Wiener schimpfen oft im Scherz

Zu den beliebtesten Wiener Schimpfwörtern zählen laut einer neuen Studie „Trottel“ und „Idiot“: Doch Oksana Havryliv von der Universität Wien interessiert sich vor allem dafür, wie und von wem sie eingesetzt werden. Ihr Schluss: Viele Wiener schimpfen im Scherz.

Eine Eigenheit ist Havryliv, die sich seit ihrer Doktorarbeit mit Schimpfwörtern beschäftigt, an den Wienern aufgefallen: „Nur die wenigstens nutzen Schimpfwörter, um andere zu beleidigen“, sagt sie. Ein Viertel des Schimpfens fällt überhaupt in die Kategorie Scherz, 64 Prozent werden zum Abreagieren benutzt, und nur elf Prozent der Schimpfwörter werden in der Absicht ausgesprochen, tatsächlich jemanden damit zu beleidigen.

„Wiener gehen sehr locker mit dem Schimpfen um“

Geschimpft wird dabei vorwiegend im Dialekt. „Das ist vertrauter und den Menschen näher“, erklärt die Germanistin. „Die Wiener gehen sehr locker mit dem Schimpfen um.“ Auch die vielen aggressiven Aufforderungen wie etwa „Schleich dich!“ sind eine österreichische Eigenheit, werden aber wiederum eher als fiktive verbale Aggression genutzt.

„Die Wiener kokettieren auch gerne mit ihrem Image als ewige Schimpfer und Nörgler“, so die Expertin. Manche Aufforderungen wie „Hupf’ in Gatsch und schlag’ a Welln“ sind meist sogar rein humoristisch.

Kaum verbreitet ist in Österreich dagegen das Verfluchen, wie es unter anderem in slawischen Ländern gerne genutzt wird. „Verfluchungen funktionieren überall dort, wo der Aberglaube noch groß ist“, sagt Havryliv. Österreich sei dagegen eine klassische fäkale Schimpfkultur, wovon nicht nur der häufige Gebrauch des Wortes „Scheiße“ zeugt.

Schimpfworte als „Tabus in einer Kultur“

Überall dort, wo die katholische Religion noch stark ist, gebe es außerdem eine sakrale Schimpfkultur, die von „Kruzifix“ bis „Himmelherrgott!“ reicht. Stark ist diese auch in anderen katholischen Ländern wie etwa Spanien oder Italien vertreten, während in vielen anderen europäischen Nationen eher eine sexualisierte Schimpfkultur Tradition ist.

„Schimpfworte stehen immer für Schwachstellen und Tabus in einer Kultur“, meint die Wissenschaftlerin. In islamischen Ländern ist daher die Ahnenschmähung eine beliebte Schimpfvariante. In Österreich früher praktisch nicht genutzt, verbreiten sich im Zuge von Migration auch andere Schimpfkulturen. „Jugendliche übernehmen das dann sehr gerne von ihren Freunden“, so Havryliv. Auch vor dem Schimpfen macht die Internationalisierung nicht halt: Sowohl bei Erwachsenen als auch Kindern zählen „Fuck“ und „Shit“ zu den häufigsten Flüchen.

Ansonsten geht es bei den ebenfalls befragten Wiener Schülern eher rau zu: Körperliche Gebrechen und die sexuelle Orientierung sind die beliebtesten Anhaltspunkte. „Da werden vielfach auch eigene Ängste durch verbale Aggression überdeckt.“ Außerdem ist auch die Funktion häufig eine andere: Neben Provokation und Abgrenzung von den Erwachsenen schimpfen Jugendliche auch, um Identität und Gruppenzugehörigkeit zu generieren.

Sozialer Status hat mehr Einfluss als Geschlecht

Für ihr Projekt, das im Rahmen eines Elise-Richter-Stipendiums des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) durchgeführt wird, befragte Havryliv 36 Personen und verteilte zudem so viele schriftliche Fragebögen wie möglich. Die Antworten teilte sie nicht nur in Geschlechter, sondern auch in soziale Gruppen ein: Gruppe eins hat keine Matura, Gruppe zwei hat Matura und Gruppe drei einen Hochschulabschluss.

„Alle Unterschiede, die sich gruppenübergreifend bei den Geschlechtern zeigen, kommen verstärkt aus der Gruppe eins“, schilderte die Germanistin. In den Gruppen zwei und drei sei es dagegen beinahe ausgeglichen, sowohl was das verdeckte Schimpfen, als auch die Verwendung von mehr und stärkeren Schimpfwörtern angeht. „Der geschlechtliche Unterschied ist also sozial bedingt“, schlussfolgerte Havyrliv.

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