Drogenkranke in der Pension

Die Drogenkonsumenten der Hippie-Zeit kommen ins Pensionsalter. In Österreich betrifft das 7.500 Personen, die teils noch immer Drogen konsumieren, wie „Die Zeit“ berichtete. Die meisten leben in Wien. Immer mehr davon müssen betreut werden, eine Herausforderung für das Pflegesystem.

„Jetzt hoffe ich nur noch, dass ich das dahinjongliere bis zu meinem letzten Atemzug“, sagt P. (P. möchte anonym bleiben). Er ist 56 Jahre alt, Frühpensionist und im Substitutionsprogramm. Jeden Tag bekommt er Morphin. Das erste Mal süchtig nach Heroin war er mit 18 Jahren. Dann hat er einen Entzug gemacht, ganz alleine. Er ist dann nach Salzburg gezogen und wurde Musiker und Produzent. 20 Jahre später wurde er rückfällig. Ein privater Schicksalsschlag war der Auslöser, dass Heroin und Kokain wieder zu seinem Alltag gehörten.

Die 68er Generation überlebt

Rund 7.500 drogenabhängige Menschen sind in Österreich im Pensionsalter. „Es ist die Generation, die in den 60/70er Jahren Heroin genommen hat. Es war die erste große Drogenwelle. Diese Menschen kommen jetzt ins Pensionsalter“, sagt Harald Spirig. Er ist Geschäftsführer vom Schweizer Haus Hadersdorf, einem Drogentherapiezentrum. 2010 war er an einer Studie über drogensüchtige Personen im Pensionsalter beteiligt, wie „Die Zeit“ berichtete.

Substitution: Behandlung von Personen, die an einer Abhängigkeit von Heroin leiden, mit gesetzeskonform zu verordnenden Medikamenten.

„Sie haben als Junge angefangen. Zirka 90 Prozent kommen ins Pensionsalter. Der überwiegende Teil der Drogenkonsumenten steigt irgendwann aus, vor allem Frauen zwischen 30 und 40 Jahren, wenn sie eine Familie gründen. Etwa ein Viertel bleibt aber lebenslang drogenabhängig", sagt Spirig. Gemeint sind schwer drogenabhängige Personen, die Opiate wie Heroin genommen haben oder Kokain.

Person mit Spritze, Heroin

APA/HELMUT FOHRINGER

7.500 drogensüchtige Menschen sind im Pensionsalter

Therapie statt Haft

Die meisten österreichischen Betroffenen, die das Pensionsalter erreicht haben, leben in Wien. „Wien hatte schon immer das bessere Versorgungsangebot. Dabei sind nicht Drogen gemeint, sondern Beratung und Betreuung“, so Spirig. Substitution und Spritzentausch statt Haft lautet das Prinzip. „Durch die Substitution ist es möglich, ein halbwegs normales Leben zu führen. Sonst ist man im permanenten Stress, woher man das Geld und das Zeug bekommt. Dabei ist es egal, ob Weihnachten oder Ostern ist“, sagt P.

Der Alltag der Betroffenen ist aber auch im Alter geprägt von den Folgen der Sucht. P. erzählt: „Die Gefahr der Isolation ist groß. Man fühlt sich nie wieder normal. Wenn man beim Substitutionsprogramm mitmacht, lässt man die Szene und die sogenannten Freunde darin hinter sich. Aber neue Freunde findet man auch nicht.“

„Bin eigentlich ein harmloses Würstchen“

Alles was dem ehemaligen Musiker geblieben ist, ist seine Mutter, die in einem Pflegeheim untergebracht ist. Eine Frau hat er nicht: „Man schämt sich natürlich, wenn man eine neue Frau kennenlernt. Man hat ja gleich ein ganzes Paket, das man beichten muss mit all den schlimmen Dingen, die man getan hat. Dabei bin ich eigentlich ein harmloses Würstchen, das kocht, wäscht und bügelt.“ Beim 56-Jährigen führte die Rebellion gegen den eigenen Vater in jungen Jahren in die Drogensucht. Nachdem aber immer Geld vorhanden war, rutschte P. nie in die Armut.

Doch: „Die meisten sind arm. Eine großartige Berufskarriere hatten die wenigsten, viele haben Schulden und leben von der Mindestsicherung. Nicht nur Einsamkeit und Isolation sind große Probleme“, so Spirig. „Nachdem Drogenkonsum eher ungesund ist, sind viele körperlich beeinträchtigt. Personen, die biologisch 50 Jahre alt sind, haben den Körper eines 70-Jährigen. Das heißt die Altersbeeinträchtigungen treten viel früher ein.“ P. hat zum Beispiel Multiple Sklerose. Am meisten sind seine Hände von der Krankheit betroffen. Gitarre spielen kann er seither nicht mehr.

Rollstuhl

Peter Atkins - Fotolia.com

Oft kämpfen Drogenkranke im Pensionsalter mit Mobilitätsschwierigkeiten

„Viele leiden unter Herzschädigungen, Zuckerkrankheit, Magengeschwüren und Zahnproblemen. Etwa 60 bis 80 Prozent der Betroffenen haben Hepatitis C, HIV im Gegensatz kommt eher selten vor – rund fünf Prozent sind infiziert“, so Walter North von „dialog: individuelle Suchthilfe Wien“. Hinzu komme, dass es auch Einschränkungen in der Mobilität gibt, weil die Personen Probleme beim Gehen haben.

In vorhandene Versorgungen einbinden

„Theoretisch könnten sie in ein Altersheim gehen. Aber bisher war das Pflegepersonal nicht auf solche Personen vorbereitet. Denn: Viele können und wollen im Alter nicht auf Drogenkonsum verzichten. Das heißt nicht, dass sie ständig ‚bumzu‘ sind, aber viele konsumieren weiter; viele rauchen Cannabis oder trinken viel Alkohol“, sagt Spirig. Zu diesem Zweck hat die Sucht- und Drogenkoordination Wien ein zweijähriges Projekt durchgeführt, wie auch das deutsche Wochenmagazin „Die Zeit“ berichtet.

„Nahezu das gesamte Sozial- und Gesundheitssystem ist daran beteiligt. Die Grundannahme ist, eine integrative Versorgung zu schaffen und keine speziellen Einrichtungen zu bauen“, sagt Georg Preitler, Verantwortlicher für ältere Suchtkranke. Die drogenabhängigen Menschen sollen in vorhandene Angebote eingebunden werden. Ärzte, mobile Dienste und Pfleger in Pensionistenheimen werden daher geschult, um auf die besonderen Bedürfnisse eingehen zu können - also die Drogensucht, damit einhergehende Krankheiten, frühzeitige Alterung, Mobilitätsschwierigkeiten, sowie Einsamkeit und Isolation.

Unklar: Auswirkungen von Designerdrogen

„Wien hat im Vergleich zu anderen europäischen Städten sehr schnell reagiert“, so Spirig. P.: „Ich wollte mein Geld für Drogen raushauen und mir irgendwann eine Kugel in den Kopf jagen. Doch dann ist mir Doktor North dazwischen gekommen. Klar, man wird nie wieder ein ‚normales‘ Leben führen können. Aber man lebt.“

Während die Heroinkonsumenten der Hippie-Zeit altern, verändern sich die Drogengewohnheiten der Jungen. Vor vier Jahren waren noch 110 Substituierte unter 18 Jahre alt, derzeit sind es nur mehr sieben Personen. „Die Jungen wechseln von Opiaten zu Designerdrogen wie Crystal Meth oder Speed. Wie sich diese Drogen auf das Altern auswirken, kann jetzt noch nicht gesagt werden", sagt Preitler.

Lisa Rieger, wien.ORF.at

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