Sensationsfund auf Jüdischem Friedhof

Neu entdeckte, jahrhundertealte Grabsteine könnten den Jüdischen Friedhof in Alsergrund zum „historisch wertvollsten Friedhof Europas“ machen. Wien verspricht sich durch den Sensationsfund eine neue Touristenattraktion.

„Die Grabsteine sind bis zu 500 Jahre alt. Aufgrund dieses Fundes glauben wir, in den nächsten Wochen weitere Grabsteine finden zu können“, so Oskar Deutsch, Präsident der Israelischen Kultusgemeinde (IKG), gegenüber wien.ORF.at. Somit könne der historisch wertvollste jüdische Friedhof Europas mit dem berühmten Jüdischen Friedhof in Prag verglichen werden und Touristen aus aller Welt anlocken.

„Da wir einen Plan aus dem Jahr 1917 in Archiven gefunden haben, der den Friedhof zeigt, wie er ursprünglich ausgesehen hat, können wir die Steine ihrem Bestimmungsort zuordnen“, so Daniel Benyes, Sprecher von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Dadurch könne die historische Ruhestätte in Wien-Alsergrund der weltweit einzige jüdische Friedhof sein, der in den Originalzustand, wie er vor dem Zweiten Weltkrieg vorzufinden war, versetzt werden kann.

Friedhof Seegasse

PID/Kromus

Sensationsfund: Alte Marmorsteine aus dem 16. und 17. Jahrhundert

Versteck für die Nachwelt

Die Nationalsozialisten zerstörten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche jüdische Friedhöfe. Grabsteine wurden oftmals für kriegswirtschaftliche Zwecke und als Baumaterial verwendet. Um den Friedhof in der Seegasse zu schützen, wurden die Grabsteine von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde im Jahr 1943 zum Wiener Zentralfriedhof gebracht und unter einem Erdhügel versteckt.

Erst durch den neuen Fund wurde bekannt, dass sich auch unter dem Friedhof in der Seegasse Grabsteine befinden. In einer Tiefe von rund einem Meter wurden die Steine - in mehreren Schichten und stets durch eine schützende Erdschicht getrennt - vergraben. Rund 800 Steine sollen es auf dem Friedhof ursprünglich gewesen sein. Inzwischen wurde über die Hälfte wiederentdeckt: 198 Grabsteine befinden sich entlang der Friedhofsmauer und 237 auf dem Gräberfeld. Rund 130 Steine sind noch auf dem Zentralfriedhof.

Renovierung nach jüdischem Ritus

Seit neun Jahren wird der 2.000 Quadratmeter große Friedhof im Innenhof des Seniorenheims Rossau renoviert und wieder zusammengetragen. „Die Steine werden komplett gesäubert und wieder instand gesetzt. Dabei gehen wir nach dem jüdischen Ritus vor und säubern vor Ort, um keine Erde vom Friedhof wegzubringen“, so Benyes.

„Die jüngsten Funde wurden erst durch den Einsatz ausgewiesener Fachleute möglich gemacht. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, bei der Sicherung der jüdischen Friedhöfe sachkundig vorzugehen. Nur mit Professionalität können diese bedeutenden Kulturdenkmäler für kommende Generationen bewahrt werden“, so Historikerin Tina Walzer.

Friedhof Seegasse

PID/Kromus

Wiens älteste jüdische Ruhestätte wird noch mindestens bis 2018 saniert

Friedhof als Touristenattraktion

Da mit weiteren Funden gerechnet wird, werden die Sanierungsarbeiten nicht vor 2018 abgeschlossen sein. „Die Sanierung geht sehr langsam voran, aber ist auf dem richtigen Weg“, so IKG-Präsident Deutsch. Er wünsche sich, dass der Friedhof künftig für Touristen leichter zugänglich gemacht wird.

Derzeit ist die Ruhestätte von der Straße aus nicht sichtbar und kann nur über das Seniorenheim besucht werden. Da der Friedhof jedoch in Reiseführern vermerkt ist, finden dennoch Touristen den Weg dorthin. „Manchmal kommen Busse, manchmal Schulklassen. Besonders an den Feiertagen besuchen viele Juden aus Wien den Friedhof“, so Andrea Schmid aus dem Seniorenheim Rossau.

Ob aus dem Friedhof künftig eine Touristenattraktion gemacht wird, ist noch offen. „Das könnte sich durchaus ergeben“, so Benyes. „Viele Pilger besichtigen den Friedhof schon jetzt, beispielsweise um das Grab von Rabbi Sabbatai zu besuchen.“ Auch andere berühmte Wiener Juden, wie Rabbiner Menachem Hendel, Kaufmann Jakob Koppel Fränkel und Bankier Samuel Oppenheimer fanden hier ihre letzte Ruhestätte.

Friedhof Seegasse

PID/Gökmen

Rund 75 Grabsteine wurden bereits im Jüdischen Friedhof restauriert

Vertrag aus 1670 noch gültig

Die Stadt Wien und das Bundesdenkmalamt sind vertraglich verpflichtet, den Friedhof in der Seegasse zu erhalten und zu restaurieren. Denn als 1670 die Wiener Juden unter Leopold I. aus der Stadt vertrieben wurden, erlegte der Kaufmann Koppel Fränkel 4.000 Gulden für die Zusicherung des Magistrats, dass der Friedhof „auf ewige Zeiten“ erhalten bleibe. Dieser Vertrag wurde 1978 unter Bürgermeister Leopold Gratz neu festgeschrieben, als die Stadt das Spitalsareal erwarb.

Jüdischer Friedhof in Währing verfällt

Trotz der Verpflichtung Österreichs zur Instandhaltung der jüdischen Friedhöfe ist es um deren Zustand teilweise schlecht bestellt. Der große Jüdische Friedhof Währing in Wien verfällt nach und nach - mehr dazu in Jüdischer Friedhof verfällt weiter (oe1.ORF.at; 20.6.2013).

Links: