„Anschluss“: Nicht nur Opfer, auch Täter

Österreich hat am Dienstag, dem 75. Jahrestag des „Anschlusses“ an Nazi-Deutschland, der Ereignisse des 12. März 1938 gedacht. Bundespräsident Heinz Fischer erklärte dabei, dass auch Österreicher „massiv“ an NS-Verbrechen beteiligt waren.

„Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, da hätten auch viele Österreicher dabei sein wollen „und schwenkten die Hakenkreuzfahne im Taumel falscher Hoffnungen“, sagte Fischer bei seiner Rede in der Hofburg.„Nur durch die Mitwirkung sehr vieler Fanatiker, Anhänger und Mitläufer des NS-Regimes und auch durch gezieltes Wegschauen konnte das totalitäre System aufgebaut werden“, erklärte der Bundespräsident.

BP Heinz Fischer bei seiner Rede im Rahmen des Gedenkaktes zum 75. Jahrestag des "Anschlusses" Österreichs an Nazi-Deutschland in der Hofburg

APA/Lechner Peter/BUNDESHEER

Bundespräsident Heinz Fischer bei seiner Rede im Rahmen des Gedenkaktes

Die vielen Verbrechen des „Dritten Reiches“ hätten nicht begangen werden können ohne unzählige Täter - „größere, mittlere und kleinere Räder in der Maschinerie des NS-Staates“. Es habe aber auch jene Menschen gegeben, die über die Ereignisse im März 1938 entsetzt waren und flüchteten, Suizid begingen oder in den Widerstand gingen. Der 12. März 1938 war ein „Tag der Katastrophe“ und auch ein „Tag der Schande“, so Fischer, der etwa den Organisationen von Opfern des NS-Regimes seinen Respekt bekundete.

Adolf Hitlers Ankunft am Wiener Heldenplatz, 15.3.1938.

ORF

Adolf Hitlers Ankunft am Wiener Heldenplatz, 15.3.1938

Offizielles Österreich bei Gedenken dabei

Teilgenommen haben an der Gedenkveranstaltung die Spitzen der Republik, darunter Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ), der Zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer (ÖVP), die Bundesregierung mit Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP), die Klubobleute Josef Cap (SPÖ), Karlheinz Kopf (ÖVP) oder Eva Glawischnig (Grüne). Ebenfalls im Großen Redoutensaal der Hofburg waren Alt-Kanzler Franz Vranitzky oder Seniorenbund-Obmann Andreas Khol.

Schon Dienstagfrüh legte Fischer gemeinsam mit Nationalratspräsidentin Prammer am Mahnmal gegen Krieg und Faschismus einen Kranz nieder. Als einen seiner ersten öffentlichen Auftritte legte auch der neue Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) mit der Führungsspitze des Bundesheeres einen Kranz im Weiheraum im äußeren Burgtor nieder. Bereits am Montag fand am Zentralfriedhof ein Gedenkakt statt. Dort wurde eine neue Gedenkstätte für NS-Opfer eingeweiht - mehr dazu in Neue Gedenkstätte für NS-Opfer.

Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Justiz

APA/Robert Jäger

Innenministerin Mikl-Leitner (ÖVP) und Bundeskanzler Faymann (SPÖ) vor der Gedenktafel

Am 12. März 1938 um 5.30 Uhr haben Hitlers Truppen bei Passau und Schärding die Grenze zu Österreich überschritten. Was folgte, war die von langer Hand geplante Eingliederung Österreichs in Nazi-Deutschland. Das Datum spielt im kollektiven Gedächtnis des Landes weiterhin eine wichtige Rolle - aus Sicht des Historikers Rathkolb handelt es sich aber auch um einen „gerne ausgeblendeten Zeitabschnitt“ - mehr dazu in Österreichs „ausgeblendeter Zeitabschnitt“ (news.ORF.at; 11.3.2013).

„Als wir die Schuschnigg-Rede gehört haben, hat mein Vater gesagt: ‚Das, Kinder, ist der neue Weltkrieg!‘ Wir haben ihn angeschaut und es nicht geglaubt“, erinnert sich Otto Schenk, der 1938 acht Jahre alt war. Es sei sofort völlig anders gewesen: „Überall wurde der Hitler-Gruß gemacht.“

Auch die Österreichische Nationalbibliothek und das Burgtheater tragen zum Gedenken bei. Schauspielerinnen und Schauspieler gedachten in der Burg mit Dokumenten und Erinnerungen „jenes Tages, an dem in Wien ‚die Hölle losbrach‘ (Carl Zuckmayer)“. Der anfangs zitierte Schenk ist genauso dabei wie unter anderen Petra Morze und Peter Matic.

Hitler in der Praterstraße in Wien, 14. März 1938.

ORF

Hitler in der Praterstraße in Wien, 14. März 1938

Im Gegensatz zum Gedenktag vor fünf Jahren wurde diesmal auf große Inszenierungen mit Eventcharakter verzichtet. Bei den zahlreichen Ausstellungen zum Anschluss sticht jene der Österreichischen Nationalbibliothek hervor. Im Prunksaal ist neben einer umfangreichen Illustration zum historischen Ereignis selbst vor allem Flucht und Vertreibung das Thema - mehr dazu in Ausstellung: 75. Jahrestag des „Anschlusses“.

Jubelnde Menge bei der "Anschluss"-Rede Adolf Hitlers am Wiener Heldenplatz

Österreichische Nationalbibliothek, Herbert Glöckler

Jubelnde Menge bei Hitlers „Anschluss“-Rede auf dem Heldenplatz

DÖW mit neuen Daten, Zeitzeuge im Gespräch

Geplatzt ist hingegen ein von Burgtheater-Chef Matthias Hartmann, Architekt Wolf D. Prix und Künstler Erwin Wurm geplantes Projekt zum Gedenken an den „Anschluss“. Für die Idee eines leeren Heldenplatzes fanden sich kaum Sponsoren - mehr dazu in „Leerer Heldenplatz“ gescheitert.

Johann Christoph Allmayer Beck.

ORF/Bernd Matschedolnig

Johann Christoph Allmayer Beck

Gelungen ist hingegen der Ausbau des Datenbestands im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). Es gibt NS-Opfern schon lange ein Gesicht. Nun sind zum 75. Jahrestag des „Anschlusses“ erstmals auch österreichische NS-Opfer politischer Verfolgung erfasst - mehr dazu in Neue Opferdatenbank des DÖW.

In Radio Wien war am Samstag ein Zeitzeuge der Geschehnisse zu hören. Johann Christoph Allmayer Beck war 1938 an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Den Zweiten Weltkrieg er- und überlebte er als Artillerieoffizier, zuletzt im Generalstab. Seine Erlebnisse schilderte er in einer Radio-Wien-Serie - mehr dazu in Johann Christoph Allmayer Beck in „Menschen im Gespräch“.