Ausstellung: 75. Jahrestag des „Anschlusses“

Mit Fotos, persönlichen Erinnerungen und literarischen Reaktionen gedenkt man in der Ausstellung „Nacht über Österreich“ in der Nationalbibliothek des „Anschlusses“ im März 1938. Erstmals wird das „Fluchttagebuch“ von Berta Zuckerkandl gezeigt.

Vom 11. auf den 12. März 1938 erfolgte die von Adolf Hitler so bezeichnete Eingliederung Österreichs an das Deutsche Reich. Schriftsteller wie Ernst Jandl mussten den Einmarsch Hitlers miterleben. Andere jüdische Künstler und Künstlerinnen flohen rechtzeitig ins rettende Exil: Unter ihnen die Autoren Albert Drach und Erich Fried, der Schönberg-Schüler Egon Wellesz, die Malerin Soshana und die Salonière Berta Zuckerkandl.

Ausstellungsansicht im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek zur Ausstellung "Nacht über Österreich"

APA, Herbert Neubauer

Schautafeln schildern die Chronologie des „Anschlusses“ 1938

Dokumentation der Chronologie

Mit rund 200 Exponaten aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) zeichnet die Ausstellung „Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 - Flucht und Vertreibung“ im Prunksaal der ÖNB eines der dunkelsten Kapitel der österreichischen Geschichte nach.

Beginnend mit der Ausrufung der Republik 1918 folgt die Ausstellung den Ereignissen bis zur Volksabstimmung am 10. April 1938, die mit Fotografien, Flugblättern oder Propagandaschriften dokumentiert wird. Den Ort der Ausstellung begründete Generaldirektorin Johanna Rachinger damit, dass die ÖNB „eine der zentralen Gedächtnis-Institutionen des Landes“ sei. „Radio Wien“-Reporter Robert Jahn erklärte sie das zweigeteilte Ausstellungskonzept und sprach mit ihm über den „historischen Raum“ Heldenplatz.

Audio: Johanna Rachinger zum Ausstellungskonzept

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Rede am Heldenplatz

Am 15. März 1938, hielt Adolf Hitler seine „Anschluss”-Rede auf dem Balkon am Wiener Heldenplatz, unter dem sich heute der Haupteingang zur Österreichischen Nationalbibliothek befindet. 250.000 Menschen hörten ihm zu, wie er mit sich überschlagender Stimme „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich” verkündete.

Der Fotograf Herbert Glöckler befand sich damals inmitten der Menge, er hatte die zum „Hitlergruß” ausgestreckten Hände direkt vor seinem Objektiv. Sein Foto erweckt den Anschein, als befände sich der Bildbetrachter auf Augenhöhe mit den begeisterten Anhängern Hitlers. Es zählt zu jenen verstörenden Fotografien dieser Ausstellung, die die Ereignisse” aus der selten gesehenen Perspektive der jubelnden Menge zeigen.

Jubelnde Menge bei der "Anschluss"-Rede Adolf Hitlers am Wiener Heldenplatz

Österreichische Nationalbibliothek, Herbert Glöckler

250.000 Menschen versammelten sich am Heldenplatz und hörten Hitlers Rede

Presse- und Dokumentarfotografien

Ein dokumentarisch anmutender Wochenschau-Bericht zeugt in der Ausstellung von den hochgepeitschten Emotionen, aber auch von einer durchinszenierten Massenveranstaltung der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie. Eine Propaganda, die zum Ziel hatte, die Eingliederung als eine freiwillige Volksbewegung von unten darzustellen.

Ausstellungshinweis:

„Nacht über Österreich. Der Anschluss 1938 - Flucht und Vertreibung“, Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 7. März bis 28. April, Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00, Donnerstag bis 21.00 Uhr, Eintritt 7 Euro

Zeitgeschichtliche Hintergründe wie die innenpolitischen Krisen der Ersten Republik, der politische Druck Deutschlands oder Versuche, die Eigenständigkeit Österreichs zu bewahren, kamen in der medialen Inszenierung selbstverständlich nicht vor.

Ein bewusster blinder Fleck der nationalsozialistischen Propaganda, der durch Presse- und Dokumentarfotografien aus der Zeit von 1918 bis 1938 in der Ausstellung schlaglichtartig sichtbar gemacht wird. „Der ‚Anschluss‘ bedeutete auch einen Kampf um die Bilder und um die Oberhoheit über sie“, so Literatur-Archiv-Leiter Bernhard Fetz.

Propaganda und gleichgeschaltete Presse

Die Propaganda veränderte Österreich. Hakenkreuzfahnen, Hitlerbilder, Plakate und Parolen sowie eine gleichgeschaltete Presse schufen eine allgegenwärtige Sichtbarkeit des neuen Regimes. Im Vorfeld der für den 10. April angesetzten Volksabstimmung, die den Einmarsch Hitlers legitimieren sollte, wurden allein in Wien 120 Wahlveranstaltungen abgehalten und in ganz Österreich mehr als zwölf Millionen Reichsmark (ca. 53 Millionen Euro) für Wahlwerbung ausgegeben.

Auch viele Künstler und Künstlerinnen beteiligten sich an der Propaganda mit Bekenntnissen, Lobgedichten oder Huldigungskompositionen. Die Propagandaschlacht hatte Erfolg: 99,73 Prozent stimmten für die Eingliederung Österreichs. Doch acht Prozent der Wahlberechtigten hatten keine Stimme: Jüdinnen und Juden, sogenannte „Mischlinge” und politisch Inhaftierte.

Antisemitische Ausschreitungen

Unmittelbar nach der Eingliederung begannen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung Österreichs. Jüdinnen und Juden wurden öffentlich beschimpft, Geschäfte mit dem Davidstern bemalt, es kam zu Plünderungen, Beschädigungen und Raub von jüdischem Eigentum.

Die Kamera war oftmals Teil dieser Demütigungen, die gezielt für den Fotografen in Szene gesetzt wurden. Albert Hilschers Foto eines Jugendlichen, der von einem SA-Mann gezwungen wird, das Wort „Jud” an eine Hauswand zu schreiben, ist eines dieser erschütternden Bilddokumente der Ausstellung.

Ein Junge schreibt mit einem Pinsel "Jud" an eine Hausmauer. Hinter ihm steht ein Mann mit einer Hakenkreuz-Binde

Österreichische Nationalbibliothek, Albert Hilscher

Beispiel für antisemitische Aktionen: Ein Bub schreibt „Jud“ an eine Hausmauer

Flucht ins Exil

Von den abenteuerlichen Wendungen einer Flucht berichtet auch das eindrucksvollste Dokument der Ausstellung: Das handschriftlich verfasste „Fluchttagebuch“ der Wiener Journalistin Berta Zuckerkandl, das nun zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird. Auf 32 Manuskriptseiten beschreibt die damals 76-jährige Zuckerkandl eindringlich und berührend die Stadien und Strapazen ihrer Flucht, die sie schließlich ins nordafrikanische Algier führte.

Schwerpunkt im ORF

Am 12. März überträgt ORF 2 den Gedenkakt zum 75. Jahrestag des „Untergang Österreichs“ live ab 10.25 Uhr aus dem Großen Redoutensaal der Wiener Hofburg. Kommentator ist Fritz Jungmayr. Der ORF widmet dem Jahrestag einen Programmschwerpunkt in Fernsehen und Radio - mehr dazu in 75 Jahre „Anschluss“.

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