Malariatherapie: Mindestens 230 Betroffene

Eine Historikerkommission arbeitet umstrittene Malariatherapien der 1960er Jahre in Wien auf. Sie prüfte bisher über 5.140 Personenakte. Bei mindestens 230 Personen sei die Malariatherapie angewandt worden, so der Leiter der Kommission.

Zwei Wochen lang 42 Grad Fieber und danach noch jahrzehntelange Fieberschübe: So lautete der Vorwurf ehemaliger Wiener Heimkinder, der die Untersuchungen zur sogenannten Malariatherapie ins Rollen brachte. Seit 1. Jänner 2013 untersucht eine Historikerkommission die Vorwürfe. Im Zentrum steht dabei die sogenannte „Klinik Hoff“, die Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie und Neurologie, benannt nach ihrem Leiter Hans Hoff - mehr dazu in Experten prüfen Malaria-Vorwürfe.

Malariatherapie: Leiter der Untersuchungskommission Gernot Heiss

ORF

Historiker Gernot Heiss

Die Kommission unter der Leitung des Historikers Gernot Heiss untersuchte bisher 5.140 Patientenakten aus den Jahren 1955 bis 1960. „Davon wurde bei 230 Personen die Malariatherapie angewandt“, sagte Heiss gegenüber wien.ORF.at. „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann aber bereits festgestellt werden, dass Heimkinder nicht häufiger als andere Patientengruppen mit den entsprechenden Diagnosen einer Malariakur unterzogen wurden“, so Heiss. Auch die Kinderstation wird noch untersucht. Zahlen dazu gebe es noch nicht, sagte der Historiker.

„Diskussion geht bis in die 1960er Jahre“

Die Untersuchung der Kommission läuft noch bis Jahresende. Im Frühjahr 2015 soll es einen Endbericht geben. Bis dahin soll auch geklärt sein, ob der Einsatz der Malariatherapie in Wien damals noch zeitgemäß war. Es lägen derzeit einige Hinweise vor, sagte Heiss: „In der internationalen Literatur geht die Diskussion bis in die 1960er Jahre, ob Malariatherapie oder Penicillin“.

Kritik an langer Wartezeit

Seitdem die Malariatherapie im Jahr 2012 für Aufsehen gesorgt hat, haben sich immer mehr Betroffene gemeldet: Bei dem Wiener Rechtsanwalt Johannes Öhlböck haben sich mittlerweile „19 Personen gemeldet“. Daneben wandten sich Betroffene auch an die Medizinische Universität und die Opferschutzeinrichtung Weißer Ring.

Öhlböck wartet nun auf den Bericht der Historikerkommission. Dann werde „das weitere Vorgehen festgelegt“, sagte der Anwalt gegenüber wien.ORF.at. Viele potenzielle Opfer würden jedenfalls nicht verstehen, warum die Aufarbeitung so lange dauert.

Nur „Klinik Hoff“ wird untersucht

„Ich muss das als Historiker mit all der Komplexität untersuchen. Und das dauert eben seine Zeit. Und ich bin froh, wenn wir mit diesen zwei Jahren Forschung zu Rande kommen“, sagte Heiss. Dass zudem nur die „Klinik Hoff“ und nicht auch andere Wiener Einrichtungen untersucht werden, liege daran, dass „man eingrenzen muss und auch von der Medizinischen Universität nur der Auftrag zur Untersuchung der ‚Klinik Hoff‘ gegeben wurde“, sagte Heiss.

Die Kommission will „im wesentlichen“ den Zeitraum von 1951 bis 1969 untersuchen, sagte Heiss. Finanziert wird die Untersuchung vom Bürgermeisterfonds der Stadt und dem Jubiläumsfonds der Nationalbank. Insgesamt stehen Heiss und seinen vier Teilzeitmitarbeitern dazu „über 200.000 Euro zur Verfügung“.

Therapie einst preisgekrönt, heute verpönt

Einst mit einem Nobelpreis ausgezeichnet, ist die Malariatherapie heute längst überholt. 1927 bekam der Psychiater Julius Wagner-Jauregg den Nobelpreis für die Entdeckung, dass eine Fiebertherapie die Progressive Paralyse als Spätfolge einer nicht auskurierten Syphilis in den Griff bekommen kann. Die Progressive Paralyse bezeichnet fortschreitende motorische Ausfälle einer oder mehrerer Körperregionen. Für die Auslösung der Fieberschübe injizierte der Psychiater seinen Patienten mit dem Malaria-Erreger Plasmodium vivax infiziertes Blut.

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