Jüdischer Friedhof als Denkmal

Freiwillige Helfer bewahren derzeit den größten jüdischen Friedhof Österreichs in Währing vor dem Zerfall. Die Stadt soll demnächst die Pflege übernehmen. Am Sonntag können Interessierte an einer Führung am Friedhof teilnehmen.

Umgeworfene Grabsteine, wucherndes Gestrüpp und Müll: Der jüdische Friedhof in der Sattlergasse beheimatet 8.000 Grabsteine mit 24.000 Bestatteten. Der letzte Tote wurde 1889 dort begraben. Heute ist der Friedhof in Besitz der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien. Nach dem jüdischen Glauben dürfen Friedhöfe nicht aufgelöst werden und müssen für die Nachwelt erhalten bleiben.

Freiwillige räumen Friedhof auf

In unregelmäßigen Abständen finden deshalb derzeit Freiwilligentage auf dem Friedhof statt. Die Helfer befreien dort die Gräber und Krypten von Gestrüpp und Müll. Am 10. Juni beginnt um 10.00 Uhr der nächste Freiwilligentag.

Die Stadt Wien hat bis dato noch nicht die Pflege für den gesamte Friedhof übernommen. Das soll sich demnächst ändern. Derzeit beginnen die Bauarbeiten zur Restaurierung des Friedhofswärterhauses. Darin sollen ein Gebetshaus und ein kleines Museum eingerichtet werden. Mehr dazu in - Start für Sanierung von Friedhofswärterhaus.

Umgeworfene Grabsteine am jüdischen Friehof

ORF/Marina Delcheva

Gestrüpp und umgeworfene Grabsteine liegen auf dem jüdischen Friedhof Währing

Pflege bisher problematisch

Im Dezember 2010 wurde der Fonds zur Instandsetzung der jüdischen Friedhöfe in Österreich eingerichtet. Damit für die Erhaltung des jüdischen Friedhofs Währing Mittel aus diesem Fond frei werden, müsse die Stadt Wien eine Pflegevereinbarung mit der IKG treffen, meinte Raimund Fastenbauer, Generalsekretär der IKG. Demnach müsste die Stadt Mittel für die Instandhaltung und Sanierung der jüdischen Friedhöfe in Wien für die nächsten 20 Jahre bereitstellen.

„Wir sind uns noch über einige Punkte in dieser Vereinbarung uneinig und haben deshalb noch nicht unterzeichnet“, sagte ein Sprecher aus dem Stadtratsbüro für Finanzen und Wirtschaft (SPÖ). Derzeit stelle man 340.000 Euro pro Jahr für die Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Wien zur Verfügung. „Das Geld reicht aber nicht für den Friedhof Währing“, so Fastenbauer. Die Mittel würden hauptsächlich für die Erhaltung des noch aktiven jüdischen Teils am Zentralfriedhof gebraucht.

Jüdischer Friedhof in Währing

ORF/Marina Delcheva

Das Friedhofswärterhaus wird saniert, für den Friedhof selbst gibt es vorerst kein Geld

Führungen auf dem Friedhofsgelände

„Der Friedhof ist ein steinernes Archiv“, sagte die Historikerin Tina Walzer gegenüber wien.ORF.at. Seit 2006 leitet sie dort regelmäßig Führungen. Sie hat 1995 in Zusammenarbeit mit der IKG Daten über die Beerdigten erhoben und jedes einzelne Grab identifiziert. „Hier liegen ganze Familien, die Wien um die Jahrhundertwende zu dem machten, was es war“, erzählte sie. Viele der hier begrabenen jüdischen Familien waren Industrielle, die beispielsweise den Bau der Stadtbahnbögen mitfinanzierten.

Führung am jüdischen Friedhof in Währing mit Tina Walzer

ORF/Marina Delcheva

Die Historikerin Tina Walzer begleitet regelmäßig kostenlose Führungen auf dem jüdischen Friedhof

Im Rahmen der Führung möchte Walzer die Geschichte und das Erbe des Friedhofs weitergeben. Die 10 bis 15 Führungen pro Jahr für bis zu 60 Besucher werden vom Grünen Klub organisiert. Die nächste Führung findet am Sonntag, den 13. Mai, um 11.00 und um 15.00 Uhr auf dem jüdischen Friedhof Währing statt. Dafür ist eine Voranmeldung über die Homepage erwünscht.

Joseph II ließ Friedhof anlegen

Der Habsburgische Kaiser Joseph II, Sohn von Maria Theresia, ließ den Friedhof im Jahr 1782 anlegen. Um die Hygiene und Wasserversorgung innerhalb Wiens zu verbessern, verbannte er alle Friedhöfe jenseits der damaligen Stadtgrenze. 1885 wurde der Friedhof wieder geschlossen. Seitdem finden jüdische Bestattungen am Zentralfriedhof statt. „Das ist ein kulturelles Erbe, das wir unbedingt erhalten müssen“, sagte Walzer.

Leichen-Exhumierungen in NS-Zeit

Das NS-Regime exhumierte zwischen 1938 und 1945 359 jüdische Gebeine am Friedhof Währing. Die sterblichen Überreste wurden in der anthropologischen Abteilung des NHM unter dem damaligen Leiter Joseph Wastl untersucht. Sie sollten die nationalsozialistische Theorie über eine „Jüdische Rasse“ bestätigen, erzählte Maria Teschler-Nicola, die jetzige Leiterin der anthropologischen Abteilung des Naturhistorischen Museums (NHM). „Aus heutiger Sicht ist das natürlich ein Blödsinn“, so Teschler-Nicola.

Um 1943 wurden einige der exhumierten Gebeine in Depots des NHM in Niederösterreich gebracht. 1947 wurden nur 222 Schachteln mit jüdischen Gebeinen der IKG zur Bestattung zurück gegeben. „Man kann also vermuten, dass entweder mehrere Skelette in einer Schachtel liegen oder dass sie in der Zeit zwischen 1943 und 1947 verschwunden sind“, sagte Teschler-Nicola. Im Museum selbst seien keine Gebeine vom jüdischen Friedhof übrig, versicherte sie.

Über den genauen Verbleib und der Anzahl der übergebenen Skelette könne man heute keine Auskunft mehr geben. „Ich vermute, dass man nach 1945 das Inventarbuch manipuliert hat und Seiten entfernt hat“, sagte Teschler-Nicola. Tatsächlich fehlen die Inventarnummern der 359 Exhumierungen vom jüdischen Friedhof in der Buchchronologie. „Man hat versucht, das unter den Tisch zu kehren, was in der NS-Zeit passiert ist“, sagte die Anthropologin.

Von Marina Delcheva, wien.ORF.at

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