa im Kinderheim Schloss Wilhelminenberg war offenbar weit verbreitet. Psychologen empfehlen den Opfern, ihre Erinnerungen niederzuschreiben. Das diene vor allem der Aufarbeitung. Doch nicht immer gelingt dies so wie geplant.

Immer mehr Opfer von Gewalt in Kinderheimen, Internaten oder Erziehungsanstalten halten ihre Erinnerungen in Büchern fest. Ulla Konrad, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen, hält diese Form der Aufarbeitung für sehr konstruktiv. „Ein Buch ist eine abgeschlossene Geschichte. Durch das Schreiben kann man sich besser von den Erlebnissen distanzieren“, so Konrad.

Doch nicht in allen Fällen gelingt diese Aufarbeitung. Wolfgang Hoffmann erzählt in seinem Buch „Internatsgeschichten“ (Freya Verlag) von sexuellen Übergriffen und Gewaltanwendungen im „Bundeskonvikt für Knaben“ in Waidhofen/Ybbs. „Die Arbeit an meinem Buchprojekt hat mehr zu Tage gebracht, als ich verkraften konnte. Nach Fertigstellung war ich fünf Wochen in einer Nervenklinik. Jetzt helfen mir der Weisse Ring und der Verein Pro Mente wieder auf die Beine“, so Hoffmann.

Wolfgang Hoffmann

Freya Verlag

Wolfgang Hoffmann im Interview

Konrad: „Nicht jedes Opfer ist ein guter Schreiber“

Psychologin Ulla Konrad: „Wenn es zu einer Retraumatisierung kommt, dann sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Ich glaube aber nicht, dass durch das Bücherschreiben eine erhöhte Gefahr ausgeht. Viel gefährlicher sind reißerische Medienberichte.“

Konrad ist aber nicht der Meinung, dass jedes Opfern unbedingt ein Buch schreiben, geschweige denn veröffentlichen und verkaufen soll. „Es reicht das Niederschreiben in Form von Briefen oder Tagebüchern. Denn nicht jedes Opfer ist ein guter Schreiber. Und wenn Verlage das Werk ablehnen, stellt das eine zusätzliche Demütigung für das Opfer dar.“

Kampf gegen die Vertuschung

„Durch ein E-Mail eines ehemaligen Internatskollegen ist alles wieder hervor gekommen“, erzählt Wolfgang Hoffmann. Der Oberösterreicher hat daraufhin wieder zu recherchieren und zu schreiben begonnen. „Es gibt viele Parallelen zu den Vorfällen am Wilhelminenberg.“ Die Gewalteingriffe packe man als Kind noch eher, so Hoffmann, der vor allem unter den sexuellen Übergriffen litt. „Der Direktor untersuchte regelmäßige unsere Genitalien. Wir mussten Herr Doktor zu ihm sagen, obwohl er nur Germanistik studiert hatte“.

Durch sein Buch hat er in den letzten Monaten für viel Aufmerksamkeit in den Medien gesorgt. Von Seiten der Behörden fühlt sich Hoffmann aber noch immer im Stich gelassen. „Es ist die konsequente Vertuschung, die einen so fertig macht. Das ist das Kernproblem. Ich bekomme wilde Abwehrschreiben von der Finanzprokuratur. Die wehren sich mit Händen und Füßen. Die Regierung will diese Fälle nicht akzeptieren. Die gehen mit Panzer gegen einen vor.“

Was passiert ist, könne man nicht mehr rückgängig machen. Hoffmann hat ohnehin ein anderes Ziel: „Ich möchte, dass sich einmal jemand bei mir entschuldigt. Das klingt komisch, aber es ist so. Ich will nicht mehr hören, dass es keine Verfehlungen gab. Ich will, dass der Staat eingesteht, dass da etwas schief gelaufen ist. Das ist das Wichtigste.“

Internat, Schulbank

Freya Verlag

Schulbänke eines österreichischen Internats

Heimopfer werden Autoren

In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Autobiografien, Zeitzeugen- und Tatsachenberichte von Missbrauchsopfern in Form von Büchern erschienen. Einer der Autoren ist Jenö A. Molnár. Der Oberösterreicher schrieb über sein Leben in den Heimen Schloss Neuhaus und Schloss Leonstein. „Es ist wie Wasser aus mir heraus geronnen. In vier Wochen war mein Buch fertig“, sagte er 2010 in einem Interview mit dem Magazin „profil“. Sein Buch „Wir waren doch nur Kinder...: Geschichte einer geraubten Kindheit“ ist im August-von-Goethe-Literaturverlag erschienen.

Ende der 1960er Jahre soll es auch im Landesjugendheim NÖ Korneuburg zu Misshandlungen gekommen sein. Der gebürtige Steirer Franz Josef Stangl erzählt davon in seinen Büchern „Klosterzögling, die Jugend des Bastards“ und "Der Bastard. Der Fürsorgezögling“. (Bibliothek der Provinz)

In Kürze erscheint das Buch „Tote Kinderseele - Mein Weg zurück ins Leben“ (Wiesner Verlag). Die Kärntner Autorin Hermine Reisinger berichtet darin von ihren Erlebnissen in verschiedenen österreichischen Erziehungsheimen und wie sie ihre schwierige Lebensgeschichte schlussendlich meisterte.

Kein österreichisches Problem

Nicht nur in Österreich beschäftigen sich Autoren und Autorinnen mit der Aufarbeitung von Kinderheim-Skandalen.

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Auch in unserem Nachbarland Deutschland sind bereits zahlreiche Publikationen von Gewalt- und Missbrauchsopfern erschienen. Peter Wensierski schrieb das Buch „Schläge im Namen des Herrn: Die verdrängte Geschichte der Heimkinder in der Bundesrepublik“ (Goldmann Verlag). Marina Roggenkamp veröffentlichte ihre Erinnerungen im DeBehr-Verlag unter dem Titel: „Ich war doch noch so klein – die Hölle auf Erden in einem deutschen Kinderheim: Ein Tatsachen-Roman – Auf ewig hinter seelischen Gittern“.

Dietmar Krone beschreibt den „Albtraum Erziehungsheim: Die Geschichte einer Jugend“ (Engelsdorfer Verlag). Das Buch „Wie laut soll ich denn noch schreien?: Die Odenwaldschule und der sexuelle Missbrauch“ von Jürgen Dehmers erschien bei Rowohlt. „Freiwild: Die Odenwaldschule – Ein Lehrstück von Opfern und Tätern“ - so heißt ein Buch von Tilman Jens (Gütersloher Verlagshaus). Folgendes Buch geht den mutmaßlichen Vorfällen im Kloster Ettal nach: „Bruder, was hast Du getan?: Kloster Ettal. Die Täter, die Opfer, das System“ von Bastian Obermayer und Rainer Stadler (Kiepenheuer & Witsch).

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