110.000 Patientenakten auf dem Prüfstand

Nach der Affäre um die „Malaria-Therapie“ an der Meduni Wien wird es 2014 einen Endbericht geben. Die Historikerkommission prüft derzeit 110.000 Patientenakten, man sei aber im Zeitplan, wie es am Mittwoch hieß.

Die unabhängige Historikerkommission soll die Nachkriegsgeschichte der damaligen Medizinischen Fakultät der Universität Wien nach Methoden bei Forschung und Patienten-Behandlung beleuchten. Gegründet wurde sie im Frühjahr 2012 - mehr dazu in Malariatherapie: Kommission nimmt Arbeit auf.

Schwerpunkt auf Zeit zwischen 1955 und 1960

Nach Bewilligung der nötigen Förderungen für die Finanzierung der Kommissionsarbeit, ist jetzt die Entwicklung der Patienten-Datenbank abgeschlossen. „Wir prüfen rund 110.000 Akten“, so der Leiter der Kommission, Gernot Heiss. Das Hauptaugenmerk der statistischen Auswertung der Informationen aus den Dateien liegt bis Jahresende 2013 auf den sechs „Kern“-Jahren 1955 bis 1960 und auf der sogenannten „Malaria-Therapie“ und der medizinischen Behandlung der psychisch Kranken mit gleichen Diagnosen an der damaligen „Klinik Hoff“.

Es ist die Aufgabe der von der MedUni Wien eingesetzten Historiker-Kommission, aufzuklären, ob es damals Forschungstätigkeiten gab, die den ethischen Grundsätzen oder dem Forschungsstand nicht entsprochen haben. Die Auswertung erfolgt nicht-personenbezogen und anonym.

Suche nach „dunklen Flecken“

In einem ersten Schritt wird das anhand von unterschiedlichen Therapien, die bei gleichen Diagnosen an der damaligen Klinik für Psychiatrie und Neurologie angewandt wurden, untersucht. Heiss: „Wir wollen untersuchen, welchen Anteil die Malaria-Therapie hatte, mit welchen Argumenten sie angewandt wurde und wie sich ihre Anwendung im Lauf der Zeit entwickelt hat.“

Mit der Aufarbeitung der Geschehnisse zwischen 1945 und 1978, dem Gründungsjahr der Ethik-Kommission der MedUni Wien, die seither alle klinischen Forschungsprojekte auf ethische Aspekte prüft, stelle sich die Medizinische Universität Wien ihrer Geschichte und Verantwortung, hieß es. „Wir wollen alles über eventuelle ‚dunkle Flecken‘ wissen“, hatte Rektor Wolfgang Schütz schon bei der Einsetzung der Kommission vor einem Jahr betont.

Keine Nähe zu „Experimenten“ von NS-Ärzten

Bei der sogenannten „Malaria-Therapie“ waren Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen mit Erregern der Tropenkrankheit infiziert worden waren, um eine Besserung herbeizuführen. Diese Methode spielte sich zu einem Gutteil vor der Etablierung der wirksamen, modernen medikamentösen Therapie von psychiatrischen Erkrankungen ab - mehr dazu in Brutale Methoden an Psychiatrie. Der damalige Klinikchef war Hans Hoff (1897 bis 1969), der einer der prominentesten Psychiater seiner Zeit war.

Hoff wurde 1897 in Wien geboren, studierte in Wien Medizin und war von 1928 bis 1932 an der Klinik unter deren damaligen Leiter und Nobelpreisträger Julius Wagner-Jauregg als Assistent tätig. 1936 wurde er Vorstand der Neurologischen Abteilung der Poliklinik Wien. 1938 musste er wegen seiner Herkunft emigrieren, kehrte 1949 aber nach Wien zurück und wurde Vorstand der Uniklinik für Psychiatrie und Neurologie. Die moderne, auf biochemischen Abläufen basierende biologische Psychiatrie gab es damals noch nicht.

Aufgrund der Lebensgeschichte von Hoff kann laut Experten nicht angenommen werden, dass die Wiener Affäre etwas mit den „Malaria-Experimenten“ von NS-Ärzten in Konzentrationslagern zu tun hatte. In einer Biografie von Hoff heißt es unter anderem: „H. gilt als Gründer der Wiener Psychiatrischen Schule, dessen erstes Anliegen es war, die Vermenschlichung der Kliniken zur Gewährleistung der Würde des psychisch Erkrankten durchzusetzen.“

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