Zentralfriedhof folgt Facebook-Trend

Was haben der Wiener Zentralfriedhof und Facebook gemeinsam? Deutsche Soziologen stellten fest, dass zeitgemäße Grabdarstellungen auf Friedhöfen in Österreich und Deutschland zunehmend an Facebook-Profile erinnern.

„Bilder spielen auf dem zeitgenössischen Friedhof zunehmend eine Rolle“, so Thorsten Benkel und Matthias Meitzler. Die beiden Soziologen und Buchautoren untersuchten 500 Friedhöfe im deutschsprachigen Raum, darunter auch den Wiener Zentralfriedhof. Aus ihren Untersuchungen geht hervor, dass Friedhöfe die Gesellschaft widerspiegeln.

Grabsteine werden immer individueller und erinnern an Facebook-Profile, die kein authentisches Gesamtbild, sondern spezifische Lebensaspekte präsentieren. Es stehen zunehmend Lebensleistungen und Dinge im Vordergrund, die den Verstorbenen wichtig waren. „In Wien stellen wir bei den zeitgenössischen Gräbern fest, dass diese Entwicklung sich zaghafter vollzieht, als in deutschen Metropolen. Eine Ausnahme stellt aber beispielsweise der Wiener Zentralfriedhof dar“, so Meitzler.

Grabsteine

Benkel/Meitzler

Liegt da der Hund begraben? Nicht unbedingt. Tiere auf Gräbern können als Symbole für menschliche Eigenschaften oder als trauernde Wächter dienen

Aschenbecher als Grabsteinmotiv

Die Grundtendenz ist, dass Grabsteine individueller werden. „Wir sind eine Multioptionsgesellschaft. Diese Tendenz kann man auch auf Grabobjekten ablesen“, so Meitzler. Oftmals werden Alltagsgegenstände, die einen Bezug zur verstorbenen Person haben, in Grabsteinen verarbeitet. Die Soziologen entdeckten Gräber mit Skiern, Musikinstrumenten, Handys, Tennisschlägern, Fußbällen, Genussmitteln, Schlittschuhen, Uhren, Aschenbechern oder auch Tonträgern.

Grabsteine

Benkel/Meitzler

Individuelle Grabsteine: Ein Gitarrist lässt das Logo seiner Band im Grabstein verarbeiten

Es gibt auch die Tendenz persönliche Inschriften, Gedichte und Sprüche, die man nur als Eingeweihter deuten kann, im Grabstein zu verarbeiten. Beispiele dafür wären Texte wie „Der Tag ist gerettet“, „Auf dem Weg zu deinem Freund soll kein Gras wachsen“ oder „Viele Hunde sind des Hasen Tod“. Generell werden Gräber ökonomischer, kleiner und pflegeleichter eingerichtet. Meitzler: „Das klassische Familiengrab ist immer seltener anzutreffen, unter anderem weil im Leben die Mobilität größer wird.“

Wien ist anders

Am Wiener Zentralfriedhof sind derzeit noch traditionelle Darstellungsformen und eine klassische Ästhetik bei Grabsteinen vorherrschend. Die Darstellungsform spiegelt häufig den sozialen Stand der Verstorbenen wieder. Nur sporadisch gibt es einen Ausbruch mit modernen Formen. Zum Beispiel das Falco-Grab.

„Sein Grab und die benachbarten Grabstätten anderer namhafter Persönlichkeiten heben sich in Wien besonders ab. Am Friedhof in Berlin würden solche Gräber nicht so sehr herausragen“, so Meitzler. „Jene, die am Zentralfriedhof ein besonderes Grab bauen lassen, wissen, dass sie sich auf einem traditionellen Areal befinden und welche Wirkung das moderne Grab erzielt.“

Grabsteine

Benkel/Meitzler

Trend der Körperdarstellung: Die Körper der Verstorbenen sollen durch Fotografien oder Statuen so gezeigt werden, wie sie zu Lebzeiten beschaffen waren

„Stolz darauf, ein Wiener zu sein“

In Wien haben Fotografien, die den Verstorbenen zu Lebzeiten zeigen, auf Grabsteinen eine lange Tradition und sind sehr verbreitet. Aber nicht nur Menschen werden abgebildet. Am Zentralfriedhof entdeckten die Soziologen beispielsweise auch Fotos von Kraftfahrzeugen auf einem Grab.

Auch humorvolle Inschriften wie „Ein Wiener von echtem Schrot und Korn“, „Seid lieb zueinander“ oder „Heiteres Bezirksgericht“ gab es auf manchen Grabsteinen zu lesen. „Der Humor ist aber tendenziell eher visuell dargestellt“, so Meitzler. Manchmal wird auch die Beziehung zur Stadt dokumentiert.

Zu lesen waren Sprüche wie „Ich bin stolz ein Wiener zu sein“ oder „Ich male ein Bilderbuch von Alt-Wien“. Auch musikalische Bezüge werden öfter hergestellt. Statt Kreuze zieren Notenschlüssel die Gräber. „Musik ist mein Leben“ steht auf dem Grab eines Dirigenten am Zentralfriedhof. „Insbesondere zeigen die Grabsteine einen Rückblick auf die Lebenswelt der Verstorbenen, statt auf ein Wiedersehen im Jenseits zu verweisen“, so Meitzler.

Grabsteine

Benkel/Meitzler

Am Zentralfriedhof gibt es viele Verweise auf die Beziehung zur Stadt Wien und musikalische Referenzen: „Ich bin stolz darauf ein Wiener zu sein“

„Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe“

Insgesamt schossen Benkel und Meitzler über 30.000 Fotos von skurrilen, modernen oder auffallenden Gräbern. Auf ihrer Recherche entdeckten sie, wie Menschen mit dem Verlust umgehen („Lach doch mal“), wie Beziehungsverhältnisse reflektiert werden („Mit dir zu leben war nicht leicht, doch ohne dich ist’s noch viel schwerer“), was den Verstorbenen wichtig war („Nicht das Licht auslöschen“) und wie ihre Hobbys ihr Lebensende prägten („Dein letztes Match hast du verloren“).

Buchhinweis

Thorsten Benkel, Matthias Meitzler: „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe. Ungewöhnliche Grabsteine“. Kiepenheuer & Witsch, 240 Seiten, 8,99 Euro

Manche Lebensbilanz fiel ernüchternd aus („Alles Scheiße“), manche war ironisch („Nur tiefergelegt“), mancher Nachruf brachte den Betrachter ins Grübeln („Der Tag ist gerettet“), und auch die Gewissheit, dass es kein Wiedersehen gibt („Das war alles“), war kein seltenes Bekenntnis. Ein Best-of jener Fotos und Erkenntnisse, die Benkel und Meitzler auf ihrer Friedhofsforschung gemacht haben, sind im Februar 2014 im Buch „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe. Ungewöhnliche Grabsteine“ im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen.

Florian Kobler, wien.ORF.at

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