Maßnahmenvollzug: „Einiges im Argen“

Ein Psychiater für 800 Häftlinge: Die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger hat im „Wien heute“-Interview eine grundlegende Reform im Maßnahmenvollzug und mehr Therapieangebote für Häftlinge gefordert, denn da sei derzeit „einiges im Argen“.

Am Freitag wurde ein 21-Jähriger, der im Frühjahr mehrere Frauen mit einer Eisenstange niedergeschlagen und teils lebensgefährlich verletzt hat, zu lebenslanger Haft verurteilt. Laut Hofinger kommt er in eine Sonderanstalt für zurechnungsfähige geistig abnorme Rechtsbrecher in Wien „oder er kommt in eine normale Justizanstalt, Garsten, Karlau oder Stein, wo es eigene Abteilungen gibt für Maßnahmeninsassen“ - mehr dazu in Eisenstangen-Prozess: Lebenslang (wien.ORF.at; 19.12.2014).

Veronika Hofinger

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Kriminalsoziologin Veronika Hofinger

Ein Psychiater für 800 Insassen

Mit einem großen Therapieangebot darf der Häftling in einer normalen Haftanstalt laut Hofinger jedoch nicht rechnen. „In der Justizanstalt Stein zum Beispiel gibt es einen Psychiater für 800 Insassen. Da kann man sich vorstellen, dass da nicht sehr viel Therapieangebote für die Insassen gemacht werden.“

Sendungshinweis:

Das „Wien heute“-Interview mit Veronika Hofinger finden Sie on Demand in der ORF TVthek

Therapien gäbe es eher für nicht schuldfähig geistig abnorme Rechtsbrecher, die beispielsweise an schizophrenen Erkrankungen leiden und sich oft in psychiatrischen Krankenhäusern oder in Sonderanstalten befinden. „Nicht alle geistig abnormen Straftäter sind solche rohen Gewalttäter wie der Angeklagte von Freitag, sondern es gibt auch viele, die unter dem Einfluss von einer psychischen Erkrankung eine Straftat begehen“, so Hofinger. „Da reicht schon eine gefährliche Drohung, vor allem wenn sie zum Beispiel gegen einen Polizisten gerichtet ist, kann das schon dazu führen, dass man als geistig abnorm eingewiesen wird.“

„Grundlegende Reformen“ gefordert

Die Zahl der Maßnahme-Häftlinge vervielfachte sich in Österreich in den vergangenen Jahren. „Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass es viel mehr sogenannte geistig abnorme Rechtsbrecher gibt, sondern die Gerichte weisen mehr ein und entlassen weniger. Es ist die Vorsicht größer geworden, man verhängt oft zusätzlich noch die Maßnahme als Sicherung, um kein Risiko einzugehen“, so Hofinger. Die Kriminalsoziologin fordert daher mehr Therapieangebote, denn „da ist im Moment schon einiges im Argen. Da ist noch einiges zu tun, es gibt derzeit auch Reformgruppen im Justizministerium, und es ist wirklich zu hoffen, dass es da bald grundlegende Reformen gibt.“

Neun Suizide in Österreichischen Gefängnissen

Die Betreuung der steigenden Zahl von psychisch kranken Häftlingen sei ein großes Problem, warnte auch die forensische Psychiaterin Gabriele Wörgötter, nachdem ein 19-jähriger Untersuchungshäftling Ende November in der Justizanstalt Josefstadt Suizid begangen hatte. Der Mann befand sich in psychiatrischer Behandlung. Es war heuer bereits der neunte Suizid in einem Gefängnis - mehr dazu in Suizid in Justizanstalt Josefstadt (wien.ORF.at; 20.12.2014).

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