Über die Bühne auf die Toilette

Vor 30 Jahren hat das Kabarett Niedermair aufgesperrt, morgen startet es in die neue Saison: eine Kleinbühne, ohne deren kontinuierlichem Engagement die heutige Kabarettszene wohl um viele große Namen ärmer wäre.

Ein 30-jähriges Bestandsjubiläum ist für eine Kleinbühne ja eigentlich allein schon Grund genug für ein Freudenfest. Kann das Theater dann noch auf eine derartig verdienstvolle und ruhmreiche Geschichte zurückblicken, wie das Kabarett Niedermair, darf es sich mit Fug und Recht gehörig und ausgelassen feiern lassen. Das Kabarett Niedermair wird 30 Jahre alt – und begeht diesen Geburtstag mit einer hochkarätig besetzten Kabarett-Festwoche.

Kabarett Niedermair - Eingang

ORF/Peter Blau

Wie alles begann

Das waren noch Zeiten, damals in den 1980ern, als der Besucher der kleinen, engagierten Spielstätte hinterm Café Eiles über die Bühne klettern musste, um zu den Toiletten zu gelangen. Nicht selten störten verspätete Rückkehrer den Beginn der zweiten Spielhälfte, weil sie die Pausenlänge unterschätzt hatten. Allzu Schüchterne verfolgten dann bisweilen den ganzen Rest der Vorstellung unfreiwillig aus dem Backstage-Bereich.

Zur Veranschaulichung für Ortskundige: Der Eingang mit Kasse und Garderobe war seinerzeit dort, wo sich heute Künstlergarderobe und Bühne befinden. Die Bühne indes war am hinteren Ende des Saals, wo heute die Technik untergebracht ist. Dazwischen wurden je nach Bedarf drahtige Sessel aufgeklappt, deren grobmaschige Sitzflächen bisweilen nachhaltigeren Eindruck hinterließen als das Dargebotene. Erst der Umbau – unter Einbeziehung des zu Foyer, Garderobe und Bar adaptierten vormals unüberdachten Innenhofs – brachte 1991 die innenarchitektonische Kehrtwendung des Saals.

Der Brutkasten des Wiener Kabaretts

Keinerlei Kehrtwendung, sondern geradlinige Kontinuität gab es in Bezug auf den künstlerischen Anspruch: Von Anfang an verstand sich das von Nadja Niedermair 1983 gegründete und acht Jahre lang geleitete Kabarett Niedermair als Brut- und Förderstätte für hochwertige und zukunftsweisende Kabarett- und Kleinkunstprogramme und ihre Schöpfer. Schon nach wenigen Jahren war der Ruf des Niedermair größer als das Haus selbst.

Untrennbar verbunden mit der Geschichte des Hauses ist jene von Josef Hader. Nach seinen ersten kabarettistischen Gehversuchen ab 1982 war er von Beginn an mit dabei. Im Jänner 1985 präsentierte er dort zusammen mit seinem ehemaligen Schulkollegen Otto Lechner am Klavier das Programm „Der Witzableiter und das Feuer“, das noch im gleichen Jahr mit dem „Salzburger Stier“ ausgezeichnet wurde.

Programmfolder 1985 - mit Josef Hader

Kabarett Niedermair

Ankündigung für Josef Haders Programm „Der Witzableiter und das Feuer“ (1985)

Sprungbrett und Talenteschmiede

Auch die Grundsteine der Karrieren vieler weiterer der heutigen Kabarett-Top-Stars liegen in der kleinen Bühne in der Josefstadt. Um nur einige der klingendsten Namen zu nennen: Thomas Maurer, Martin Puntigam, Leo Lukas, Mike Supancic und die prominent besetzte Gruppe „Schlabarett“. Sie alle nutzten das im Niedermair halbjährlich veranstaltete „Sprungbrett“ für Newcomer als Startschuss für ihre Künstler-Laufbahnen.

Denkwürdige Auftritte sind im Niedermair zur Genüge über die Bühne gegangen. 1984 gab es nach einer erfolgreichen „Sprungbrett“-Teilnahme die ersten und letzten Auftritte eines Duos namens „Tramp & Trenkwitz“, dessen zweitere Hälfte heute als Direktionsmitglied der Volksoper und ORF-Opernball-Kommentator tätig ist. „Mein wesentlichster Beitrag zum österreichischen Kabarett war es“, meint Christoph Wagner-Trenkwitz augenzwinkernd, „dass ich meine Karriere dort ganz schnell wieder an den Nagel gehängt habe.“

Beim gleichen „Sprungbrett“ konnte auch die damals aus den drei „erfrischenden, jungen und hochbegabten“ (Volksblatt) Alfred Dorfer, Peter Wustinger und Andrea Händler bestehende Gruppe „Schlabarett“ mit ihrem Debut-Programm „Am Tag davor“ erstmals auf sich aufmerksam machen. Ein Jahr später folgte unter Mitwirkung des vom Präsenzdienst zurückgekehrten Roland Düringer die Bundesheer-Satire „Atompilz von links“, die wegen der großen Nachfrage jahrelang auf dem Spielplan blieb.

Programmfolder 1984 - mit Schlabarett, Tramp & Trenkwitz

Kabarett Niedermair

„Schlabarett“-Debut - und Christoph Wagner-Trenkwitz als Kabarettist (1984)

Hochwertig und zukunftsweisend

Auch Kabarettist I Stangl, der die Geschicke des Niedermair zehn Jahre lang – von 1991 bis 2001 – leitete, erfüllte die Aufgabe, neue Talente zu entdecken und konsequent zu fördern, mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit und Kompromisslosigkeit. In seine Ära fallen die künstlerischen Geburtsstunden von u.a. „Steinböck & Rudle“, Thomas Stipsits, Gery Seidl und Klaus Eckel. I Stangl war es auch, der das das Niedermair als Produktionsstätte für hochwertiges Kindertheater positionierte.

Von 2001 bis 2003 zeichnete die Chefin der Wiener „Kulisse“ Doris Ringseis auch für das Kabarett Niedermair verantwortlich. Seit 2004 steht das Haus nun unter der Leitung von Andreas Fuderer. Dass er auch einer der drei Geschäftsführer des vor zwei Jahren gegründeten „Stadtsaal“ ist, begünstigt künstlerische Synergien zwischen dem kleinen 100er-Saal in der Lenaugasse und dem großen 400er-Saal in der Mariahilfer Straße.

Programmfolder 1993 - mit Steinböck & Rudle

Kabarett Niedermair

Zwei Newcomer mit Mehlspeisen: Herbert Steinböck & Gerold Rudle (1993)

Kleinkunstkomik abseits des Mainstreams

Zu den neuesten Kabarett-Hoffnungen, die in den letzten Jahren im Niedermair eine künstlerische Heimstätte gefunden haben, zählen unter anderem der berührend gewitzte Gerhard Walter, die steirische Stimmungskanone Paul Pizzera, das spielfreudige und facettenreiche Duo „BlöZinger“ und das eigenartig und sehr eigenständig verspielte Damen-Doppel „Flüsterzweieck“.

Denn auch für außergewöhnliche Kleinkunstkomik abseits jenes Mainstreams, der zumeist in den Orkus des Vergessens mündet, hat die Kleinkunstbühne immer schon ein wohlwollend offenes Ohr gehabt. Das war bereits vor 25 Jahren so, als Tabubrecher Martin Puntigam und das Kabarett-Kuriosum Karl-Ferdinand Kratzl vom Niedermair aus die Szene jahrelang mit merkwürdig schrägen und grotesk-komischen Programmen bereicherten.

Programmfolder 1995 - mit Hader, Lukas, Maurer

Kabarett Niedermair

„30 Jahre Kabarett Niedermair“, 8., Lenaug. 1a, Tel. 01/4084492, 22. bis 29. September 2013, 19.30 Uhr

Steil und steinig

Die wichtige Aufgabe, Newcomer und Talente zu entdecken, ihnen Spielräume zu bieten, um sich ausprobieren und künstlerisch entfalten zu können, nimmt dem Niedermair seit rund 15 Jahren großteils das „Theater am Alsergrund“ ab. Dem Niedermair kommt indes eine zwar nicht von allen Künstlern vorbehaltlos begrüßte, aber verantwortungsbewusst und sorgfältig ausgeübte Filterfunktion zu.

Denn auf dem ohnedies steinigen und steilen Weg nach oben führt in Wien - spätestens seit der Schließung des etwa gleichgroßen „Spektakel“ - kaum mehr ein Weg an ihm vorbei. Für viele der im „Alsergrund“ oft jahrelang gewissenhaft vorgeschliffenen Künstler gilt der Sprung in den Spielplan des Niedermair als wesentlicher Schritt auf dem Weg in Richtung Oberliga des Kabaretts.

Kabarett-Festwoche zum 30. Geburtstag

Aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums des Kabarett Niedermair lässt die verdiente Bühne an acht hochkarätig besetzten Abenden die Geschichte des Hauses mit Programm-Revivals und exklusiven Sonderanfertigungen Revue passieren. „Steinböck & Rudle“ (22.9.), „Schöller & Bacher“ & „WalterSeidl“ (28.9.) und nicht zuletzt „Dorfer & Düringer“ („MA 2412“, 23.9.) sorgen für einmalige Wiedervereinigungen einst schillernder Duos.

Thomas Stipsits, Klaus Eckel, Martin Kosch und Pepi Hopf formieren sich zur Feier des Bühnengeburtstags noch einmal zur 2003er-Besetzung der vor fünfzehn Jahren begründeten und inzwischen fix etablierten „Langen Nacht des Kabaretts“ (29.9.). Erstmals gemeinsame Sache macht im Rahmen der Jubiläumswoche Josef Hader mit dem „FM4-Ombudsmann“ Hosea Ratschiller (24.9.).

Thomas Maurer, I Stangl und Karl-Ferdinand Kratzl erinnern unter dem Titel „Wie alles begann“ an die Anfänge des Kabarett Niedermair (26.9.). Dazu gibt es noch eine Steirer-Parade mit Martin Puntigam, Paul Pizzera, Christian Hölbling, Leo Lukas, Simon Pichler und Christoph Spörk (25.9.) und ein buntes „Best-of-Niedermair" (27.9.). Für einige dieser Jubiläumsveranstaltungen gibt es noch ganz regulär Karten. Für die anderen gilt: Restkarten an der Abendkasse. Vielleicht.

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