ÖBB zeigen Rolle der Bahn in NS-Zeit

Mit Appellen gegen Rechtsextremismus und Ausgrenzung ist in Wien eine Ausstellung zur Rolle der Bahn in der NS-Zeit eröffnet worden. Die Schau wurde zum 175-jährigen Bestehen der Bahn in Österreich gestaltet.

Man müsse dem Fanatismus mit Mitteln der Aufklärung begegnen, sagte Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) bei der Eröffnung der ÖBB-Ausstellung „Verdrängte Jahre - Bahn im Nationalsozialismus in Österreich 1938 - 1945“. Der wichtige Prozess der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte dürfe nie aufhören. Besonders hob sie das Engagement der ÖBB-Lehrlinge und die Gespräche mit Zeitzeugen bei der Erstellung der Ausstellung hervor.

Besucher bei der Ausstellung "Verdrängte Jahre - Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938-1945" in Wien

APA/Herbert Neubauer

Die Ausstellung am Praterstern ist bis 30. September geöffnet

Kern: „Bahn ermöglichte Massenmord“

ÖBB-Chef Christian Kern nannte als Motivation für die Ausstellung, dass bisher eine gründliche Aufarbeitung der dunkelsten Jahre der ÖBB-Geschichte nicht stattgefunden habe. Im heurigen Jubiläumsjahr von 175 Jahren Eisenbahn in Österreich werde das nachgeholt. „Wir wurden nicht gedrängt“, betonte Kern. Die Bundesbahn habe ihre eigene Rolle im NS-Regime beleuchten und Respekt vor den Opfern zeigen wollen.

Die Bahn habe den Massenmord der Nazis möglich gemacht: „Ohne die logistische Kapazität der Bahn wäre das systematische Morden nicht möglich gewesen“, sagte Kern. Besonders beklemmend seien für ihn die vielen kleinen bürokratischen Details der Entmenschlichung, wenn etwa die Deportierten für ihre eigene Fahrt in den Tod noch das Ticket bezahlen mussten. Gerade aus der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte müsse für die Gegenwart das Versprechen „niemals wieder“ kommen.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), Oskar Deutsch, erinnerte an die menschenunwürdigen Umstände der Massendeportation in Viehwaggons - „doch was sie erwartet hat, war noch schlimmer“. Rudolf Sarközi vom Verband der österreichischen Roma und Sinti, der selbst 1944 im Lager Lackenbach geboren wurde, sprach die Hoffnung aus, dass die Bahn nie wieder als Mittel für Verschleppung eingesetzt werde.

Besucher bei Ausstellung "Verdrängte Jahre - Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938-1945" in Wien

APA/Herbert Neubauer

Bahnhofshallen waren in der NS-Zeit Schauplätze von Propagandaveranstaltungen

20 Prozent der Bediensteten bald entlassen

Als Teil der Deutschen Reichsbahnen waren die Österreichischen Bundesbahnen mit Eisenbahnern, Zügen und Infrastruktur in das NS-System integriert. Die Bahn diente als Transportmittel zum Massenmord und als Teil der Logistik der Angriffskriege in Europa.

Schon wenige Tage nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich im März 1938 wurden die Österreichischen Bundesbahnen (damals BBÖ) zum Teil der Deutschen Reichsbahn. Die Organisationsstruktur veränderte sich, rund 20 Prozent der Bahnbediensteten wurden umgehend aus dem Dienst entlassen.

Doch für altgediente Nazis ging die Tür weit auf: Innerhalb weniger Wochen wurden 9.000 der „Alten Kämpfer“ neu eingestellt. Hunderten ehemaligen BBÖ-Bediensteten wurde aus „rassischen“, politischen und anderen Gründen das Berufsrecht entzogen.

Bahnhöfe als Propagandaorte

Bahn und Bahnhofshallen wurden häufig zu bevorzugten Orten der nationalsozialistischen Propaganda. Im März 1938 sprach Hermann Göring in der stillgelegten Halle des Wiener Nordwestbahnhofes. Anfang April hielten Joseph Goebbels und Adolf Hitler dort ihre Propagandareden.

Ebenfalls im April 1938 besuchte Hitler mit einem Sonderzug die ehemals österreichischen Großbahnhöfe. Im Sommer 1938 wurde der Wiener Nordwestbahnhof zur Ausstellungshalle, das Thema: „Der ewige Jude“. Beworben wurden die antisemitischen herabwürdigenden Darstellungen unter anderem in der „Verkehrswirtschaftlichen Rundschau“.

Flucht per Bahn

Ab 1938 wurden über 200.000 Österreicherinnen und Österreicher, nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung, zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen oder in Konzentrations- und Vernichtungslager geschickt und ermordet. Tausende der Flüchtlinge emigrierten in europäische Länder und gerieten während des Krieges erneut unter die tödliche nationalsozialistische Machtmaschinerie. Die Emigration erfolgte zum großen Teil mit der Bahn und mit dem Schiff.

Verzweifelte Eltern versuchten, zumindest ihre Kinder vor der Verfolgung zu retten: 43 „Kindertransporte“ ab Wien brachten bis zum Kriegsbeginn insgesamt 2.844 österreichische Kinder, die bei den Nazis als „jüdisch“ galten, in der Mehrzahl zu englischen Familien in Sicherheit.

Transporte in Vernichtungslager

Rund 65.500 österreichische Jüdinnen und Juden und 8.000 österreichische Sinti und Roma wurden in den Vernichtungslagern ermordet. Hunderte Homosexuelle und Zeugen Jehovas wurden in Konzentrationslager deportiert, mehr als die Hälfte davon ermordet.

Schon bis Frühjahr 1940 wurden durch die Deutsche Reichsbahn 134.242 Menschen ins Generalgouvernement Polen deportiert. Darunter befanden sich auch zwei Sonderzüge aus Wien mit 1.500 Wiener Jüdinnen und Juden, die im Oktober 1939 in die Gegend von Nisko am San deportiert wurden.

Ab Herbst 1941 stiegen die Massendeportationen aus dem gesamten Deutschen Reich in den Osten stark an. Mit Sonderzügen auf Bestellung wurden die Transporte in den Tod bürokratisch organisiert. War ein Sonderzug mit mindestens 400 Menschen gefüllt, musste ab Juli 1941 der halbe Fahrpreis zur Personenbeförderung 3. Klasse bezahlt werden. Die Bahn-Deportations für Kinder unter vier Jahren war gratis. Drei Millionen Menschen wurden im Zweiten Weltkrieg mit Zügen in die Vernichtungslager des NS-Regimes transportiert.

Ausstellung "Verdrängte Jahre - Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938-1945" in Wien

APA/Herbert Neubauer

154 Eisenbahner wurden als Widerstandskämpfer hingerichtet

Eisenbahner maßgeblich im Widerstand

Eisenbahner waren maßgeblich am österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt - und wurden bei Entdeckung von der NS-Justiz hart bestraft. 154 Eisenbahner wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1.438 bekamen Zuchthaus- oder KZ-Strafen, 135 Bahnbedienstete starben in einem Zuchthaus oder Konzentrationslager. 43 kamen zur Strafdivision 999, davon fielen 22 Personen.

Ausstellungshinweis

Die Ausstellung „Verdrängte Jahre - Bahn und Nationalsozialismus in Österreich 1938 - 1945“ ist bis zum 30. September im Foyer der ÖBB Infrastruktur am Praterstern 3, 1020 Wien, täglich zwischen 8.00 und 17.00 Uhr geöffnet.

Sabotageakte gegen „kriegswichtige Transporte“ oder Sprengstoffanschläge auf Bahngleise waren einige der Widerstandsakte. Zu den Sabotagehandlungen, die an Reichskriegsgerichten verhandelt wurden, zählten das Durchschneiden von Bremskupplungsschläuchen, das Streuen von Sand in die Achsenlager der Waggons, aber auch das Entfernen und Vertauschen der Wagenbezettelung, um die Waggons zu anderen Zielbahnhöfen zu schicken.

Zum Kriegsende war die weitgehend nationalsozialistisch gesinnte Führungsriege der Eisenbahn entweder untergetaucht oder wurde entlassen. Ihrer eigenen historischen Verantwortung stellte sich die österreichische Bahn - wie viele andere Staatsbahnen in Europa - erst spät.