Votivkirchen-Flüchtlinge: Eine Chronologie

Ende November 2012 hat alles mit einem Protestmarsch von Flüchtlingen aus der Aufnahmestelle Traiskirchen nach Wien begonnen. Es folgten Kirchen- und Hausbesetzungen, Abschiebungen, Proteste und im März 2014 ein Prozess.

24. November 2012: Die Gruppe von Asylwerbern kommt am Abend nach stundenlangem Protestmarsch an ihrem Ziel beim Sigmund-Freud-Park vor der Wiener Votivkirche an. Zuvor hatten die Asylwerber noch vor dem Asylgerichtshof in der Laxenburger Straße für eine Kundgebung Halt gemacht. Im Sigmund-Freud-Park soll ein mehrtägiges Protestzeltlager bezogen werden. Laut Polizei verbringen ungefähr 70 Asylwerber dort die Nacht. Sie protestieren damit gegen die ihrer Meinung nach menschenunwürdigen Bedingungen im Aufnahmelager Traiskirchen - mehr dazu in Asylwerber demonstrieren in Wien.

26. November: In einer Pressekonferenz formulieren die Flüchtlinge konkrete Anliegen, etwa Verbesserungen beim Dolmetschdienst in Traiskirchen, den Wunsch, arbeiten zu dürfen, Möglichkeiten zum Spracherwerb und Unterricht für Kinder sowie einen Stopp von demnach willkürlich täglich neu erlassenen Lagervorschriften. Schützenhilfe bekommen sie dabei von Flüchtlingshelferin Ute Bock und Schauspieler und Kabarettist Josef Hader. In den Tagen danach solidarisieren sich mehrere Personen und Gruppen mit den Flüchtlingen, die FPÖ fordert ein Einschreiten - mehr dazu in Asylwerber fordern neue Dolmetscher.

18. Dezember: Am Internationalen Tag der Rechte der Migranten suchen etwa 30 Asylwerber aus der Gruppe die Votivkirche als symbolischen „Schutzraum“ auf, da drei Wochen lang ihre „Stimmen nicht gehört worden“ seien. Der Pfarrer der Kirche versucht die Asylwerber unter Zuhilfenahme der Polizei und der Caritas zum Verlassen der Kirche zu bewegen. Sie bleiben jedoch in der Kirche.

19. Dezember: Die Caritas und die Erzdiözese Wien sichern den Asylwerbern Schutz zu. Diese wollen ein Gespräch mit dem Innenministerium, das sich zum Dialog bereit erklärt. Der Wiener Caritas-Direktor Michael Landau fordert die Abhaltung eines runden Tisches zur Lösung struktureller Probleme im Asylbereich noch vor Weihnachten. Die Organisation SOS Mitmensch verlangt, dabei müsse auch über Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber geredet werden.

21. Dezember: Der runde Tisch findet unter der Anwesenheit von Vertretern der Kirche, von NGOs und des Innenministeriums statt. Innenministerin Johanna Mikl-Leiter (ÖVP) und Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) nehmen nicht persönlich teil. Die Caritas sprach danach von „sehr guten, konstruktiven Gesprächen“. Die Caritas machte den Flüchtlingen das Angebot, in einen warmen Schutzraum zu ziehen. Auch Vertreter des Innenministeriums bezeichneten das Treffen als „konstruktiv“ - mehr dazu in Votivkirche: Runder Tisch zu Asyl.

22. Dezember: Das von der Caritas eingerichtete Notquartier für die Flüchtlinge in der Votivkirche sowie im nahe gelegenen Park ist noch nicht in Anspruch genommen worden. Laut Caritas würden sich an beiden Orten kaum Menschen befinden. Demnach ist noch unklar, ob die Aktivisten die Angebote, auf die man sich tags zuvor beim runden Tisch geeinigt hatte, überhaupt annehmen werden - mehr dazu in Notquartier für Flüchtlingsaktivisten leer.

Flüchtlinge in der Wiener Votivkirche

APA/Georg Hochmuth

23. Dezember: Das angebotene Notquartier wird von den Menschen in der Kirche und im Park nicht in Anspruch genommen. 14 Flüchtlinge von rund 30 treten in Hungerstreik. Caritas-Direktor Michael Landau übt Kritik an den Aktivisten, die die Asylwerber unterstützen. Diese seien zum Teil Chaoten, die die Not dieser Menschen instrumentalisieren wollten.

28. Dezember: Das Zeltlager vor der Kirche wird am frühen Morgen von der Polizei geräumt. Nach Polizeiangaben gab es keinen Widerstand und keine Verletzten. Die Polizei erklärt, die Kirche nicht räumen zu wollen. Die Erzdiözese Wien will weiterhin keine Räumung der Kirche. Caritas-Direktor Landau erklärt, die Regierung dürfe „nicht länger auf Tauchstation bleiben und das Leid von Menschen erste Reihe fußfrei betrachten“ - mehr dazu in Camp geräumt, Flüchtlinge harren aus.

2. Jänner 2013: Mikl-Leitner trifft mit Vertretern aus dem Flüchtlingscamp zusammen. Ein konkretes Ergebnis gibt es nicht. Während die Ministerin erneut strukturelle Änderungen des Asylwesens ablehnt und das Gespräch zum „Schlusspunkt“ erklärt, bleiben die Flüchtlinge im Gotteshaus und setzen ihren Hungerstreik fort. Die FPÖ fordert die Räumung der Kirche durch die Polizei. In den folgenden Tagen kommt es zu Solidaritätsbekundungen mehrerer Prominenter mit den Flüchtlingen - mehr dazu in Asyl: Flüchtlinge bleiben in Votivkirche.

18. Jänner: Kardinal Christoph Schönborn verteidigt den Umgang mit den Asylaktivisten: „Wir stehen auf dem Boden der österreichischen Gesetze und machen das auch den Flüchtlingen klar“, reagiert er in der Gratiszeitung „Heute“ auf Angriffe von FPÖ-Politikern, die der Erzdiözese vorgeworfen hatten, Asylmissbrauch zu unterstützen. Die Flüchtlinge seien „keine Verbrecher“. Kirchenvertreter zeigen sich besorgt über den Gesundheitszustand der Hungerstreikenden - mehr dazu in Situation in Votivkirche spitzt sich zu.

22. Jänner: Nach 31 Tagen Hungerstreik legen die Flüchtlinge eine zehntägige Pause ein, um „Kräfte für Verhandlungen mit dem Innenministerium zu sammeln“. Mikl-Leitner begrüßt das, beharrt jedoch auf ihrer bisherigen Position. Auch die von SPÖ-Klubchef Josef Cap vorgeschlagene Arbeitserlaubnis für Asylwerber nach sechs Monaten lehnt sie ab. Nach den zehn Tagen Pause treten die Flüchtlinge wie angekündigt am 1. Februar wieder in Hungerstreik - mehr dazu in Flüchtlinge protestieren weiter.

Asylwerber in der Votivkirche nach Beendigung des Hungerstreiks

APA/Herbert Neubauer

10. Februar: Neun Mitglieder einer rechtsgerichteten Gruppe „besetzen“ die Kirche, ziehen aber nach dem Erscheinen von rund 30 Unterstützern der Asylwerber wieder ab. Es kommt zu keinen Zwischenfällen - mehr dazu in Votivkirche kurzfristig besetzt.

12. Februar: Die Räumung des von Asylaktivisten besetzten Sigmund-Freud-Parks vor der Wiener Votivkirche am 28. Dezember des vergangenen Jahres ist laut der internen Evaluierung des Innenministeriums korrekt vollzogen worden. Das Einschreiten der Wiener Polizei habe „durchgehend den geforderten Grundsätzen der Deeskalation und Verhältnismäßigkeit“ entsprochen, heißt es in dem Bericht - mehr dazu in Votivpark: Räumung „verhältnismäßig“.

13. Februar: Bundespräsident Heinz appelliert an die Flüchtlinge, in das von der Kirche angebotene Ausweichquartier zu übersiedeln. Das wäre „ein wichtiger und positiver Schritt in die richtige Richtung“, heißt es in einem Antwortschreiben auf einen Brief eines Asylwerbers. Fischer versprach Hilfe im Rahmen der geltenden Gesetze. Die Asylwerber nehmen den Brief positiv auf. Das Innenministerium betont erneut, dass es keine strukturelle Änderungen im Asylwesen geben werde - mehr dazu in Flüchtlinge überlegen Rückzug.

14. Februar: Die Flüchtlinge signalisieren Bereitschaft zu Gesprächen über eine Übersiedlung in ein anderes Quartier. Das Innenministerium erklärt, dass viele der Asylwerber inzwischen negative Asylbescheide bekommen hätten, da sie durch die Besetzung Fristen versäumt hätten und deshalb mangelnde Mitwirkung an ihren Asylverfahren zu verantworten hätten. Die Folge sei eine höhere Zahl von Personen mit rechtskräftigen negativen Bescheiden - mehr dazu in Votivkirche: Caritas hofft auf Kompromiss.

21. Februar: Die Asylwerber geben bekannt, dass sie solange in der Votivkirche bleiben wollen, bis sie einen legalen Aufenthaltstitel und so eine Arbeitserlaubnis erhalten. Sie kritisieren außerdem, dass einige ihrer umstrittenen „Unterstützer“ keinen Zugang mehr zur Votivkirche haben. Nach zwei Hungerstreiks essen die Flüchtlinge wieder. Eine Einladung zum Abendessen an Bundespräsident Heinz Fischer schlug dieser aus - mehr dazu in Asylwerber wollen in Kirche bleiben

25. Februar: Ein Asylwerber wird außerhalb der Kirche in Schubhaft genommen. Die Caritas betont, dass die Flüchtlinge weiter das Gastrecht der Kirche haben, dieser Schutz könne aber nur innerhalb der Kirchenmauern gelten - mehr dazu in Votivkirchen-Flüchtling in Schubhaft

28. Februar: Bei einem Polizeieinsatz im Umfeld der Kirche wird ein weiterer Flüchtling festgenommen. Er trat in der Vergangenheit immer wieder als Sprecher der Gruppe auf. Rund 100 Unterstützer stehen der Polizei gegenüber. SOS Mitmensch spricht von „Jagdszenen“, die Polizei von einer „routinemäßigen Kontrolle“. Über den 33-Jährigen wird Schubhaft verhängt, da ein rechtskräftiger negativer Asylbescheid vorliegt - mehr dazu in Votivkirche: Sprecher in Schubhaft.

3. März: Nach rund elf Wochen wird der Protest in der Votivkirche beendet. Die Flüchtlinge übersiedeln in das nahe Servitenkloster - mehr dazu in Votivkirche: Flüchtlinge übersiedelt.

Flüchtlinge aus der Votivkirche übersiedeln in das Servitenkloster in Wien-Alsergrund

APA/Herbert P. Oczeret

5. März: Der Ende Februar festgenommene 33-jährige Flüchtling aus der Votivkirche wurde aus der Schubhaft entlassen. Er wird - wie die anderen auch - ins Servitenkloster einziehen, wo ihnen Kardinal Christoph Schönborn das Gastrecht zugesichert hat - mehr dazu in Votivkirche: Flüchtling aus Schubhaft entlassen

26. März: Nach der Übersiedlung aus der Votivkirche in das Servitenkloster ist es still um die Asylwerber geworden. 27 der rund 60 Asylwerber haben aber einen negativen Asylbescheid, damit ist die Abschiebung „Einzelner nicht ausgeschlossen“ - mehr dazu in Flüchtlinge: Abschiebung möglich.

15. Mai: Die Flüchtlinge müssen Ende Juni in eine neue Bleibe, hieß es. Aufgrund von Umbauarbeiten werde dann ein Umzug der 63 Männer nötig.

27. Juni: Das Servitenkloster wird ab kommenden Jahr als Herberge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dienen, wurde von der Caritas bekanntgegeben. Die Flüchtlinge müssen bis Ende Juli ausziehen.

4. Juli: Das Servitenkloster bleibt bis Ende Oktober Flüchtlingsquartier. Die notwendigen Sanierungsarbeiten starten erst danach und nicht wie ursprünglich geplant schon im Juli. In der Zwischenzeit werden in gemeinsamen Gesprächen jene Pläne im Detail geprüft, wonach das Kloster ab 2014 als Bleibe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) eingerichtet werden könnte. Darauf haben sich die Caritas und der Fonds Soziales Wien (FSW) geeinigt - mehr dazu in Votivkirchen-Flüchtlinge dürfen länger bleiben.

26. Juli: Die Asylverfahren über 20 im Wiener Servitenkloster gemeldeten Asylwerber wurden rechtskräftig negativ abgeschlossen. Es kommt das „gelindere Mittel“ zum Einsatz, die Flüchtlinge müssen sich täglich bei der Polizei melden - mehr dazu in Neue Aufregung um Serviten-Flüchtlinge.

28. Juli: Acht Asylwerber werden festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum an der Rossauer Lände gebracht. Die Festnahmen erfolgten im Rahmen der zwei Tage zuvor verordneten täglichen Meldung.

Kardinal Christoph Schönborn zeigte sich bestürzt: Er appellierte an Politiker und Behörden, von einer Abschiebung Abstand zu nehmen. Der Kardinal stellt sich auch die Frage nach einem Zusammenhang mit dem Nationalratswahlkampf. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wies diese Vorwürfe zurück - mehr dazu in Scharfe Kritik an Abschiebung.

29. Juli: Die ersten acht der Votivkirchen-Flüchtlinge werden abgeschoben. Die acht Pakistani wurden aus dem Polizeianhaltezentrum in Richtung Flughafen gebracht und sollten im Laufe des Tages das Land verlassen. Eine Protestkundgebung vor dem Anhaltezentrum, an der zwischen 80 und 100 Personen teilnahmen, wurde in der Früh von einem massiven Polizeiaufgebot aufgelöst. Weitere Kundgebungen sind angekündigt - mehr dazu in Flüchtlinge: Abschiebung gestartet.

30. Juli: Drei weitere Flüchtlinge, die im Servitenkloster untergebracht waren, wurden wegen des Verdachts der Schlepperei festgenommen. Außerdem sorgt ein Video von angeblicher Polizeigewalt bei den Demonstrationen gegen die Abschiebungen für Aufregung - mehr dazu in Serviten-Flüchtlinge: Schlepper gefasst.

6. August: Der Gerichtsakt zur Schlepper-Causa, in die auch drei der sogenannten Votivkirchen-Flüchtlinge involviert sein sollen, liest sich harmloser als die Aussagen von Polizei und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu diesem Fall. Während die Ministerin etwa davon spricht, dass die Schlepper „äußerst unmenschlich“ agiert hätten, finde sich im Gerichtsakt kein Wort von Misshandlungen, berichtete der „Falter“.

7.August: Zwölf weitere Anträge auf sogenannte Heimreisezertifikate würden nach wie vor auf Erledigung durch die pakistanische Botschaft warten, heißt es bei einer Pressekonferenz der Aktivisten. Ein Sprecher redet von einem „gut vorbereiteten Plan des Innenministeriums“: „Jetzt kriminalisiert uns die Innenministerin, weil wir das wahre Gesicht der österreichischen Asylpolitik gezeigt haben.“ Nach wie vor gebe es keinen Kontakt zu den bereits abgeschobenen acht pakistanischen Flüchtlingen - mehr dazu in Flüchtlinge: Furcht vor Abschiebung.

22. September: 25 jener Flüchtlinge, die im Frühling in das Servitenkloster umgezogen waren, besetzen erneut kurzfristig die Votivkirche. Sie fühlten sich im Kloster „nicht sicher“, und auch die Caritas würde sie im Stich lassen. Die Erzdiözese Wien beauftragt die Polizei mit der Räumung - mehr dazu in Polizei soll Votivkirche räumen.

Flüchtlinge in Akademie der Bildenden Künste

ORF

Flüchtlinge und Unterstützer in der Akademie der bildenden Künste

30. Oktober: Die Flüchtlinge müssen aus dem Servitenkloster ausziehen, weil das Gebäude umgebaut werden muss. Sie weigern sich, auf verschiedene Unterkünfte aufgeteilt zu werden, und suchen in der Akademie der bildenden Künste Unterschlupf - mehr dazu in Akademie: Flüchtlinge können „hier nicht wohnen“ und in Akademie setzt Flüchtlingen Frist.

16. November: Die 24 Flüchtlinge, die eine Woche lang in der Akademie der Bildenden Künste gelebt haben, übersiedelen in Privatquartiere, treffen sich aber nach wie vor in der Kunstuniversität. Sie haben das Angebot von Rektorin Eva Blimlinger angenommen, die Aula zu gewissen vereinbarten Stunden zu nützen - mehr dazu in Flüchtlinge treffen sich weiter in Akademie.

24. November: Rund 40 Aktivisten kommen zu einer Demonstration vor dem Erstaufnahmezentrum Traiskirchen zusammen. Grund ist der erste Jahrestag des Protestmarsches nach Wien.

10. Dezember: Einige der Flüchtlinge werden - nicht rechtskräftig - wegen des Verdachts der Schlepperei angeklagt.

7. Februar 2014: Die Anklage ist rechtswirksam.

17. März: Prozessauftakt in Wiener Neustadt.

26. März: Die Richterin verkündet, dass der Akt vermutlich nochmals überarbeitet werden sollte. Sie spricht von „Faktenidentitäten und -überschneidungen“. Konkret liege der Verdacht nahe, dass einige Straftaten gleich mehrmals angeklagt wurden. Auch bei den Übersetzungen der polizeilichen Telefonüberwachungen soll es Ungereimtheiten geben.

27. März: Knalleffekt: Nach nur fünf Minuten beantragt Staatsanwältin Gunda Ebhart die Enthaftung aller Beschuldigten. Die Verhandlung wird zur Entlassung der Angeklagten aus der U-Haft kurz unterbrochen. Kurz darauf kehren die Beschuldigten auf freiem Fuß zu dem Verfahren zurück. Die Verteidigung vermutet einen „taktischen Rückzug“ der Staatsanwältin.