Gekommen, um zu kuscheln

Einmal im Monat treffen sich erwachsene Wienerinnen und Wiener in einem Seminarraum in Ottakring zum Gruppenkuscheln. Sie alle verbindet die Sehnsucht nach körperlicher Nähe und Berührung. Erotik oder Sex sind dabei tabu, nur Kuscheln ist erlaubt.

Es braucht Nähe und Vertrauen, um Arm in Arm mit einer Person zu Hause auf der Couch zu liegen. Manchmal braucht es nur einen Seminarraum und ein paar Matratzen. Ein bis zwei Mal im Monat treffen sich zehn bis 20 einander unbekannte Menschen in der Hyrtlgasse zu einer Kuschelparty. Drei Stunden lang halten sie sich an den Händen, streicheln sich über den Rücken und nehmen sich in den Arm. In der Geborgenheit der Anonymität kennen die Kuschel-Teilnehmer oft nur ihre Vornamen.

Kuscheln gegen die Einsamkeit

„Wir leben in einer Zeit der wahnsinnigen Versingelung“, sagte Andrea Kiss, Veranstalterin der Kuschelpartys, gegenüber wien.ORF.at. Tatsächlich sind laut Statistik Austria rund die Hälfte aller Haushalte in Wien Singlehaushalte. Ein großer Teil der Kuschelparty-Teilnehmer seien nicht in einer Beziehung, so Kiss. Vereinzelt würden aber auch Paare und körperlich beeinträchtigte Menschen an solchen Treffen teilnehmen.

„Kuscheln und Berührungen sind ein Tabu, besonders als Mann kann man diese Gefühle oft nicht ausleben“, sagte ein „Kuschler“ im Gespräch. In seiner Ehe habe er wenig Zärtlichkeit erlebt. Hier habe er die Möglichkeit sich fallen zu lassen und „einfach zu kuscheln“. Auch für andere Kursteilnehmer sind die Kuschelpartys eine Möglichkeit, um zumindest einen Abend lang nicht allein zu sein. „Es hilft gegen Liebeskummer“, erzählte eine Teilnehmerin. Nach ihrer ersten Kuschelparty sei sie „richtig high“ von dem Gefühl der Nähe geworden.

Kuscheln gegen die Berührungsangst

Nicht nur die Einsamkeit bringt diese Menschen zusammen. Manche Teilnehmer hatten vor dem Besuch der Kuschelparty eine regelrechte Panik vor Berührungen mit Fremden: „Ich hatte ein extremes Problem damit. Ich fand es schon unangenehm, wenn sich jemand ganz dicht neben mich in die U-Bahn gesetzt hat“, erzählte eine junge Frau. Die Treffen seien eine Art Therapie für sie.

Vom „Hallo“ zur innigen Umarmung

Das dreistündige Treffen verläuft nach einem streng geregelten Ablauf. Bevor sich die Teilnehmer näher kommen können, erzählen sie in einem Sitzkreis warum sie dort sind und was sie mitnehmen möchten. Gleich zu Beginn der Einheit lernen sie „Nein“ zu sagen. „Es gibt kein Kuschelmuss. Du kannst jederzeit etwas ablehnen“, betonte die Leiterin mehrmals.

Alle tanzen zuerst wild durch den Raum, um sich zu lockern. Bis zur ersten Berührung vergeht oft eine dreiviertel Stunde. Sie sehen sich zunächst nur an, geben sich kurz die Hand, streicheln sich über die Haare und den Rücken. Jeder körperliche Kontakt beginnt mit der Frage: „Darf ich dich berühren?“ Erst, nachdem alle entspannt und bereit für Berührungen sind, kommt das tatsächliche Kuscheln.

Kuschelparty

ORF/Marina Delcheva

Einmal im Monat treffen sich kuschel-begeisterte Wiener in Ottakring zu einer Kuschelparty

Trend kommt aus den USA

Ihren Ursprung haben die Kuschelpartys in den USA. 2004 veranstaltete der Sexualtherapeut Reid Mihalko in New York solche Treffen für Paare, die sich entfremdet hatten. Bald nahmen auch Singles an den „Kuddeling-Parties“ teil. Kurze Zeit später eroberte das Kuschel-Konzept Europa. Andrea Kiss, die Trainerin, hat diese Partys in Deutschland kennen gelernt. Zunächst habe sie selbst ein Problem damit gehabt, fremden Menschen körperlich so nahe zu kommen. „Ich habe dann gemerkt, das sind keine komischen Leute“, so Kiss.

Kiss ist ausgebildete Erwachsenentrainerin im Bereich der Selbsterfahrung und Energie. 2010 absolvierte sie in Frankfurt Seminare zum Thema „Nähe und Berührung“ und besuchte selbst zahlreiche Kuschelpartys. Seit zweieinhalb Jahren veranstaltet sie die Kuschel-Treffen in Wien.

Veranstalterin: In Wien kein Trend

„Das wird in Wien nie ein Trend werden. Gerade die Wiener haben es nicht so mit Berührungen“, so die Leiterin. Tatsächlich ist vielen „Kuschlern“ die Anonymität in Seminar sehr wichtig. Niemand in ihrem Freundes- und Kollegenkreis weiß, dass sie zu den Kuschelpartys gehen und das solle „so bleiben“, meinte ein Teilnehmerin. Während einige wenige ihre Leidenschaft zum Kuscheln ganz offen nach außen kommunizieren, hüten andere ihre sonntäglichen Stunden der Innigkeit wie ein Geheimnis. Zu groß sei die Angst sich bloß zu stellen.

Teilnehmer aller Altersgruppen

Die Kuschelgruppen sind immer bunt gemischt. Die Teilnahme ist ab 18 Jahren erlaubt und nach oben hin offen. Experimentierfreudige Mitt-Zwanziger, alleinstehende Pensionisten, frisch Geschiedene und Menschen mit Berührungsängsten treffen sich hier. Das Geschlechterverhältnis ist zumeist ausgewogen und die sexuelle Orientierung ist weder Thema, noch ein Problem.

„Auffällig ist, dass sehr viele aus dem Pflege- und Gesundheitsbereich kommen“, erzählte ein Teilnehmer bei seinem 17. Kuscheltreffen. Das komme daher, dass Menschen in diesen Berufsgruppen intensiven körperlichen Kontakt mit Patienten und Kranken hätten. Sie selbst bekämen diese Nähe und Berührungen nicht zurück. „Im Seminar holen sie sich das einfach wieder“, so der Teilnehmer.

Strenge Kuschel-Regeln

Sex und anzügliche Berührungen sind während des Seminars absolut verboten: „Ich sage das mehrmals ausdrücklich und ich schaue ganz genau darauf, dass diese Regeln eingehalten werden“, so Kiss. Die Kleidung bleibt in jedem Fall an und Berührungen an erogenen Zonen sind tabu. Vor jedem Kontakt müssen die Anwesenden kommunizieren, an welchen Körperstellen und von wem sie berührt werden möchten oder eben nicht.

Bis zum nächsten Kuscheln

Die Kuschelparty endet jedes Mal auf einem großen Matratzenlager. Alle Teilnehmer liegen beisammen und halten sich fest. Sie umarmen sich, streicheln sich über Rücken und Arme und kuscheln sich ineinander, meist ohne miteinander zu sprechen. Die Teilnehmer versuchen so viel körperliche Nähe zu bekommen, wie es auf der „Kuschelwiese“ möglich ist. Die Verabschiedung ist danach kein schüchterner Händedruck mehr, sondern eine innige Umarmung, bevor jeder in sein Leben zurückkehrt.

Marina Delcheva, wien.ORF.at

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