Glavinic: „Ich bin kein Adrenalinjunkie“

In seinem neuen Roman „Das größere Wunder“ schickt Thomas Glavinic seine Romanfigur auf den Mount Everest. Im Gespräch mit wien.ORF.at erzählt der Autor, warum er selbst kein großer Bergsteiger ist und nie zum Bachmannpreis fahren würde.

Heute erscheint „Das größere Wunder“ von Thomas Glavinic bei Hanser. Am Donnerstag liest der Wiener Schriftsteller beim O-Töne Literaturfest im MuseumsQuartier erstmals aus seinem neuen Werk. Im Gespräch mit wien.ORF.at nimmt Glavinic Stellung zu Edward Snowden, Wikipedia und erklärt, warum er nie zum Bachmannpreis fahren würde und Antworten überschätzt werden.

wien.ORF.at: Im Filmtrailer sprechen Sie von einem Liebesroman: Welches Thema hat Ihr neues Buch „Das größere Wunder“?

Glavinic: Ich muss dazusagen, ich habe den Trailer nicht gesehen, weil ich mich eigentlich nie im Fernsehen anschaue oder im Radio anhöre - aus einer großen Skepsis meinen Auftritten gegenüber. Es ist definitiv ein Liebesroman. Es ist ein Buch über die Überwindung von Angst und es ist ein Buch über die Liebe.

Thomas Glavinic

ORF/ Florian Kobler

Thomas Glavinic in einem Café in der Nähe des Wiener Naschmarkts

wien.ORF.at: Wie sind Sie auf das Thema „Mount Everest“ gekommen?

Glavinic: Bei „Das größere Wunder“ geht es ja um einen Menschen, der gerade am Mount Everest an einer Expedition teilnimmt. (...) Mich hat Höhenbergsteigen schon immer fasziniert. Besonders in den späten 70er-Jahren, als ich ein Kind war. Da waren Leute wie Reinhold Messner Menschen, über die in den Sportnachrichten berichtet wurde, gemeinsam mit Niki Lauda oder Hans Krankl.

Diese Menschen waren für mich Stars, was sich bis heute nicht geändert hat. Gute Höhenbergsteiger machen etwas, was ich ungeheuer faszinierend finde, wobei der Begriff der Todeszone auf mich immer schon die größte Faszination ausgeübt hat. Es bezeichnet einen Bereich, in dem physiologisch ein Überleben eines Menschen nicht sehr lange möglich ist.

wien.ORF.at: Aber Ihre Romanfigur ist kein erfahrener Bergsteiger, sondern Tourist?

Glavinic: Es gibt ja diesen Everest-Tourismus, weit mehr als bei allen anderen Achttausendern. Es gibt 14 Achttausender, aber keiner will so gern bestiegen werden. Da wollen viele Leute hin, einfach um nachher auf die Visitenkarte schreiben zu können, dass sie am Everest waren, aber wie erfährt man da ja nicht. Da gibt es ja tatsächlich Menschen, die sich praktisch rauftragen lassen. Also ich habe großen Respekt vor richtigen Höhenbergsteigern, aber einen bisschen geringeren vor jenen Leuten, die da nur hinwollen aus Eitelkeit oder Ruhmsucht.

wien.ORF.at: Sie selbst sind nicht der große Bergsteiger?

Glavinic: Also ich würde es schon machen wollen, aber ich habe nirgendwo wirklich viel Disziplin, außer beim Schreiben. Ich hatte mit meinem Freund, dem Höhenbergsteiger Gerfried Göschl, eigentlich ausgemacht, dass wir zusammen zum Kilimandscharo gehen, aber es wird jetzt leider nicht mehr dazu kommen. Das ist etwas, das jemand wie ich nur mit einem Freund macht.

Buch "Das größere Wunder"

ORF/ Florian Kobler

Im Roman „Das größere Wunder“ besteigt Protagonist Jonas den Mount Everest

wien.ORF.at: In Ihrem Roman behauptet eine Figur, dass Antworten überschätzt werden. Sehen Sie das auch so?

Glavinic: Ja. Ich bin auch nicht der Ansicht, dass ein Roman oder Buch Antworten mitbringen muss. Vielleicht ist das auch eine Aussage von mir: Antworten werden überschätzt. Mit Sicherheit. Weil Antworten oft nur von kurzer Dauer sind. Es gibt so viele Antworten, die dann am Tag darauf nicht mehr stimmen.

wien.ORF.at: Ist es die Aufgabe eines Romans viele Fragen aufzuwerfen?

Glavinic: Ein Roman hat sowieso keine Aufgabe. Ein Roman ist ein Roman. Punkt.

wien.ORF.at: Sie schreiben im Roman „Ewig stürzen. Das ist das Glück“. Ist das Ihre Einstellung?

Glavinic: Das ist eine schwer zu übersetzende Metapher. Ich habe mich gefreut, dass ich sie geschrieben habe, aber leicht zu übersetzen ist sie nicht.

wien.ORF.at: Was halten Sie von Tandemspringen?

Glavinic: Ich finde es ein bisschen bizarr, mich mit so einem Stoffstück auf dem Rücken aus dem Flugzeug aus 3.000 Metern zu werfen. Das ist etwas, das ich vielleicht noch mache, aber ich bin kein Adrenalinjunkie, daher überleg ich mir in solchen Fällen immer: Macht es mir Spaß? Und das reine Adrenalin macht mir keinen Spaß. Drachenfliegen würde ich sofort gehen.

wien.ORF.at: Im Roman wird Österreich auf die Schlagworte Mozart, Schnitzel und Skifahren reduziert. Warum?

Glavinic: Das sagt ja eine Deutsche im Roman. Dass Österreich manchmal von außen ein bisschen einfach gesehen wird, das ist mir auch schon öfters begegnet. Also ich weiß schon, dass es das eine oder andere Vorurteil über Österreich gibt. Das Problem ist halt nur, dass manche stimmen. Mozart, Schnitzel, Skifahren, Schwarzenegger...

wien.ORF.at: Felix Baumgartner?

Glavinic: Da wissen die meisten im Ausland nicht, dass das ein Österreicher ist. Also wenn Österreich auf ein paar solche Schlagworte reduziert wird, wundert mich das nicht. Österreich ist ein kleines Land, so wichtig sind wir nicht.

wien.ORF.at: Der ORF wird den Bachmannpreis weiter im Fernsehen übertragen. Freut Sie diese Nachricht?

Glavinic: Literaturpreise sind in erster Linie deshalb wichtig, weil sie dem, der sie kriegt, ein leichteres Schreiben ermöglichen. Ob das Spektakel des Bachmannpreises so richtig ist und unbedingt weitergeführt werden muss, weiß ich nicht. Ich will niemandem zu nahe treten, aber in den letzten Jahren sind sicher nicht so große Autorinnen und Autoren entdeckt worden.

Wir müssen uns natürlich auch fragen, ob das nichts anderes als eine Castingshow ist. Dieselben Leute, die sich über „Deutschland sucht den Superstar“ lustig machen, fahren da hin und lesen ihre Texte vor und lesen gegen Kollegen. Das ist für mich ein bisschen geschmacklos. Ich möchte nicht gegen jemanden antreten und um die Wette künsteln. Also ich würde da nie hinfahren.

Thomas Glavinic

ORF/ Florian Kobler

wien.ORF.at: Sie hatten lange Zeit das Bild von Edward Snowden als Userfoto auf ihrer Facebook-Seite. Warum?

Glavinic: Mir ist das sympathisch, wenn sich jemand traut, sich gegen ein ganzes System zu stellen - und das noch dazu bitte gewaltfrei. Also der hat niemandem verletzt, der hat niemanden etwas getan, und der sitzt da wochenlang in irgendeinem Transitbereich eines Flughafens herum und kein zivilisiertes Land, oder kein europäisches Land, ich will nicht Europa und Zivilisation gleichsetzen, erklärt sich bereit, den aufzunehmen.

Das ist doch unglaublich. Mit Edward Snowden fühle ich mich sehr solidarisch und wenn da aus Österreich irgendeine Lösungsmöglichkeit gekommen wäre, wäre ich sogar mal wieder ein bisschen stolz auf dieses Land gewesen.

wien.ORF.at: Sie haben vor zwei Jahren bei einem Autotest für ein Magazin einen Lamborghini zu Schrott gefahren. Sind Sie nach wie vor ein leidenschaftlicher Autofahrer?

Glavinic: Wenn jeder, der einmal einen Autounfall hatte, deswegen nicht mehr Autofahren würde, dann gäbe es ja viel mehr Parkplätze. Ich fahre nach wie vor sehr gern Auto. Mir macht die Geschwindigkeit viel Spaß und das beschränkt sich ja nicht nur aufs Autofahren, sondern das habe ich beim Skifahren auch schon immer wieder oft und gern probiert. Ich kann ganz bestimmt noch schlechter Skifahren als Autofahren und bin deswegen, seitdem ich mir da drei Rippen gebrochen habe, ein bisschen vorsichtiger geworden.

wien.ORF.at: Den Wikipedia-Eintrag von Ihnen, haben Sie den selbst geschrieben?

Glavinic: Nein, natürlich habe ich den nicht selbst geschrieben. Aber ich fand es lustig das zu behaupten, weil ich hätte ihn selbst schreiben können und es würde nicht auffallen. Sie zitieren ja eine Passage aus „Das bin doch ich“. Klar, das ist ja das Fragwürdige an Wikipedia. Wie ich jetzt gelesen habe, wird der Brockhaus bald nicht mehr existieren, weil es Wikipedia gibt. Das erfüllt einen schon ein bisschen mit Skepsis, denn wer schreibt auf Wikipedia? Wer überprüft das?

wien.ORF.at: Waren Sie zufrieden mit der Verfilmung Ihres Romans "Der Kameramörder?

Glavinic: Naja. Teils, teils. Über einiges bin ich glücklich und bei einigem nicht so. Aber es mag auch an mir liegen. Als Autor erwartet man vielleicht, dass der fertige Film dann näher an dem ist, was man geschrieben hat. Und der Kameramörder ist zwar ein in sich gut gemachter Film, aber er ist so sehr ein Thriller geworden, wie es der Kameramörder als Buch überhaupt nie gewesen ist. Ich glaube, dass „Wie man leben soll“ auf alle Fälle näher an meinem Buch ist.

wien.ORF.at: Schreiben Sie schon an einem neuen Roman?

Glavinic: Ich bringe nächstes Jahr ein Buch über das Schreiben heraus, aber keinen Ratgeber. Der Titel steht noch nicht fest. Es wird ein Buch, das auf meinen Poetik-Vorlesungen basiert, die ich an der Universität Bamberg letztes Jahr gehalten habe und das in einer überarbeiteten Fassung erscheinen wird. Es geht im erweiterten Sinn um meine Poetik.

Das Gespräch führte Florian Kobler, wien.ORF.at

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