Hitler-Pläne: Wien als „Perle des Reiches“

Über 30 Jahre hat der Städtebauer Klaus Steiner Pläne aus der NS-Zeit zum Wiener Baugeschehen gesammelt. Zum ersten Mal sind seine rund 4.000 Dokumente im Architekturzentrum (AzW) in „Wien. Die Perle des Reiches“ ab Donnerstag zu sehen.

„Oft wurde ich der Wiederbetätigung beschuldigt. Dabei habe ich immer nur auf eine Veröffentlichung hingearbeitet“, sagte Steiner, der mit Beginn seines Studiums 1961 begann, sich intensiv mit den Bauplänen aus dem Nationalsozialismus zu beschäftigen. „Ich bin in einem Umfeld aufgewachsen, da hat es nur so von alten Nazis gewimmelt“, sagte Steiner. „Vom Roten Wien bis zum Wiederaufbau gab es keine Dokumentation der Planungsgeschichte. Es gab immer nur Fragen, nie Antworten.“

So kaufte sich Steiner in einem Antiquariat einen Amtskalender und ein altes Telefonbuch, um die fehlenden Antworten zu finden. Im Amtskalender suchte er unter anderem nach Namen der Gauleiter, der Bauleiter und weiteren Behörden, die an der Stadtplanung beteiligt waren. Diese Personen suchte er dann im alten Telefonbuch und glich die Kontaktdaten mit einer aktuellen Version ab. „Viele haben geheiratet oder sind verstorben, es war schwierig, diese Menschen zu finden“, sagte Steiner, der lange Zeit in der Wiener Stadtplanung tätig war.

Seine Gesprächspartner waren vor allem Witwen, Enkel oder Kinder. „Manche waren froh, dass ich ihnen die Papiere abnahm. Manche waren auch sehr stolz auf ihre Werke.“ Am schwierigsten für Steiner waren die damals noch lebenden Beamten und Architekten. „Die waren misstrauisch. Wenn jemand ein KZ geplant hatte, wollte er das nicht an die große Glocke hängen.“

Lücke in Architekturgeschichte geschlossen

Vor ein paar Jahren stellte Steiner seine Recherchen ein und übergab 2011 schließlich sein Archiv dem AzW, wo es von den Kuratorinnen Ingrid Holzschuh und Monika Platzer wissenschaftlich verarbeitet und via Datenbank zugänglich gemacht wurde - mehr dazu in Was die Nazis mit Wien vorhatten. „Wir konnten damit die Lücken in der Planungs- und Architekturgeschichte schließen. Eine Kontinuität und Nachwirkung ist jetzt möglich“, sagte AzW-Chef Dietmar Steiner.

Ausstellungshinweis:

„Wien. Die Perle des Reiches“ Planen für Hitler, von 19. März bis 17. August, Architekturzentrum Wien - Alte Halle. Zur Ausstellung ist ein gleichnamiger Katalog erschienen.

Am 9. April 1938 prägte Hitler bei seiner Ansprache im Rathaus den Begriff „Wien. Die Perle des Reiches“ und löste damit eine Planungseuphorie aus. Doch die Zeit zwischen 1938 und 1945 sei ein „dunkles Feld“, eine Zeitspanne der heimischen Architekturgeschichte, die man lange ignoriert habe, „als hätte sie nicht stattgefunden“, sagte AzW-Chef Steiner. Die Primärquellen seien in den öffentlichen Institutionen häufig verschwunden, „weil die Archive gesäubert wurden“, sagte Kuratorin Holzschuh über die Bedeutung jener Materialien.

„Nazi-Architektur vom Feinsten“

Rund 455 Projekte wurden in etwa 4.000 Einzeldokumenten erfasst, wobei NS-Bauten typologisch nicht zu fassen seien, wie Klaus Steiner erklärte: „Es gibt keine nationalsozialistische Architektur. Das ist eine Schimäre.“ Entscheidend sei die Weise, wie Politik, Raum und Architektur zusammenspielten. Die Planungen, eine riesige Entwicklungsachse quer zur Donau durch die vorwiegend von Juden bevölkerte Leopoldstadt zu treiben, seien „Nazi-Architektur vom Feinsten“, merkte er an.

Man dürfe die Planungen und Bauten aber nicht per se verdammen. „Sie haben auch qualitativ gute Sachen gemacht. Hätten die Nazis bauen können, was sie wollten, hätten wir ein fix und fertiges U-Bahn-System in Wien“, sagte Klaus Steiner. Auch Holzschuh sieht das ähnlich: „Man darf es nicht darauf aufhängen, das war ein Nazi-Architekt. Diese Zeit hat es in den Biografien gegeben, und die Bewertung liegt bei einem selbst.“

Nicht chronologisch, sondern in neun Themenkomplexe ist die Ausstellung gegliedert, die auch die Instrumentalisierung der Architektur bewusst machen möchte. Dabei werden nicht nur zahlreiche Pläne, Dokumente und Fotos, sondern auch Ausschnitte aus historischen Amateur- und Propagandafilmen sowie ein ausführliches Videointerview mit Klaus Steiner gezeigt. „Es soll keine Bestandserfassung von NS-Bauten und -Planungen in Wien sein, sondern eine Täterperspektive zeigen“, sagte Kuratorin Platzer.

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