Markt boomt: Redner statt Priester

Der Markt um Dienstleistungen wie Hochzeiten und Begräbnisse ist in Wien heiß umkämpft. Immer mehr Menschen engagieren freie Zeremonienleiter anstatt Priester und Pastoralassistenten. Die Erzdiözese Wien möchte nun offensiver werben.

Seit zwei Jahren boomt die Branche der Hochzeits- und Trauerredner", so James Houston. „Der Trend kommt aus Deutschland. Dort wurde im Fernsehen viel Werbung für freie Trauungen und Zeremonien gemacht.“ Der Unternehmer weiß, wovon er spricht. Er ist selbst hauptberuflicher Hochzeits- und Trauerredner in Wien und vermittelt über das Internet rund 500 Zeremonienleiter in Österreich.

Zeremonienleiter bieten als Alternative zur Kirche Feste aller Art an. Das Hauptgeschäft sind Hochzeiten und Begräbnisse. Parallel dazu werden auch freie Taufen, Segnungen, Lebensfeste und andere Feiern angeboten. „Ein Zeremonienleiter ist alles, vom freien Theologen bis zum Schamanen oder der Hexe“, so Houston. „Wobei die Hexe nicht böse ist, sondern die keltischen Rituale durchführt.“ Ein Zertifikat zum Zeremonienleiter gibt es nicht. „Jeder kann sich so titulieren.“

Houston

Zeremonienleiter.at

Hochzeiten sind ein Wochenend- und Saisongeschäft für Zeremonienleiter

Konkurrenz für die Kirche

Die Hauptsaison bei Hochzeiten ist zwischen Mai und November. In dieser Zeit vermittelt Houston bis zu 20 Zeremonienleiter pro Tag. Diese bieten ergänzend zur Eintragung am Standesamt eine festliche Feier an. „Diese Zeremonien werden mit hohem Aufwand betrieben. Es werden manchmal auch Urkunden unterschrieben.“

Das Geschäft mit Trauerfeiern boomt laut Houston das ganze Jahr. Dort stellen die Zeremonienleiter eine große Konkurrenz für die Kirche dar. „Die Kirche merkt das, weil sie vereinzelt auch Trauerfeiern für ausgetretene Mitglieder macht“, so Houston. Umgekehrt werden freie Theologen auch von Katholiken gebucht.

Lukrativer Nebenjob mit hoher Verantwortung

Ein Zeremonienleiter verdient pro Auftritt rund 500 Euro. „Nach oben hin gibt es keine Grenze. Vor allem Hochzeiten sind teurer, weil sie meist an einem Samstag stattfinden und der Zeremonienleiter oft eine weite Anreise hat“, so Houston. Ob diese Dienstleistung immer versteuert wird, bezweifelt Houston. Für die meisten ist das Leiten von Zeremonien ein Nebenjob, manchmal auch ein Studentenjob.

„Zeremonienleiter sollten gut und gerne reden können. Sie brauchen ein Know-how über jede Art von Zeremonien, müssen Vorgespräche führen und sich ihrer Verantwortung bewusst sein, wenn sie vor 400 Leuten eine Rede halten“, so Houston. Ihre Aufgabe beschränkt sich jedoch auf die Zeremonie. „Die Leiter sind keine Wedding Planner.“

Houston

Zeremonienleiter.at

Boomendes Geschäft: James Houston konzentriert sich auf Trauerfeiern

Zeremonienleiter als Pfarrer-Ersatz

Warum immer mehr Menschen auf Zeremonienleiter zurückgreifen liegt laut Houston an den individuellen Möglichkeiten. „Die Kirche hat Vorgaben, aus denen sie nicht heraus kann, darf oder will. Freie Theologen können die Feiern hingegen individuell mit Texten und Liedern gestalten.“ Ein weiterer Grund seien Sprache und Rhetorik.

„Viele Priester sind rhetorisch nicht gut ausgebildet oder sprechen kein gutes Deutsch, weil sie nicht aus Österreich kommen. Bei einem Begräbnis wollen viele Menschen außerdem einen schönen Nachruf auf den Menschen haben und keine Geschichte von jemandem hören, der vor über 2.000 Jahren gestorben ist“, so Housten. Wobei Beten für die meisten Zeremonienleiter kein Tabu ist. Houston: „Das ‚Vater Unser‘ kann man auch mit uns beten. Nur beim Glaubensbekenntnis ist Schluss.“

Kirche will offensiver werben

Dass der Markt um religiöse Dienstleistungen „bunter“ wird, sieht man bei der Erzdiözese Wien gelassen. „Wir haben 2.000 Jahre Erfahrung im Gestalten religiöser Riten, im Begleiten des religiösen Alltagslebens und der Reflexion über Religion. Daher können wir der Konkurrenz gelassen begegnen“, so die Leiterin des Pastoralamtes der Erzdiözese Wien, Veronika Prüller-Jagenteufel, gegenüber wien.ORF.at.

„Zugleich bringt die neue Situation der religiösen Vielfalt in der Gesellschaft die große Herausforderung, offensiver mit unserer Botschaft und unseren Formen auf alle Menschen zuzugehen und mit ihnen in Kontakt und ins Gespräch zu kommen. Das tut uns gut und macht Kirche neu, spannend und lebendig“, so Prüller-Jagenteufel.

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