Buch erhebt schwere Vorwürfe gegen Jugendwohlfahrt

Die Behörden unterlägen keiner Kontrolle, handelten teilweise zu spät und reagierten oft überschießend: So lautet die Kritik der beiden Autoren des neuen „Schwarzbuchs Jugendwohlfahrt“. Die Wiener Jugendanwältin lässt die Kritik nur bedingt gelten.

Die Autoren, der Wiener Gerichtsmediziner Johann Missliwetz, bis dieses Jahr am entsprechenden Department der MedUni Wien beschäftigt, und die Veterinärmedizinerin Angelika Schlager, sind selbst Betroffene. Das Buch sei anfänglich „mit unserem ‚eigenen Fall‘ entstanden, als wir 2010 plötzlich vor der Situation standen, dass unser Enkel, den wir zwei Jahre lang aufgezogen hatten, von einem Tag auf den anderen von der Kindesmutter, die sich vorher nicht für ihn interessiert hatte, ja ihm sogar ablehnend gegenüberstand, von uns weggenommen wurde“.

67 Fälle für Buch recherchiert

Missliwetz und seine Frau recherchierten laut eigenen Angaben penibel 67 Fälle mit Mängeln der österreichischen Jugendwohlfahrt. Bei den Jugendwohlfahrt-Behörden handle es sich um ein geschlossenes System, in dem die Kontrolle fehle. Die Familiengerichte übernähmen zumeist ungeprüft die Angaben von Sozialarbeitern etc., Sachverständige arbeiteten willkürlich.

Der Gerichtsmediziner: „Wir fordern Akteneinsicht für alle, deren Name in den Akten (der Jugendwohlfahrt, Anm.) aufscheint.“ Es gebe keine wirksame Kontrolle. Schlager dazu: „Es fehlt die Möglichkeit einer wirksamen Beschwerde.“ Beschwerden würden wiederum durch die Behörde beantwortet bzw. regelhaft abgeschmettert.

Buchhinweis:

Johann Missliwetz, Angelika Schlager: Schwarzbuch Jugendwohlfahrt. CreateSpace Independent Publishing Platform, 378 Seiten, 16,49 Euro.

Rund 11.000 Kinder nicht bei Eltern

So kommt es laut den Autoren viel zu häufig zur Kindesabnahme wegen „Gefahr in Verzug“. Diese einschneidende Maßnahme könne der Jugendwohlfahrt-Träger selbst treffen, eine Prüfung erfolge zumeist viel zu spät und könne mit einer einstweiligen Verfügung noch hinausgeschoben werden. Auch vom Wegweiserecht werde - zumeist zuungunsten von Männern - zu leicht und ohne Prüfung Gebrauch gemacht.

Die Fremdunterbringung von derzeit rund 11.000 Kindern in Wohngemeinschaften verschiedenster Träger führe oft erst recht zu sexuellem Missbrauch und Gewalterfahrungen, die Verantwortlichen würden nicht zur Rechenschaft gezogen. „Es geht den Kindern somit schlechter als zu Hause“, heißt es in dem Band. Bei derartiger Fremdunterbringung würden „die Kinder kontrolliert“, die Institutionen „gut bezahlt“. „Der Einfluss der Eltern ist null, bei Beschwerden gibt es Kontaktverbote“, kritisiert Missliwetz.

Pinterits: „Mehr Personal sicher kein Schaden“

Auf die Kritik angesprochen, sagte die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits: "Ich denke mir, das eine ist, dass es mehr Personal braucht. In Wien ist es relativ gut. Da schauen sich drei Leute einen Fall an und versuchen, eine gute Diagnose zu machen, dann werden noch Psychologen usw. einbezogen. Und es wird versucht, aufgrund dessen eine Entscheidung zu treffen. Und glauben sie mir, die Entscheidung zu treffen ist nicht immer einfach.“

TV-Hinweis:

Monika Pinterits war im „heute mittag“-Studio zu Gast. Das Gespräch können Sie auf tvthek.ORF.at nachsehen.

Allerdings erlebe sie in Wien, dass „die Gerichte hie und da entgegen den Anträgen der Jugendwohlfahrt entscheiden“. Und auf die Kritik, dass es den Kindern bei Fremdunterbringung oft schlechter gehe, sagte Pinterits: „Das Jugendamt muss das gelindeste Mittel nehmen. Es wird einmal versucht, mit den Eltern zu arbeiten, wenn diese kooperativ sind. Wenn eine massive Gefährdung für das Kind da ist, kommt das Kind in Pflege.“

Auf mögliche Verbesserungen angesprochen, sagte Pinterits: „Ich würde mir wünschen, dass allgemeine Standards in allen Bundesländern gelten, wie etwa das Vieraugenprinzip. Ich würde mir auch eine forensische Ambulanz wünschen, wo geschaut wird, wenn Gewalt an Kindern verübt wird. Mehr Prävention und Personal wären sicher kein Schaden.“